Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Leerer Raum, dichte Materie

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Vor Eröffnung der Jahresausstellung des Kunstvereins Ebersberg wurden die Räume in der Alten Brennerei gründlich renoviert. 51 Künstler zeigen nun in luftiger heller Atmosphäre herausragende und originelle Arbeiten aus allen Genres

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Luftig, fast leer und viel heller als früher wirkt das Foyer der Alten Brennerei im Klosterbauhof. In den vergangenen Wochen haben Mitglieder des Kunstvereins Ebersberg die Wände geweißelt, Der Moosacher Bildhauer Hubert Maier, der zusammen mit der Malerin Maja Ott die Projektleitung der Jahresausstellung hat, kratzte jede Menge bröselnden Putz ab. Der Boden wurde gereinigt, die Theke verkleinert und verrückt. Die Regalwand mit Büchern und Prospekten wanderte in den Nischenraum. Dort steht jetzt ein schwarzes Sofa mit Tisch zum Verschnaufen. Durch den Umzug ist nun auch die historische Wendeltreppe frei zugänglich, und man muss sich nicht mehr mühsam am Tresen vorbeidrücken, um sie zu erklimmen. "Es war eine umfangreiche Renovierung, aber dringend nötig", sagt Maier.

Die Sanierung ist nicht die einzige Neuerung. Erstmals wurden die Arbeiten der 130 Bewerber für die Jahresausstellung 2016 einer Foto-Jurierung unterzogen. "Das hatte den Vorteil, dass so auch Künstler von weiter her, etwa aus Berlin, Hamburg und Regensburg, zum Zuge kamen", berichtet Maja Ott. 68 Arbeiten von 51 Künstlern wurden ausgewählt.

Der Schwerpunkt der ebenfalls luftig und großzügig gehängten Ausstellung liegt bei Fotografie und Grafik, gearbeitet wurde aber auch mit Eisen, Holz, Keramik, Draht, Textil, Acryl, Gummi, Wachs, Öl, Ton, Kupfer und Papier. Die Auswahl spiegelt Themen und Trends der zeitgenössischen Kunst wider und ist von hoher Qualität. Zum zweiten Mal wird bei der Eröffnung kommenden Samstag der Kunstpreis des Landrats vergeben.

Im Foyer empfängt die Besucher ein Objekt von Andreas Mitterer, derzeit erster Vorsitzender des Vereins. "Nicht-euklidische Geometrie" lautet der Titel einer hängenden Plastik aus schwarzem Gummi mit weiß umrandetem Lochmuster, die wirkt wie eine mathematische Spielerei von Maurits Cornelis Escher mit vielleicht sogar mehr als drei Dimensionen.

Ein quasi astronomisches Sujet hat Bettina Lüdicke, eine Bildhauerin aus Berlin, mit ihrem Objekt "Globe" aus patiniertem Kupfer geschaffen. Sie windet und verbindet Linien aus Metall zu weiten, durchlässigen Räumen, geordnet zu kleineren und größeren Kugeln, die eine große Kugel bilden, eine Art Planetenmodell. Wie dieses erscheint Globe als ein fragiles, aber stabiles Gebilde, zwischen dessen Teilen ein energetisches Gleichgewicht herrscht.

Während Lüdicke mit Draht feinste Linien zeichnet, dringt Frido Hohberger mit dem Kohlestift in die Tiefen der Materie vor. In Ebersberg zeigt der Leiter des Zeicheninstituts der Universität Tübingen, der auch als genialer Illustrator bei Gericht und bei Theateraufführungen bekannt ist, zwei großformatige Arbeiten - "Pollen" und "Qualle". Beeindruckend, welche Transparenz und Dichte die feine Zeichnung besitzt, die zarten Fäden der Meduse etwa, die so lebendig wirken, als ruderten sie jeden Moment weg vom Betrachter in die Weiten des Ozeans. Von ganz anderer Art sind die Rhythmen, mit denen Rasso Rottenfußer in seinen Installationen "verso angiomen" und "peripherfirst" spielt. Aus Holzplatten, Spiegelelementen, Acrylglas und Licht konstruiert er Räume und Architekturmodelle, die geometrisch präzise gebaut, aber dennoch absurd sind.

Auch das Chaos, die lustvolle Anarchie haben ihren Platz in der Alten Brennerei. Als wollte sie auf die Picknick-Performance in der Juroren-Ausstellung verweisen, erzählt Isolde Eggers in ihrer bunt bemalten Keramikarbeit aus Ton und Majolika vom "Picknick im Grünen". Ein Faun, Wesen aus Mensch und Ziegenbock, ist im Begriff, eine Nackte zu malen, um die herum Picknick-Requisiten samt Campbell-Dose à la Warhol arrangiert sind. Schaut man auf das Motiv, an dem der Faun gerade arbeitet, so zeigt dieses keine nackte Schönheit, sondern eine kubistische Aktstudie. Versuche, die Schöne im naturalistischen Stil zu malen, hat der gehörnte Künstler offenbar zu Boden geworfen.

Ein Schau-Objekt ist auch das Tableau "0.30 Uhr nachts" von Fabian Vogl im Obergeschoss. Den Titel hat der Münchner Künstler gewählt, weil er sich tagtäglich um diese Zeit aufmacht und sammelt, was er findet. Die kleinen Dinge der Nacht hat er zu einem dreidimensionalen Wimmelbild arrangiert. Die Arbeit, so erklärt der Künstler, ist eine Serie, die am 1. Januar 2014 begonnen hat. Jede Nacht fertigt er eine kleine Plastik oder Mikroinstallation. Sinn dieser Arbeit sei, Kreativität auszuleben zu einer Zeit, bei der das Denkdiktat mehr oder weniger ausgeschaltet sei.

Live zuschauen beim kreativen Prozess kann man zwei Künstlern während der Vernissage und der Finissage: Christian Heß und Peter Pohl, beide aus dem Raum Wasserburg und mit Arbeiten auf dem Skulpturenpfad im Ebersberger Forst vertreten, werden sich "am runden Tisch" treffen und zeichnen: Heß wird seine aus zahllosen winzigen Kästchen in roter Tinte bestehenden Ketten zu Papier bringen, Pohl, der Insektenforscher, der für den Forst die schillernden Käferpanzer geschaffen hat, wird an Kleinstlebewesen erinnernde Formen zeichnen. Ein Tisch, zwei Künstler, ein Blatt: Das wird spannend.

Die Jahresausstellung des Kunstvereins Ebersberg in der Alten Brennerei wird am Samstag, 5. März, um 19.30 Uhr eröffnet und dauert bis 3. April. Geöffnet ist Freitag von 18 bis 20, Samstag und Sonntag 14 bis 18 Uhr. Parallel wird die Ausstellung der Juroren zu denselben Öffnungszeiten im Grundbuchamt gezeigt. Vernissage dort ist Samstag um 18 Uhr. Finissage mit Künstlergespräch ist am 3. April, 16 Uhr. Karfreitag und Ostersonntag ist geöffnet. Bei der Vernissage wird der Kunstpreis des Landrats und jener der Firma Boesner verliehen.

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Quelle:
SZ vom 03.03.2016
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