Asylbewerber in Ebersberg:Wenn Flüchtlinge verschwinden

Fast 200 Asylbewerber sind im Landkreis Ebersberg im vergangenen Jahr verschwunden. Die meisten findet die Polizei wieder. Etwa 50 sind weiterhin untergetaucht.

Von Christian Endt

Im Jahr 2015 sind dem Landratsamt fast 200 Asylbewerber verloren gegangen. Drei Viertel konnten mit Hilfe der Polizei inzwischen wiedergefunden werden. Bei 47 Asylbewerbern ist der Aufenthaltsort weiter unbekannt.

Wenn ein Flüchtling in Deutschland Asyl beantragt, kommt er zuerst in eine Aufnahmeeinrichtung eines Bundeslandes. In München ist beispielsweise die Bayernkaserne ein solches Erstaufnahmelager, dazu gehört als Außenstelle auch die Turnhalle des Gymnasiums Vaterstetten. Nach der Registrierung werden die Asylbewerber einem Landkreis zugeteilt. Der Kreis wiederum bringt den Flüchtling in einer Gemeinschaftsunterkunft unter. Damit ist eine sogenannte Wohnsitzauflage verbunden, so steht es im Asylgesetz.

Für Ausflüge dürfen Asylbewerber ihren Regierungsbezirk verlassen

Innerhalb des Regierungsbezirks Oberbayern darf sich der Asylbewerber zwar frei bewegen. Erst an den Bezirksgrenzen greift die sogenannte Residenzpflicht, für deren Verlassen ist eine Genehmigung nötig. Diese oberbayernweite Bewegungsfreiheit ist jedoch auf Ausflüge begrenzt. Seinen Wohnort muss der Asylbewerber dort behalten, wo ihn das Landratsamt einquartiert hat. Mindestens alle zwei Wochen, so schreibt es das Asylgesetz vor, muss er dort vorbeischauen und seine Post öffnen.

Genau daran halten sich viele Asylbewerber offenbar nicht: In 197 Fällen wurde 2015 gegen die Wohnsitzauflage verstoßen - die Asylbewerber waren also dauerhaft nicht an ihrer Unterkunft anzutreffen. Das teilt das Landratsamt auf eine Anfrage der SZ mit. In diesen Fällen wendet sich die Ausländerbehörde des Landratsamts an das Landeskriminalamt, mit einer sogenannten Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung. Der Gesuchte landet dann in einer Datenbank, auf den die Polizei bundesweit Zugriff hat. Sollte er irgendwo in eine Polizeikontrolle geraten, ermitteln die Beamten die neue Adresse und teilen diese dem Landratsamt mit. 149 der 197 verschwundenen Asylbewerber konnten im Jahr 2015 über dieses Verfahren wiedergefunden werden.

Wer gefunden wird, muss erneut in eine Erstaufnahmeeinrichtung

Bis der Verschwundene wieder auftaucht, ist dessen Platz in der Unterkunft in vielen Fällen längst wieder belegt. Daher kommt er nicht zurück nach Ebersberg, sondern erneut in eine Erstaufnahmeeinrichtung, von wo er neu verteilt wird. Noch einmal würfeln, quasi.

Wo die Verschwundenen hinverschwinden und warum, weiß niemand so genau. Denkbar ist, dass sie bei Verwandten unterkommen die für sie sorgen. Das Geld aus dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen sich die Asylbewerber nämlich persönlich im Landratsamt abholen - nicht ganz einfach, wenn man untergetaucht ist. Im Verhältnis würden Bewohner der großen Turnhallen etwa genauso häufig verschwinden als welche aus den kleinen, dezentralen Wohnungen, heißt es im Landratsamt.

Jeder Asylbewerber werde bei der Zuteilung seiner Unterkunft darauf hingewiesen, dass er dort zu bleiben habe, teilt das Landratsamt mit. Außerdem stehe die Wohnsitzauflage auf dem Zuweisungsbescheid. Die Betroffenen müssten also eigentlich wissen, dass sie nicht umziehen dürfen. Übrigens müssen sich Asylbewerber wie alle anderen auch beim Einwohnermeldeamt ihres neuen Wohnorts anmelden.

Für eine Strafverfolgung fehlt den Behörden die Zeit

Auswirkungen auf das Asylverfahren hat das Untertauchen zunächst nicht. Zwar ist ein Verstoß gegen die Wohnsitzauflage streng genommen sogar eine Straftat, die nach dem Asylgesetz mit Geldstrafe oder Haft bis zu einem Jahr belegt werden kann. Das Landratsamt bringt die Fälle allerdings nicht zu Anzeige. Auch dem Münchner Rechtsanwalt Daniel Schmidt-Blümel, der auf Asylrecht spezialisiert ist, sind aus der Praxis keine entsprechenden Fälle bekannt. Die Ausländerbehörden hätten schlicht keine Zeit, solche Verstöße zu verfolgen.

Selbst wenn es zu einer Strafverfolgung käme, wäre die denkbare Höchststrafe von einem Jahr nach gängiger Rechtslage zu gering, um berücksichtigt zu werden. Allerdings sind die untergetauchten Flüchtlinge auch für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das über die Asylanträge entscheidet, nicht zu erreichen. So können Briefe möglicherweise nicht zugestellt werden, Fristen verstreichen. Bei den 49 Asylbewerbern, die trotz polizeilicher Ausschreibung weiterhin nicht auffindbar sind, liegt das Verfahren damit quasi brach.

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