Geflüchtete im Landkreis EbersbergArbeitslos trotz Vollzeitjob

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Sanusi B. aus dem Landkreis Ebersberg ist derzeit mit vielen Schriftstücken beschäftigt: Er hat einen Job, darf ihn aber wegen eines Versäumnisses nicht mehr ausüben. Das würde er gerne ändern.
Sanusi B. aus dem Landkreis Ebersberg ist derzeit mit vielen Schriftstücken beschäftigt: Er hat einen Job, darf ihn aber wegen eines Versäumnisses nicht mehr ausüben. Das würde er gerne ändern. (Foto: privat)

Sanusi B. war fünf Jahre lang glücklich bei einer Münchner Firma angestellt. Weil er eine Frist übersah, darf er jetzt nicht mehr dort arbeiten. Das bedauert nicht nur er zutiefst.

Von Anja Blum, Ebersberg

„Ich bin doch kein junger Vogel, der mit aufgerissenem Schnabel darauf wartet, dass ihm jemand was zu Fressen bringt“, sagt Sanusi B. und schaut entrüstet. Nein, er sei ein Mann, der auf eignen Beinen stehen wolle. Doch das machten ihm die Behörden leider gerade ziemlich schwer: Der 37-Jährige hat eigentlich einen Vollzeitjob und würde gerne arbeiten, doch er darf nicht.

B. stammt aus Sierra Leone, wohnt inzwischen in Baiern im Landkreis Ebersberg und ist wohl so etwas wie ein Vorzeige-Migrant. Vor zehn Jahren kam er nach Deutschland, nicht aus Armutsgründen, wie er selbst sagt, sondern „wegen Ärger mit der Regierung“ seines Heimatlandes. Er habe Wirtschaftswissenschaften studiert und ein Familienunternehmen in der Textilbranche geleitet, sich aber zunehmend mit Korruption, Willkür und Gewalt konfrontiert gesehen.

Seit 2019 hat Sanusi B. bei einer Münchner Firma als Außenmitarbeiter gearbeitet

Im Landkreis Ebersberg lernt B. schnell Deutsch und findet Arbeit, erst auf Gut Sonnenhausen, dann, nach der Anerkennung seines Führerscheins, als Päckchen-Fahrer. 2019 fängt B. bei einer Firma in München an, die Straßensperren für Umzüge und Filmaufnahmen genehmigen lässt und einrichtet. Diese Sperren und Schilder aufzustellen, das sei auch der Job von Außenmitarbeiter B. gewesen, erklärt Geschäftsführer Gerald Kipper.

Gewesen? Ja, denn inzwischen musste das Beschäftigungsverhältnis – trotz beidseitiger Zufriedenheit – beendet werden. Der Grund dafür ist, dass Asylbewerber für jeden Job eine gesonderte Arbeitserlaubnis brauchen, die dann jeweils alle drei Jahre verlängert werden muss. Doch genau diese Frist hatte B. übersehen. Ein Versäumnis, das erst ein gutes halbes Jahr später in Zusammenhang mit seinem Asylverfahren auffiel.

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Wird eine solche Erlaubnis nicht verlängert, gilt jeder weitere Arbeitstag als illegale Beschäftigung. Deshalb meldete die Ausländerbehörde im Ebersberger Landratsamt den Fall weiter an den Zoll, der nun als Finanzkontrollbehörde gegen B. und seinen bisherigen Arbeitgeber ermittelt. Ein Verfahren, das laut den Behörden mehrere Monate dauern kann. Weitere Monate, in denen B. nicht bei der Firma Kipper beschäftigt sein darf. Wir werden „bis zur Rückmeldung des Zolls hierzu keine neue Arbeitserlaubnis erteilen“, heißt es in einem Schreiben der Ausländerbehörde.

Das aber, sagt B., bringe ihn in eine erhebliche finanzielle Notlage: Ohne eine Arbeitserlaubnis nämlich kann der 37-Jährige auch kein Arbeitslosengeld I. beantragen – obwohl er bereits neun Jahre lang in die Sozialsysteme eingezahlt hat. Die Agentur für Arbeit in Ebersberg hat die Kollegen der Ausländerbehörde deshalb bereits gebeten, wieder eine Genehmigung zu erteilen. Bislang erfolglos.

„Ja, ich habe einen Fehler gemacht“, sagt B., „aber doch kein Verbrechen begangen.“ Er wolle weder Ärger machen noch Geld vom Staat kassieren – sondern einfach möglichst bald wieder in seinen Job bei der Firma Kipper zurückkehren. Gerne nehme er für sein Versäumnis ein Bußgeld in Kauf. Doch es müsse bald etwas passieren: Bereits jetzt sei er nämlich im Rückstand mit seiner Miete, es drohe eine Rückkehr in eine Unterkunft für Geflüchtete – eine Zeit, an die B. keine guten Erinnerungen hat.

In dem laufenden Zoll-Verfahren geht es um eine Ordnungswidrigkeit, die vermutlich in einem Bußgeld endet

Für die Ebersberger Ausländerbehörde indes ist B's. Situation „kein besonderer Fall“, sondern quasi fast Alltag. Allein die lange Zeit der Beschäftigung ohne gültige Genehmigung, nämlich fast acht Monate, falle aus dem üblichen Rahmen.

Über „mögliche Spielräume“ bei der Interpretation der Gesetzeslage will der Fachbereichsleiter nicht sprechen. Aber er erklärt: In einem solchen Zoll-Verfahren gehe es um eine Ordnungswidrigkeit, die vermutlich mit einem Bußgeld geahndet werde. In welcher Höhe dieses üblicherweise liege, darüber kann die Ausländerbehörde keine Angaben machen. Aufenthaltsrechtlich jedoch habe B. derzeit nichts zu befürchten: Sein Asylverfahren befinde sich noch in der Prüfung. „Sollte der Asylantrag jedoch abgelehnt werden, dürften wohl Duldungsgründe vorliegen.“

Wann und ob B. erneut einer Beschäftigung nachgehen darf, liegt ebenfalls im Ermessen der Ausländerbehörde – und es scheint, als sei eine neue Arbeitserlaubnis doch möglich: Falls eine andere Firma als Kipper den 37-Jährigen anstellen wollen würde, würde man das prüfen, heißt es.

Über eine solche Lösung wäre aber vor allem Gerald Kipper vermutlich ziemlich unglücklich, denn er würde B. liebend gerne wieder einstellen. Dieser nämlich habe sich als „sehr zuverlässiger, immer freundlicher und fleißiger Mitarbeiter“ erwiesen. Er sei voll in den Betrieb integriert und sowohl menschlich als auch fachlich ein unverzichtbarer Bestandteil des Teams. „Wir schätzen ihn sehr und es wäre für uns, auch im Hinblick auf die derzeitige Personallage sehr schmerzlich, wenn wir auf Herrn B. verzichten müssten.“ Man sei bereit, alles Notwendige zu tun, dass er dem Betrieb langfristig erhalten bleibe. Eine entsprechende schriftliche „Bestätigung“ zur Vorlage bei den Behörden hat Kipper verfasst.

Das langwierige Verfahren sei betrieblich und menschlich eine Katastrophe, findet der Ex-Chef

Am Telefon sagt er noch, er könne „das alles nicht verstehen“. Freilich, B. habe vergessen, seine Arbeitsgenehmigung verlängern zu lassen. „Aber ist das nicht eigentlich eine Formsache, die mit einem Bußgeld schnell erledigt sein sollte?“ In seinen Augen jedenfalls sei das langwierige Verfahren sowohl betrieblich als auch menschlich eine Katastrophe. „Wir brauchen Leute, die anpacken, aber ich kann Herrn B. nicht ersetzen, wir finden niemanden.“ Außerdem habe der 37-Jährige nun wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen, „die eigentlich längst vom Tisch waren“.

Und was sagt B. selbst dazu? Gerald Kipper sei ein wundervoller Mensch und Chef. „Er ruft mich regelmäßig an, um zu fragen, wie es mir geht.“ Leider habe er selten etwas Gutes zu berichten.

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