Mitten in EbersbergWenn man nicht alles selber macht

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Eine ganz besondere Sonderfahrt fand im Spätsommer 1999 auf der Bahnstrecke nach Ebersberg statt.
Eine ganz besondere Sonderfahrt fand im Spätsommer 1999 auf der Bahnstrecke nach Ebersberg statt. (Foto: Florian Peljak)

Vor 25 Jahren ereignete sich auf der Bahnstrecke zwischen Ostbahnhof und Ebersberg ein sehr ungewöhnlicher Zwischenfall, über den sich heutige Fahrgäste vielleicht freuen würden.

Glosse von Wieland Bögel, Ebersberg

Das große Problem mit der Betrachtung von Vergangenem ist ja bekanntlich, dass diese nicht neutral erfolgt. Fachleute benutzen dafür den Begriff „selektives Gedächtnis“, bei Laien heißt das dann – je nach Art der ein- und ausgeblendeten Erinnerung – „früher war alles besser“ oder „wir hatten ja nichts“. Ob nun diese beiden Phänomene einen Beitrag zu etwas leisten, das vielleicht selbst auch nur ein Produkt des selektiven Erinnerns ist, nämlich der von so vielen beklagten allgemeinen Gereiztheit – Stichwort: „früher war alles viel friedlicher“ – dazu lässt sich mit den bescheidenen Mitteln einer Kolumne natürlich keine abschließende und zufriedenstellende Aussage treffen. Weitgehend unumstritten dürfte indes die Aussage über eine ganz bestimmte Ursache für Gereiztheit sein: die Bahn.

Die ja mal damit warb, dass sie kommt, was sie meist schon tut, aber oft halt nicht dann, wenn sie soll. Gerade im Landkreis Ebersberg wird das auch ganz offiziell immer wieder von den zuständigen Stellen festgestellt: So bildeten laut der Bayerischen Eisenbahngesellschaft die beiden S-Bahn-Äste im Landkreis Ebersberg bei der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit das Schlusslicht.

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Von Barbara Mooser

Schlusslicht ist in dem Fall natürlich ein billiges Wortspiel mit Eisenbahnzubehör – aber auch eine mindestens ebenso preiswerte Überleitung zu einem kuriosen Ereignis, das sich in diesen Tagen zum 25. Mal jährt. Denn gerade noch Schlusslichter sah im Herbst 1999 ein S-Bahn-Fahrer am Ostbahnhof – und zwar jene des Zuges, den er eigentlich nach Ebersberg hätte fahren sollen. Was nicht auf einen Fehler im Dienstplan zurückzuführen war, sondern auf das ungewöhnliche Hobby eines jungen Mannes, welches dieser im Spätsommer das erste Mal in die Tat umsetzte.

Ältere werden es jetzt schon erraten haben, den Jüngeren sei es hiermit erklärt: An einem Mittwochmittag gegen Ende der Sommerferien des Jahres 1999 bot am Ostbahnhof ein dank Lokführeruniform ausreichend legitimierter junger Mann seinem „Kollegen“ an, dessen Fahrt nach Ebersberg zu übernehmen. Der Angesprochene war nicht unzufrieden über das vorzeitige Schichtende und willigte ein. Sein Stellvertreter fuhr anschließend den Zug nach Ebersberg – und zwar pünktlich und störungsfrei – dort stellte er den Zug vorschriftsmäßig ab und ging nach Hause, wo er einige Tage später Besuch von der Polizei bekam.

Was offenbar wenig Eindruck gemacht hat: Einige Wochen später unternahm der junge Hobby-Lokführer eine erneute Zugfahrt, da kam er dem echten S-Bahn-Fahrer zuvor, der dann eben nur noch die Rücklichter seines Zuges sah. Diesmal endete die Fahrt allerdings bereits in Kirchseeon, der unfreiwillig außer Dienst gestellte echte Lokführer hatte Alarm gegeben, so dass alle Signale auf Rot gestellt wurden.

Der falsche Lokführer wurde letztlich zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Allerdings nur, weil er die Passagiere in Kirchseeon im Zug hatte sitzen lassen, das gilt als Freiheitsberaubung. Dass er sich die S-Bahnen „ausgeliehen“ hatte, wertete das Gericht dagegen lediglich als Schwarzfahren – von Nachahmung wird hier trotzdem und auch bei großer Verspätung ausdrücklich abgeraten.

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