Süddeutsche Zeitung

Ebersberger Forst:Blick ins Unterholz

Eine neue Sonderausstellung im Waldmuseum nimmt die Jagd ins Visier: Wer geht im Landkreis auf die Pirsch? Wo genau? Und warum? Besucher dürfen sich freuen auf teils überraschende Antworten.

Von Anja Blum, Ebersberg

Sie seien ein komisches Volk, die Jäger. So heißt es zumindest in der neuen Sonderausstellung des Ebersberger Waldmuseums. Diese Menschen pirschten gerne durchs Gebüsch, pflegten eine ganz eigene Sprache und seien obendrein scharf bewaffnet. "Und wenn es knallt, dann liegt das kleine süße Reh tot im Wald."

Die Jagd habe heutzutage mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, schreiben die Macher der Ausstellung. Deshalb wolle man der normalen Bevölkerung einen Blick auf all das ermöglichen, was zumeist im Verborgenen stattfinde, aber die moderne Jagd eben ausmache. "Sie erfüllt nämlich viele wichtige Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit", sagt Karem Gomaa, Vorsitzender der Ebersberger Jäger. Aber auch Spannungsfelder mit dem Naturschutz würden thematisiert.

Die Schau stellt das Thema aus lokaler Sicht dar und präsentiert aktuelle Zahlen

In der Tat bietet die Ausstellung ihren Besuchern einen umfassenden sowie durchaus überraschenden Einblick in die Jagd, vor allem im Landkreis Ebersberg. "Uns war es ganz wichtig, diese Schau lokal zu verwurzeln", sagt Hannes Müller, Chef des Museums Wald und Umwelt. Zusammen mit Oberjäger Gomaa und Forstbetriebsleiter Heinz Utschig hat er die höchst professionell anmutende Ausstellung konzipiert. Sie wird von kommendem Samstag, 1. April, an bis Anfang Oktober zu sehen sein. Beantwortet werden dabei fünf Fragen an die Jägerschaft, wie sie sich vielleicht so mancher heimlich schon mal gestellt hat: Wer seid ihr? Warum jagt ihr? Wie jagt ihr? Was jagt ihr? Und wo?

Schon alleine die letzte Antwort ist verblüffend: Nicht nur im Forst, sondern im ganzen Landkreis Ebersberg wird gejagt. Die gesamte Fläche, alle Wälder, Wiesen und Felder sind unterteilt in insgesamt etwa hundert Reviere. Ausgenommen sind nur die Ortschaften. Eine Besonderheit ist außerdem der historisch gewachsene, eingezäunte Wildpark inmitten des Forstes. Dort sollen Menschen Wildtiere ganz aus der Nähe beobachten können. Deswegen werde dort seltener gejagt, sagt Utschig, um die Tiere nicht zu verschrecken. Außerdem gebe es ein ausgefeiltes Wildmanagement mit Ruhezonen, in denen gar nicht gejagt wird, Pufferflächen und Fütterungsbereiche.

In anderen Teilen des Waldes wiederum haben forstliche Interessen Vorrang. Das bedeutet: Dort wird intensiver gejagt - um die Bäume zu schützen. Der Ebersberger Forst nämlich ist immer noch ein von alten Fichtenbeständen dominierter Wald. Die Bayerischen Staatsforsten aber haben es sich zum Ziel gesetzt, ihn in einen stabilen Mischwald umzubauen - Stichwort Klimawandel. Und dafür ist es wichtig, die Wildbestände durch die Jagd zu regulieren, um jungen Buchen, Eichen und anderen Baumarten eine Chance zu geben. Konkret gesprochen: Sind zu viele Rehe im Forst unterwegs, werden zu viele junge Triebe abgeknabbert. "Verbiss" nennen das die Experten. "Mit einem permanenten Monitoring wird überprüft, ob beide Interessen - gesunde Wildbestände und artenreiche Waldverjüngung - zugleich umsetzbar sind", erklärt Utschig. Wald und Wild: Diese Balance müsse immer wieder neu austariert werden.

Rund 855 aktive Jäger gibt es derzeit im Landkreis Ebersberg. Doch wer verbirgt sich hinter dieser abstrakten Zahl? Die Ausstellung räumt hier mit ein paar Missverständnissen auf. Zunächst einmal gehen mitnichten nur Männer auf die Pirsch, die Zahl der Jägerinnen nehme stetig zu, sagt Gomaa: In Ebersberg zähle man momentan 115. Und quasi alle Ebersberger Jäger gehen ihrer Passion privat nach, laut einer Umfrage des Verbands sind Studenten genauso darunter wie Rentner, Landwirte wie Beamte, Freiberufler wie Angestellte. Und wer glaubt, fürs Jagen brauche es nicht viel, der täuscht sich: Das sogenannte "Grüne Abitur" verlangt 120 Stunden Theorie und etliche praktische Einheiten. Im Landkreis belegen jährlich etwa 25 Personen diesen Kurs.

Auch interessant: Aus finanziellen Gründen lohnt sich dieses Hobby nicht. Die Einnahmen beschränken sich auf den Verkauf von erlegtem Wild und die Ausgabe von Jagderlaubnisscheinen (als Besitzer oder Pächter eines Reviers). Auf der Ausgabenseite wiederum steht eine ganze Menge: Pacht für das Revier und Kosten für dessen Erhalt (für Hochsitze zum Beispiel), Weiterbildungen, Versicherungen, Ausrüstung. Deshalb sei nicht einmal die Hälfte der Unkosten durch die Einnahmen gedeckt.

Wie also begründen die Ebersberger Jäger ihre Leidenschaft? Die Ausstellungsmacher haben nachgefragt: "Ich schütze und hege die Natur mit ihren Kreaturen, habe dabei an der frischen Luft viel Freude und bei einem erfolgreichen Jagdabschluss das hochwertigste Nahrungsmittel, das es gibt", wird ein "Mirko" zitiert. "Jagen ist mir eine stete Herausforderung, die Natur bewusst zu lesen und die Zusammenhänge zu erkennen. Ein beglückender Lernprozess und eine Verpflichtung - lebenslang", sagt "Gerd". Immer wieder genannt werden aber auch Waldbesitz und Familientradition.

Insektenplagen, Stürme: Mit dem Zustand des Waldes verändert sich auch der Wildbestand

Stark verändert hat sich der Wildbestand im Landkreis. In den zehn Jahren vor 1901 wurde im Schnitt pro Jahr 116 Stück Rotwild, 18 Stück Schwarzwild, 325 Stück Rehwild, 189 Hasen, vier Fasane, neun Stück Birkwild, 38 Rebhühner, eine Schnepfe und acht mal sonstiges Federwild erlegt. In den vergangenen zehn Jahren hingegen ergab sich ein ganz anderes Bild: Hier stehen nur 78 Stück Rotwild, dafür aber 548 Stück Schwarzwild auf der Liste. Das Rehwild ist mit 321 Stück in etwa unverändert. In allen anderen Spalten prangt eine Null.

Als Grund für die Veränderung weist die Ausstellung den Zustand des Waldes aus: Nach Nonnenfalterplage und Sturm waren Ende des 19. Jahrhunderts viele Bereiche des Forstes gelichtet, so dass es deutlich weniger Wildschweine gab, dafür aber viele Tierarten, die offene Landschaften mögen. Die ganz aktuellen Abschusszahlen dröselt die Ausstellung sogar pro Jagendem auf: Auf einen Ebersberger kommen pro Jahr drei Rehe und zwei Wildschweine. Ein Rothirsch werde statistisch nur alle zehn Jahre erlegt. Ein großer Faktor aber ist auch das Auto: In Bayern liegt der Anteil der Rehe in der Jagdstatistik, die bei einem Wildunfall sterben, bei 17 Prozent. "In manchen unserer Reviere ist es sogar ein Drittel", sagt Gomaa.

15 Jahre Engagement in zwölf Monaten: So wird die Leistung der Ebersberger Jäger beziffert

Doch was leisten die Jäger denn nun für das Allgemeinwohl? Da wartet die Ausstellung zunächst einmal mit einer beeindruckenden Zahl auf: Die Ebersberger Jäger brächten es in zwölf Monaten alle zusammen auf 15 bis 20 Jahre Engagement. "Und durch die Regulierung des Wildbestands wird viel Schaden abgewendet", sagt Gomaa. Von den Bäumen des Waldes genauso wie von den Feldern. "Da haben die Bauern vor Wildschweinen ihre Ruhe." Und indem man zum Beispiel die Zahl der Füchse reduziere, würden die Nester von Bodenbrütern geschützt. Außerdem spürten die Jäger bei Unfällen verletzte Tiere auf und erlösten sie gegebenenfalls von ihren Qualen. Aber auch in anderer Hinsicht seien viele seiner Kollegen engagiert: Manche pflanzten bestimmte Hecken für das Wild, schüfen Äsungsflächen im Wald oder hängten Nistkästen auf.

Zu guter Letzt zeigt ein Plakat, wie sehr die Begrifflichkeiten der Jäger in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Sich ins Gehege kommen, die Lunte riechen, aufpassen wie ein Schießhund: Die Beispiele sind zahllos. Sogar das berühmte "Sauwetter" ist den Jägern zu verdanken. Denn wenn es regnet, kommen Würmer und Larven vermehrt an die Oberfläche - ein Festmahl für Wildschweine, die an solchen Tagen demzufolge besonders aktiv sind. Was die Ausstellung damit sagen will? Dass die Jäger vielleicht doch gar kein so komisches Völkchen sind, sondern fest verankert in der Mitte der Gesellschaft.

Ebersberger Museum Wald und Umwelt: Sonderausstellung "Die Jagd im Visier", geöffnet samstags, sonntags und an allen Feiertagen jeweils von 12 bis 17 Uhr. Nur am Karfreitag ist die Ausstellung geschlossen. Es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5777270
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.