Vernissage am Freitag:Daumen drücken, Füße waschen, Hände kleben

Vernissage am Freitag: Dieser Gipsabguss von Hermann Schuster war zunächst ein Produkt des Zufalls, doch mit dem Titel "Daumen halten" passt er perfekt zum Thema der Jahresausstellung.

Dieser Gipsabguss von Hermann Schuster war zunächst ein Produkt des Zufalls, doch mit dem Titel "Daumen halten" passt er perfekt zum Thema der Jahresausstellung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Mitgliederausstellung des Ebersberger Kunstvereins zeigt: Es gibt zahlreiche unterschiedliche "Große Gesten". 74 Kreative aus dem Landkreis und darüber hinaus haben sich an der vielgestaltigen Schau beteiligt.

Von Anja Blum, Ebersberg

Wie viel Platz braucht eine "Große Geste"? Eine ganze Bühne? Oder, wenn malerisch umgesetzt, eine ganze Wand? Muss man dafür mit einem breiten Pinsel ausladende Schwünge führen? Oder kann eine große Geste auch ganz klein sein? Kommt es eher auf die innere, die moralische Größe an? Mit Fragen wie diesen haben sich nun die Mitglieder des Kunstvereins Ebersberg auseinandergesetzt - und dabei, kein Wunder, ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Wie diese aussehen, kann man nun in der Galerie Alte Brennerei im Klosterbauhof bestaunen, in einer Ausstellung mit dem Titel "Große Geste", die am Freitag, 25. November, um 19 Uhr eröffnet wird.

Nach einigen Jahren, in denen zur Mitgliederausstellung jeder ein selbst gewähltes, thematisch beliebiges Werk einreichen konnte, ist der Ebersberger Kunstverein 2019 dazu übergegangen, dieser jährlichen, stets unjurierten Schau jeweils ein Motto zu geben. Auf "Reproduktion" folgte, zum Jubiläum, das "Selbstporträt", und nun also die "Große Geste". An sich schon ein schwieriges Thema, sahen sich die Mitglieder zudem mit einer strengen Formatvorgabe konfrontiert: Kein Bild durfte breiter sein als einen Meter, sonst nämlich würde der Platz in der Galerie erfahrungsgemäß nicht für alle Arbeiten ausreichen. Manche Künstler haben deswegen zu einem (erlaubten) Trick gegriffen: Ihre Werke überschreiten die vorgegebene Breite zwar nicht, sind aber ausladend hoch.

Vernissage am Freitag: Barbara Spielmann hat mit ihrem "Rahmen-Projekt" die vorgegebene Formatgröße komplett ausgelotet.

Barbara Spielmann hat mit ihrem "Rahmen-Projekt" die vorgegebene Formatgröße komplett ausgelotet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die künstlerische Aufgabe jedenfalls war, die "Große Geste" extrem zu verdichten - was dem ein oder anderen durchaus hervorragend gelungen ist. Grundsätzlich gilt: 74 Mitglieder haben sich mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Positionen beteiligt, sodass diese Ausstellung trotz ihres überwölbenden Themas wieder mal einen höchst vielgestaltigen Einblick in das Schaffen der Kreativen im Landkreis und darüber hinaus bietet. So viele Gattungen, Techniken und Stile der bildenden Kunst sind hier vertreten, dass vermutlich jeder Besucher ein paar Arbeiten entdecken wird, die seinen Geschmack treffen. Und wer dann inspiriert ist, kann noch eine schmiedeeisene Wendeltreppe nach oben steigen, denn dort, im Studio an der Rampe, findet parallel der "Kunstsinn" statt: Dieser etwas andere Weihnachtsmarkt bietet weitere, kleine Werke der Aussteller zu moderaten Preisen. Ein neues Angebot, das 2021 großen Anklang fand.

Doch zurück zur Mitgliederausstellung. Der erste Raum der Galerie wird bestimmt von Abstraktionen in Acryl und Öl, von großen malerischen Gesten à la Gerhard Richter. Mal mit mehr, mal mit weniger Farbe lassen die Ausstellenden ihrer Fantasie freien Lauf. Heraus sticht hier deswegen vor allem eine kleine Skulptur von Barbara Perk aus Forstinning: Sie hat sie einer zarten Frau aus Stein und Modelliermasse eine Bühne geschaffen, dort sitzt sie mit ihrem Kleid, herzzerreißend in ihrer Verletzlichkeit. Ja, sie ist auf etwas hereingefallen, das verrät der Titel "Coup de Coeur". Am Boden begegnet dem Besucher außerdem eine "Erzählkugel" von Peter Schwenk aus Maitenbeth, eine kunstvolle, sprechende Schweißarbeit - die gerne auch mit großen Gesten herumgerollt werden darf, um alle Details entdecken zu können.

Vernissage am Freitag: "Coup de Coeur" heißt diese zauberhafte Skulptur von Barbara Perk.

"Coup de Coeur" heißt diese zauberhafte Skulptur von Barbara Perk.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Oberlichtraum dann stehen noch weitere Skulpturen, etwa ein "Brainworm" aus Holz von Johann Brand aus Ebersberg, er beklagt den menschlichen Größenwahn zulasten einer ausgelaugten, taumeldenden Erde. Gleich daneben: eine herrlich zynische Gipsarbeit von Hermann Schuster aus Forstinning. Zwei zur Schale geformte Hände sieht man da, doch die beiden Daumen sind abgetrennt, sie liegen in den Handflächen. Die Schnittkante ist leicht rot gefärbt. Der Titel des Werks: "Daumen halten". Eine wunderbare Umsetzung des Themas ist auch eine grafisches Blatt von Peter Kees: Der Steinhöringer hat Richard Wagners "Götterdämmerung" dirigiert - mit einem Stift in der Hand - und so die Dynamik der Musik auf Papier übertragen. Beate Eckert aus Grafing wiederum hat viele bunte Ohren gegossen und wird diese an die Besucher verschenken. Außerdem kann jeder, der möchte, sich für ein Gespräch mit der Künstlerin an einem Tisch niederlassen - denn ihre Schenkaktion gilt auch im übertragenen Sinne. Humor beweist Andreas Mitterer aus Ebersberg, er hat eine winzige Plastikfigur an die Wand geklebt, einen blauen Indianer: "Size doesn't matter".

Vernissage am Freitag: Beate Eckert wird zuhören, und zwar jedem, der neben ihr Platz nimmt.

Beate Eckert wird zuhören, und zwar jedem, der neben ihr Platz nimmt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ziemlich politisch wird es schließlich im Westraum. Dort hängt zum Beispiel eine kleine, durchsichtige Tüte an der Wand, in der sich Alltagsgegenstände befinden: eine Packung Kartoffelbrei, passierte Tomaten sowie Sekundenkleber. Petra Winkelmeier aus Ebersberg spielt damit freilich auf die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" an, die sich ja nicht nur auf die Straße kleben, sondern auch Kunstwerke mit Lebensmitteln beschmieren. Große Gesten? Oder der letzte Sch...? Eine andere Frage, nämlich "Schaffen wir das?", stellt Angelika Oedingen aus Glonn in den Raum: Ihr Bild zeigt ein kleines, leeres Holzboot, zum Liegen gekommen in einem halb verfallenen Haus. Schlicht "Angie" nennt dagegen Evely Butz ihr Werk, zu sehen sind zwei Hände, geformt zur typischen Raute.

Vernissage am Freitag: "Schaffen wird das?" fragt Angeika Oedingen.

"Schaffen wird das?" fragt Angeika Oedingen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dem nicht minder aktuellen Thema Gesundheit widmen sich zwei andere Künstlerinnen: Frauke Schreiner aus Zorneding hat eine "Fußwaschung" gemalt, aber nicht im religiösen Kontext, sondern in der modernen Pflege. Und Elisabeth Menzinger aus Buch am Buchrain hat eine Fotoarbeit eingereicht: "Wieder fit" zeigt eine Figur und drumherum zahlreiche leere Fläschchen, in denen mal Vitamine waren, oder Impfstoff vielleicht?

Vernissage am Freitag: Diese moderne "Fußwaschung" hat Frauke Schreiner gemalt.

Diese moderne "Fußwaschung" hat Frauke Schreiner gemalt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine "Große Geste" könnte übrigens auch eine besondere Aktion am Sonntag, 27. November, um 10.45 Uhr werden, denn dann malen mehrere Mitglieder des Kunstvereins unter der Anleitung von Roland Günther ein Gemeinschaftsbild. Die Papierbahn dafür hängt bereits an der Wand. Sie ist einen Meter breit - und ganze vier hoch.

"Große Geste": Mitgliederausstellung des Kunstvereins Ebersberg, Altes Brennerei im Klosterbauhof, Vernissage am Freitag, 25. November, um 19 Uhr. Geöffnet donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags von 17 bis 20 Uhr und sonntags von 11 bis 13 Uhr. Parallel findet im Studio an der Rampe "Kunstsinn - der andere Weihnachtsmarkt" statt. Samstag, 17. Dezember, 20 Uhr: Konzert, "Jeremiah Plays Some Life & Death Songs", Sonntag, 18. Dezember, ab 14 Uhr Finissage, 17 Uhr Verleihung des Publikumspreises und im Anschluss Weihnachtsfeier mit Feuerschale im Klosterbauhof.

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