Vernissage am Freitag:Magische Dualitäten

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Papierverliebt: Detel Aurand aus Berlin und Isabelle Dyckerhoff aus München haben gemeinsam die Titelseiten von Tageszeitungen umgestaltet. (Foto: Veranstalter)

Der Kunstverein Ebersberg zeigt nun gleich zwei Ausstellungen: Sowohl Mail Art als auch Fotografie spielen mit einem Gegenüber - jeweils auf ganz eigene Weise.

Von Anja Blum, Ebersberg

Eine Art kreativen Doppelwumms bietet nun der Ebersberger Kunstverein: Sowohl in der Alten Brennerei als auch im Studio an der Rampe eröffnet am Freitag eine neue Ausstellung. Die untere Etage der Galerie im Klosterbauhof wird bespielt von gleich vier Künstlerinnen, die sich der Mail Art widmen: Detel Aurand und Isabelle Dyckerhoff, Zandra Harms und Gunilla Jähnichen haben "Gespräche per Post" geführt und präsentieren nun die Ergebnisse. Im ersten Stock hingegen residiert ein einzelner Künstler, der in gewissem Sinne jedoch auch mit einem Gegenüber arbeitet: Der Fotograf Thomas Kellner zeigt seine Serie "Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute", die auf die bekannten Arbeiten von Bernd und Hilla Becher anspielt.

Doch zunächst zur Mail Art als Form des künstlerischen Austauschs: Wie in Kontakt bleiben, wenn man nicht am selben Ort wohnt? Wenn man nicht reisen kann, etwa in Pandemiezeiten? Während des Kalten Krieges war Mail Art ein Mittel der Kommunikation über Grenzen hinweg, mit ihr verbunden sind Namen wie Ray Johnson, Robert Rehfeldt oder On Kawara.

Die Künstlerinnen Detel Aurand und Isabelle Dyckerhoff, Zandra Harms und Gunilla Jähnichen haben sich nun, jeweils im Duo und mit einem anderen Ansatz, der Kunst per Post gewidmet und Werkzyklen zur Mail Art entwickelt. Es sind "stille Unterhaltungen auf Papier", die parallel zur eigenen künstlerischen Arbeit entstanden sind.

Zandra Harms, Isabelle Dyckerhoff und Detel Aurand (von links) bereiten die Ausstellung im Erdgeschoss vor. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Unter dem Titel "Paper Proud" - "papierverliebt" - beleben Detel Aurand aus Berlin und Isabelle Dyckerhoff aus München diese Art der Kommunikation und machen auf die Wichtigkeit von Papier und Medien wie Tageszeitungen aufmerksam. Die Zusammenarbeit begann 2013: Einen Monat lang haben die Künstlerinnen täglich die Titelseite der Tageszeitung jener Stadt, in der sie sich gerade aufhielten, bearbeitet und der jeweils Anderen per Post geschickt, die diese Seite dann weiter umgestaltet hat. 2013 sind so 29 Arbeiten mit der Süddeutschen Zeitung und dem Tagesspiegel entstanden, 2015 waren es 28 Blätter mit der New York Times und dem Tagesspiegel.

Die Titelseite der SZ als Grundlage eines kreativen Dialogs: Isabelle Dyckerhoff und Detel Aurand führten Gespräche per Post. (Foto: Torben Höke(oh))
Applaus! Wer welchen Beitrag geleistet hat, ist am Ende nicht mehr zu erkennen. (Foto: Torben Höke(oh))

"Blinds" wiederum heißt die Zusammenarbeit von Zandra Harms aus Köln und Gunilla Jähnichen aus Berlin. 2019 haben sie einen Dialog in Form eines gemeinsamen Werkes begonnen - getrieben von der Frage: Was passiert mit der eigenen Arbeit, wenn sie für weitere Gedanken freigeben wird? Die Künstlerinnen starteten mit Zeichnungen, schickten jeweils eine Sammlung los, die Sendungen kreuzten sich, mehrere Arbeiten wurden parallel bearbeitet: Eine stille Unterhaltung auf Papier. Die prozesshafte Arbeitsweise veränderte sich dabei fortlaufend mit dem Ziel, aus den verschiedenen Gedankensträngen ein Werk als Ganzes zu entwickeln. Extra für den Kunstverein Ebersberg entsteht nun eine große Arbeit, die wie eine Tapete an die Wand montiert wird.

Doppelte Urheberschaft: Gunilla Jähnichen und Zandra Harms haben Zeichnungen hin- und hergeschickt und so gemeinsam immer weiter daran gearbeitet. (Foto: Veranstalter)

In beiden Fällen, bei "Paper Proud" genauso wie bei "Blinds", liegt der Beitrag der Künstlerfreundin offen da. Er will genau betrachtet, als Frage, Angebot und Anregung aufgenommen werden. Nur dass die Antwort nicht verbal erfolgt, sondern mit Stift oder Pinsel. Ein gestalterisches Denken, Intuition und Einfühlung sind also gefordert. Schließlich gilt es, den bereits vorhandenen Ausdruck nicht zu überdecken, sondern aufzunehmen und etwas Adäquates dazuzugeben, bis sich im Laufe des Dialogs etwas Eigenständiges herausbildet. Ein sicheres Gespür für das richtige Maß ist unbedingt notwendig, um die Bildaussage bis zum entscheidenden Punkt zu verdichten. Letzteres gehört sicherlich zum Schwersten bei diesen vierhändigen Bravourstücken.

Dokumentarische Fotografie, zeitlose Abbilder von Kultur und Gesellschaft im Siegerland: Diese Beschreibung scheint unweigerlich auf die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher anzuspielen, auf ihre Fotografien von Fachwerkbauten und Industriearchitektur. Seit 2015 passt sie jedoch auch zu dem Siegener Künstler Thomas Kellner, der auf den Spuren der Bechers Häuserfronten in Szene setzt. Seine Werkserie "Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute" spielt sowohl mit den modernen technischen Möglichkeiten als auch mit dem fotografischen Erbe der Bechers.

Kellner zeigt 19 ausgesuchte Eiserfelder Fachwerkhäuser in ihrem heutigen Zustand und stellt ihnen, im historischen Vergleich, die Becherschen Schwarzweiß-Aufnahmen aus den 1960er Jahren gegenüber. Indem so motivische und methodische Unterschiede aufgedeckt werden, ist Kellners Werkserie nicht nur Spiegel einer sich wandelnden Wohnkultur, sondern auch Zeugnis einer sich weiterentwickelnden künstlerischen Fotografie.

Ohne die erkennbare Verbindung beider Werke zu beschränken, gibt Kellner seinen Fotografien eine eigene Handschrift und spielt mit der Transformation in Schwarzweiß, mit Verschattungen, einem Fokus auf farbig gebliebene Details, einer verträumten Unschärfe im Hintergrund. Dadurch agieren seine Fotografien als eigenständige Kunstwerke regionaler Lebensform und erfüllen parallel eine vergleichende Funktion.

Kellners Fotografien eröffnen den Blick auf die Polarität eines Gebäudes, das durch optische Modernisierungsmaßnahmen im Wandel der Zeit verändert wurde und dem Originalbau nur noch in der Form gleicht. Die Be- und Verurteilung der sich abzeichnenden Veränderungen des Motivs ist ebenso dualistisch wie das architektonische Gebilde selbst. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die Fachwerkhäuser von 2015 an Identität verloren und ein Stück weit um ihren Ausdruck gebracht wurden. Bei Kellner aber kehren sie zu einem magischen Realismus zurück.

Kunstverein Ebersberg, Galerie im Klosterbauhof, Double Feature in der Alten Brennerei und im Studio an der Rampe: Vernissage am Freitag, 14. April, um 19 Uhr, Finissage am Sonntag, 7. Mai, um 11 Uhr. Öffnungszeiten: donnerstags 18 bis 20 Uhr, freitags 18 bis 20 Uhr, samstags 17 bis 20 Uhr, sonntags 11 bis 13 Uhr.

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