Ein paar lose Äste am Boden, Löcher in der Wand, zerbrochene Teller: Ist das Kunst oder kann das weg? Für dieses geflügelte Wort, das seit der Vernichtung Beuys'scher Werke irgendwo zwischen Humor und Ablehnung changiert, ist die neue Ausstellung beim Kunstverein Ebersberg ein wunderbares Beispiel. Immer wieder würden er und seine Kollegen mit solchen Fragen konfrontiert, sagt Kunstprofessor Burkard Blümlein. Doch kein Wunder, denn wer in einer Galerie gerahmte Gemälde und hochwertige, unveränderliche Skulpturen erwartet, der wird enttäuscht sein.
Es ist das allererste Mal, dass dieses Quartett zusammen ausstellt. Burkard Blümlein und Lee Jiyoun, eine Südkoreanerin, sind ein Paar, sie leben und arbeiten in München und Wasserburg. Kriz Olbricht stammt aus Köln, David Semper aus Neuss. Zwischen ihnen allen gibt es diverse Verbindungen, seien sie studien- oder projektbedingt. Denn temporäre Kooperationen einzugehen, sich auf besondere Orte und auf andere Kunstschaffende sowie deren Werk einzulassen, das ist allen Vier ein Anliegen.

Ferner sind sie verbunden durch eine gemeinsame Auffassung: „Wir gehen davon aus, dass bildende Kunst eine geistige Form ist, die überall und an jedem Ding Gestalt annehmen kann, ohne dass dazu zwangsläufig eine dauerhafte materielle Neuschaffung mit Werkcharakter nötig wäre.“ Diese Feststellung sei zwar recht simpel und auch nicht neu, schreibt die Gruppe, erscheine angesichts aktueller Debatten über Nachhaltigkeit aber in neuem Licht: Es gehe hier um eine Art geistige Kunstform, die Gestalt gewinne, ohne dauerhafte Spuren zu hinterlassen und ohne die Nachwelt mit einem potenziell zu bewahrenden Kunstwerk zu belasten. Denn Ort, Objekte und Materialien kehrten nach ihrem vorübergehenden Bild-Sein wieder zu ihrem ursprünglichen Nutzen zurück.
Was das konkret bedeutet? Dass die Vier Kunst machen aus alltäglichen, wertlosen, gebrauchten und vielleicht sogar als Abfall angesehenen Dingen. Und zwar oftmals mittelst einfachster Handlungen. Das kann zum Beispiel bedeuten, neue, überraschende Material-Kombinationen zu kreieren wie Olbricht, der die Galerie mit zusätzlichen Säulen aus Bierflaschen und Holzlatten bestückt. Oder eine besondere Anordnung im Raum zu wählen wie Jiyoun, die einen hügeligen Gipsrest nicht auf den Boden legt, sondern mit Draht an der Wand befestigt. Oder neue Perspektiven zu schaffen wie Blümlein, der einen Gesteinsbrocken mit einem Kupferrohr durchbohrt. Oder gleich die Wand selbst als Bildträger zu bearbeiten wie Semper, der der Galerie ein kleines verrußtes „Fenster“ hinzufügt.

Das übergeordnete Ziel ist, den Dingen zu einem zweiten Leben, zu einem erweiterten Sinn zu verhelfen. Auf eine Idee, eine Geschichte oder dergleichen hingegen wolle er verzichten, sagt Blümlein. „Was zählt, ist die Präsenz der Form.“ Und: die Werke „ins Gespräch zu bringen“ – sie zu verweben mit den anderen Installationen, aber auch mit den jeweiligen baulichen Gegebenheiten, die gerade in einem historischen Gemäuer wie diesem freilich allerhand Inspiration und Anknüpfungspunkte bieten.
Gerade weil es sich bei der Galerie des Kunstvereins Ebersberg um eine ehemalige Brennerei handelt, haben sich die Künstler dazu entschlossen, unter dem Titel „Alambik“ eben mehr denn je alchimistische Versuche zu unternehmen: Aus den trivialsten Materialien, Gegenständen und Handlungen in allerhand „Destillationsprozessen“ geistige Essenz zu gewinnen. Das Ergebnis mag auf den ersten Blick unspektakulär erscheinen. Aber es ist eine Einladung. Dazu, die traditionellen Wertvorstellungen von Kunst, und Materialien als Produkt auf einem Markt einmal infrage zu stellen. Sich einmal einzulassen auf einen rätselhaften, temporären Kosmos, der beliebig wirken mag, es aber beileibe nicht ist.
Kunstverein Ebersberg: Ausstellung „Alambik“ von Burkard Blümlein, Lee Jiyoun, Kriz Olbricht und David Semper in der Alten Brennerei. Vernissage am Freitag, 10. Oktober, um 19 Uhr; Finissage am Sonntag, 9. November, um 15 Uhr.

