Süddeutsche Zeitung

Beim Kunstverein Ebersberg:Multipolares Phantom

Lesezeit: 4 min

Krachen, Lachen und Lauschen beim Arkadien-Festival #3: Wie wir die Welt hören - und wie andere sie hören wollen.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Wie bei seinen beiden ersten Ausgaben liefert auch das Ebersberger Arkadien-Festival #3 viel fürs Auge. Bewegend, verstörend, inspirierend und seltsam indes fällt indes auch das vielschichtige Klangbild aus, das das Festival begleitet. Die Begegnungen damit, zufällig und gesucht, hinterlassen Fragen, Wünsche und Ahnungen.

Was hat Arkadien mit Arbeit zu tun?

In den vergangenen Jahren hat sich die "Work-Life-Balance" zum Maß aller Dinge bei attraktiven Arbeitsplätzen entwickelt. Wie so oft in der Welt der Wirtschaft, geht die Evolution indes weiter, die Dinge drehen sich. Gleichzeitig - wir sind auf dem Weg nach Arkadien! - sieht sich die Arbeitswelt mit einem Dialog konfrontiert: Forderungen, die Antworten verlangen, stehen Appellen an das eigene Ich gegenüber.

Mads Lynnerup hat dazu eine mannshohe industrielle Kabeltrommel zum gedanklichen Hamsterrad zweier Schwarz-Weiß-Lösungen umgestaltet: "More Work" wechselt sich, während er die Skulptur durch Ebersberg rollt, mit "Work More" ab. Das geht mal schneller, mal langsamer, je nach Lage des Weges, kennt jedoch keinen Anfang und kein Ende. Wenn das Objekt schließlich im Klosterbauhof wieder zur feierabendlichen Ruhe gelangt, sein Motivator sich entfernt hat und im Stillstand des Rades sich auch die Gedanken beim Betrachten entwirren, dann zeigt sich, wie genial diese Idee ist. Wie jede Uhr eine Unruh hat, so braucht auch ein Arkadien-Festival eine.

Paradigmenwechsel vor dem Finanzamt

Das gute Leben in Arkadien macht selbst die Anwesenheit einer Behörde möglich, sogar die eines Finanzamtes. Still und gelassen blicken dessen Fenster auf den Schlossplatz, auf dem sich ein Dutzend Menschen ein Rasenstück zum "Lachraum" erkoren haben. Statt Seufzern und Wehklagen schmettern sie fröhliche "Ho-ho-hos" und "Ha-has" in die aufziehende Abendstimmung. Aus sicherer Distanz beobachten Einige das seltsame Geschehen, spitzen wohl auch die Ohren und bekommen von den arkadischen Lachwellen den einen oder anderen Spritzer ab.

Rund 300 Muskeln entspannen sich beim Lachen, Endorphine durchfluten Körper und Gemüt. Lachtrainerin Paola Prugger hat per Handy sogar einen Gast dazugeholt, einen indischen Lach-Yogi, der lautsprecherverstärkt über die Wendeltreppe der Lacheskalation begleitet. Das Geschehen auf dem Schlossplatz-Grün entwickelt rasch Eigendynamik im Chor der verschiedenen Lachcharaktere, deren Klang und Gesten im Raum verhallen oder sich als feiner Lachstaub auf den Grashalmen sammeln. Als Erkenntnisgewinn ist zu verbuchen, dass der Einen Arkadien nicht zwangsläufig mit dem Arkadien der Anderen übereinstimmt, sondern dass "Arkadien" als multipolares Phantom alles enthält und alles erträgt.

Staub bist Du, und zum Staub kehrst Du zurück

Der Vergänglichkeit alles Irdischen, auch der höchsten Ansprüche an Glück, Können und Wohlstand, widmet sich der Kölner Wolfgang Stöcker, derzeit mit seinem Bauwagen zu Gast im Klosterbauhof. Darin öffnet sich auch in seiner Abwesenheit der Zugang zum "Internationalen Staubarchiv", einem Konzept, das man sogleich erfinden müsste, wenn er es nicht schon getan hätte. "Kulturstäube", "Politischer Staub", "Sakrale Stäube" und dergleichen mehr trägt er rund um die Welt zusammen, analysiert sie und teilt sein Wissen mit der Öffentlichkeit. Das Erstaunliche daran: Es gibt zwischen Staub von hier und Staub von da einerseits mehr Ähnlichkeit, als man vermuten dürfte, aber auch mehr Unterschiede, als zu hoffen wäre.

Ganz im Sinne des Bibelworts "Staub bist Du und zum Staub kehrst (!) Du zurück" entspringt Stöckers Arbeit der charmante Gedanke, dass unsereiner Arkadien in den Winkeln und Ritzen der Welt auch nach unserem Abschied aus derselben überlebt. "Dust in the wind" mag einem da in den Sinn kommen, aber auch der Abschied vom Staubsauger. Besen, Schaufel und kleine Plastiktüten zum Erhalt des arkadischen Weltkulturerbes - man denke! Oder lausche Stöger bei seinen beiden noch ausstehenden Lecture Performances an diesem Dienstag und Mittwoch, jeweils um 19 Uhr.

Schubert im Schützengraben

Mit einem Konzert des Diogenes Quartetts klingt der Samstag in der Alten Brennerei aus. Wobei: Wegen eines künstlerischen Eingriffs erklären sich Gebäude und Inhalt im Rahmen des Festivals zum "Brenner". Diese Funktion nimmt in der Seele des musikfreundlichen Publikums Franz Schuberts Streichquartett d-moll "Der Tod und das Mädchen" mit emotionsgeladenem Spiel des Ensembles ein. Wie im Schlaraffengarten fliegen einem die Töne ins Ohr, elektrisieren die Sinne, führen in lichte Högen und düstere Abgründe. Eine mitreißende Interpretation.

Auf die in der Auftragskomposition "Lasciate in pace il nostro mondo" ein aufrüttelndes Opus folgt, in dem Komponist Wolfgang Florey eine Klangskulptur als Ergebnis zerstörerischer Kräfte in den Mittelpunkt stellt: Originelle Pizzicato-Artistik, frühlingshafte Heiterkeit von Geigen, Bratsche und Cello, kontrastiert mit der massiven Gewalt von Kanonendonner aus dem Lautsprecher, der das Quartett in den Bunker der Unhörbarkeit verdrängt.

Was bleibt, sind die geweckten Gedanken: Was wird die Musik unserer Zeit einmal über uns erzählen? Dass sich im Blickfeld des Publikums hinter dem Quartett eines der spannendsten Motive der Plakatsammlung "Arkadische Botschaften im Öffentlichen Raum" , von Frenzy Höhne gestaltet, unauflöslich in diese Gedanken mit einbrennt, verschafft der Erinnerung an diese Uraufführung verschlingende Tiefe.

Slow Food für die Ohren

Was inmitten des Klosterbauhofs von außen ein bisschen an aufgehübschte Wahlkabinen erinnert, birgt in seinem jeweiligen Inneren einen "Quadratmeter angehaltene Zeit". Der Künstler Mathis Nitschke hat in die glatten weißen Holzwände Lautsprecher eingebaut, die jenen, die den Weg in diese Kammern hinein gehen, nach ihrer Ankunft noch etwas Schweigen gönnen, bevor sie aus dem Nichts heraus ein Klang umfängt. Die Viertelnote eines Geräusches dehnt die Technik dabei auf ein Vielfaches an Dauer und ein Unfassbares an Klang aus.

Wir können hingehen in unserer Welt, wohin wir wollen: So, wie auf diesem engen, umarmenden Raum werden wir nirgendwo sonst hören und spüren, wie veränderlich die Wirkung von Geräuschen ist, wenn ihnen ihr Kontext entrissen wird. Das ist aufregend und aufwühlend, zumal man bei jedem Besuch neu und anders empfindet. Und sich die zweidimensionale Maßeinheit Quadratmeter recht fix in eine dritte Dimension Raum und eine vierte Dimension Zeit erweitert. Man verlässt den Ort des Geschehens mit dem Wunsch nach ganz eigenen, liebgewonnenen Geräuschen, die sich in Ewigkeit ausdehnen. Pfeifend schlendert man übers nächtliche Pflaster nach Hause und träumt dort von Arkadien.

Arkadien-Festival Nummer 3 : "Schöne, neue Welt", Part I: bis 12. Juni in Ebersberg, Berlin und Danzig, Part II: 12. bis 30. Juni in Rijeka.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5874901
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.