Süddeutsche Zeitung

Am Freitagabend:Ebersberger Kunstverein: Die Vernissage der Jahresausstellung steht an

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"Schwarz und Rot und Gold" ist heuer das Thema. Man kann es als bloße Farbkombination auffassen - oder aber als ein Symbol.

Von Anja Blum, Ebersberg

Streng. Sehr streng war die Jury diesmal. Etwa 130 Künstlerinnen und Künstler hatten sich beworben für die Jahresausstellung des Ebersberger Kunstvereins - doch nur 31 haben Einlass gefunden. Dabei hätten nur sehr wenige der Bewerber "einfach ins Regal gegriffen", wie Hubert Meier das nennt, sprich: eine alte Arbeit eingereicht, die mehr oder weniger gut zum Thema passt. "Dass so viele neue Werke geschaffen wurden, war die erste Überraschung", sagt der Bildhauer aus Moosach, der die Projektleitung für die Schau übernommen hat. Die zweite sei gewesen, dass sich erstaunlich viele Künstler, etwa zwei Drittel, nicht nur rein formal, sondern auch inhaltlich mit dem Thema auseinandergesetzt hätten.

"Schwarz und Rot und Gold", so lautet die Aufgabenstellung, die der Kunstverein heuer für seine Jahresausstellung ausgegeben hatte. Der Clou daran liegt für Meier und seine Mitstreiter eben gerade in der Offenheit des Themas: Man kann es auffassen als bloße spannende Farbkombination - oder aber als ein Symbol für Deutschland. "Diese Assoziation lässt sich eigentlich gar nicht vermeiden, sie schwingt immer mit", sagt Meier, schelmisch grinsend. Und genau so ergeht es dem Betrachter: Schnell wird die Jahresausstellung zu einem großen Bilderrätsel, zu einer Art Schnitzeljagd. Fieberhaft sucht man nach Bezügen zu Deutschland, zu seiner Identität, seiner Geschichte, Gegenwart, Zukunft.

Und siehe da: Man findet etliche. Selbst in jenen Arbeiten, die einst vermutlich gar nicht unter dem Motto "Schwarz, Rot, Gold" entstanden sind. Doch wen wundert's? Hat das Land doch unendlich viele Facetten, schöne wie schreckliche, uns allen bestens bekannt. Unter diesen Vorzeichen wird ein "Straßenbild" von Thomas Neumaier, eine schwarze Kraterlandschaft aus Teer, sogleich zu einer Reminiszenz an die fatale "German Gründlichkeit", die Installation "Schwarzes Loch" von Andreas Mitterer lässt ebenfalls an nichts Gutes denken, und zwei hübsche Madln in Tracht von Martina Hauser erscheinen wie eine Personifizierung der Scheinheiligkeit.

Die Jahresausstellung des Ebersberger Kunstvereins war also auch ein Anstoß, politisch zu werden, Farbe zu bekennen. Doch die meisten Künstlerinnen und Künstler tun dies, um im Bild zu bleiben, nicht mit grellen Tönen - sondern eher subtil. Plakatives oder gar schmerzlich Deutliches sucht man in der Alten Brennerei vergeblich. Wobei, eine Ausnahme gibt es: Sozusagen als Ehrengast vertreten ist der bereits verstorbene Otto Dressler (1930 bis 2006).

Der Moosacher Künstler hat sich zeitlebens abgearbeitet an der Schuld seiner Heimat, wollte das Nachkriegsdeutschland aufrütteln, mit oftmals provokanten Aktionen und Werken. "An Dressler kommt man bei einer solchen Ausstellung eigentlich nicht vorbei, sagt Meier. Also wählte der Projektleiter gemeinsam mit Stadtarchivarin Antje Berberich drei Objektkästen aus dem Nachlass des "Verfremders" für die Schau aus. Schwarz wie Eisen, rot wie Blut, das waren ohnehin stets seine Farben, martialisch die Motive. Hakenkreuz, Patronenhülsen, Hammer und Sichel - bei Otto Dressler wird nicht lange gefackelt.

Ansonsten bietet die Jahresausstellung - schön luftig gehängt - ein breites Spektrum zum Thema: von rein formalen Bearbeitungen, es gibt zum Beispiel einige monochrom schwarze Werke, über Gesellschaftskritisches bis hin zur politischen Karikatur. Letztere stammt von Wolfgang Leder und trägt den Titel "Der falschen Schwüre überdrüssig? - Der Bundesadler verliert die Contenance". Beziehungsweise etwas anderes, das auf dem Bild gerade im Begriff ist, zwei Politiker zu treffen.

Eine Welt voller Redner, Diskutierender, Mikrofone und Aktenkoffern spannt auch Danijel Kober in seiner "Digitalen Kunst" auf, einer comicartigen Komposition. Rose Stach wiederum erinnert mit einer kleinen Fotoarbeit an den Prozess gegen den NS-Verbrecher John Demjanjuk: "Ich sehe keine Schuld bei mir". Zehn Fotografien aus der Gedenkstätte Lindenstraße zeigt Hannelore Sahm. Der einstige Gerichts- und Gefängniskomplex in Potsdam steht für die politische Verfolgung in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Die Bilder vermitteln vor allem Trostlosigkeit.

Die typisch deutsche Spießigkeit rückt Melanie Siegel ins Bild, ihre vier Ölmalereien unter dem Titel "Anderswo" zeigen akkurate Giebel hinter hohen, sorgsam geschnittenen Blickschutzhecken. In die gleiche Richtung zielt wohl Patricia Lincke, sie hat ihre Installation "Radikale Häuslichkeit/Stimmenfang" genannt: Drei Perücken - schwarz, rot, blond - hängen hier an großen Fleischerhaken. Ein hintergründiges, starkes Bild, das allerhand Assoziationen weckt, etwa vom goldenen Haar der Margarete.

Beeindruckend auch eine Collage von Anette Koch: Sie hat eine große, Landkarte, wie man sie aus dem Erdkundeunterricht kennt, bearbeitet. "Nach den Iden des März '16" heißt diese Arbeit (in Anlehnung an eine Metapher für bevorstehendes Unheil, die auf die Ermordung Caesars Bezug nimmt). Hier aber geht es um etwas, das bereits Vergangenheit ist, und zwar um einen "guten Deal": Die Künstlerin hat die Türkei ausgeschnitten und mit dickem Kreuzstich auf Deutschland genäht. "Damit alles seine rechte Ordnung hat", steht da unter anderem geschrieben, daneben weiße Barfuß-Spuren.

Eine rein formale, aber in der Umsetzung faszinierende Arbeit hat Otto Scherer eingereicht: ein Keramikobjekt aus drei Rechtecken in den Farben der deutschen Flagge, hochglanzpoliert und gewellt, so dass sich feine Spiegelungen in alle Richtungen ergeben. Und auch eine interaktive Arbeit hat die Jahresausstellung zu bieten: Arnd Christian Müller, der in China lebt, lässt die Besucher "Ghost Strokes - Geisterschriftzeichen" kreieren. Dafür stellt er zahlreiche dünne Metallhammer in den drei besagten Farben sowie magnetische Tafeln zur Verfügung.

Die fünf Mitglieder der Jury übrigens haben diesmal keine eigene Ausstellung, ihre Werke wurden in die Schau in der Alten Brennerei integriert. Schade, dass sie größtenteils nicht die Zeit fanden, dafür eigens kreativ zu werden.

"Schwarz und Rot und Gold": Jahresausstellung des Kunstvereins Ebersberg, Alte Brennerei im Klosterbauhof, Eröffnung am Freitag, um 19 Uhr. Zu sehen bis 8. März, freitags 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2020
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