Künstler aus dem Landkreis Ebersberg:Kreative Korrektur

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Das Wochenende der Künstlergruppe "Kunststoff" muss doch nicht komplett ausfallen: In Poing und Anzing gibt es Werke zu sehen - allerdings auf ganz andere Weise präsentiert als sonst

Von Anja Blum

Auch Fotografien sind zu sehen. (Foto: Veranstalter)

Das "Kunststoff"-Wochenende speist sich stets aus Begegnungen. Mehr denn je soll Kultur an diesen beiden Tagen direkt erfahrbar werden: Künstler öffnen ihre Ateliers, empfangen Besucher, zeigen und erklären ihre Arbeiten, bieten Verköstigung. Viel Raum zum Austausch also und zum Philosophieren. "Geist zu Stoff, Stoff zu Kunst", so lautet das Motto der Gruppe. Kunststoff - dahinter stecken Künstlerinnen und Künstler aus Poing, Markt Schwaben und Anzing, die seit acht Jahren im Sommer gemeinsam zum Rundweg durch ihre Ateliers einladen. Die Ausgabe 2020 war schon sehr konkret in Vorbereitung, doch dann kam Corona - und damit die Absage. Begegnungen sind in diesen Zeiten nicht möglich.

Den Betrachter erwartet Kunst-Stoff in allen möglichen Farben und Formen. (Foto: Veranstalter)

Die Enttäuschung war freilich groß: Elf Künstler hatten sich lange auf die Veranstaltung vorbereitet, die nun leider erst im Herbst stattfinden kann. "Also hieß es: Her mit einer kreativen Lösung! Und da haben wir uns was einfallen lassen", erzählt Kunststoff-Gründerin Inge Schmidt. Deshalb könne sie die Absage nun korrigieren: Am Samstag und Sonntag, 16./17. Mai gibt es an drei Orten in Poing und Anzing Kunst zu sehen. "Wir haben eine kleine kompakte Ausstellung organisiert, natürlich unter Einhaltung der vorgeschriebenen Standards, und geben damit unserem Publikum einen kleinen Vorgeschmack auf das, was sie im Herbst erwarten können", so Schmidt.

Der Trick ist: Die Kunst befindet sich hinter Glas, man kann sie nur durch Fenster sehen, die Künstler werden nicht anwesend sein. So werden die aktuellen Auflagen eingehalten. Die drei Stationen sind das Foyer des Poinger Bürgerhauses, die ehemalige Metzgerei Gackstätter in Anzing sowie das Haus von Peter Böhm, ebenfalls in Anzing. "Bei schönem Wetter lässt sich daraus ein kleines Ausflugsprogramm machen, vielleicht eine kleine Radltour, oder zumindest ein Schwenk nach dem Einkauf, nach dem Kirchgang", sagt Schmidt. Und auch wenn es keine offenen Ateliers sind: "Wir wünschen viel Vergnügen!"

Zu sehen sind in Poing Arbeiten von Conni Propstmeier, Conny Boy, Rosemarie Hingerl, Inge Schmidt, Norbert Haberkorn und Robert Anthony, sowie in Anzing Arbeiten von Johannes Mayrhofer, Siegfried Horst, Ulrike Pfeiffer, Stefan Andreas Pillokat und Peter Böhm. Und wem zumindest ein paar dieser Namen geläufig sind, der weiß: Den Betrachter erwartet hier wieder Kunst-Stoff in allen möglichen Farben und Formen - auch wenn die räumlichen Möglichkeiten diesmal freilich sehr eingeschränkt sind.

"Geist zu Stoff, Stoff zu Kunst", so lautet das Motto der Gruppe Kunststoff. (Foto: Veranstalter)

Ein Zentrum der Gruppe ist normalerweise das Atelier im Osterfeld, doch seine vier Künstlerinnen müssen nun ins Poinger Bürgerhaus ausweichen. "Konsum, Schnelllebigkeit und Vergänglichkeit, das sind Zeichen unserer Zeit... Die Menschheit geht mit der Welt um, als gäb es eine Zweite." Dieses Zitat hat Cornelia Probstmeier ihrem Porträt in der Kunststoff-Broschüre 2020 hinzugefügt - ein Gedanke, der nur zu gut zur aktuellen Ausnahmesituation passt. Das Bild daneben zeigt unter dem Titel "ausgedient" einen Haufen Turnschuhe, mit wildem Strich in die Gosse geworfen. Auch Rosemarie Hingerl charakterisiert sich über einen Sinnspruch, im Geist des japanischen Zen: "Nichts dauert ewig. Ein Samen keimt, eine Pflanze wächst, treibt Blüten und gelangt schließlich zur Reife und vergeht...". Die dazugehörigen Blüten erstrahlen nicht im Farb- und Formenrausch wie sonst oft bei Hingerl, sondern scheinen in ihrer zarten Zurückgenommenheit schon im Vergehen begriffen. Auch Inge Schmidt zeigt "Flowers", aber ebenfalls in außergewöhnlicher Weise: Schemenhaft erkennt man einen Menschen, der eine Art Girlande in den Armen hält, das Bild arbeitet mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten und lässt vieles im Ungefähren, so dass es sehr poetisch, fast mystisch wirkt. Noch mehr Raum für Interpretation bieten die Werke von Conny Boy, die wieder einmal mit Sand auf Leinwand experimentiert und sich auf die völlige Abstraktion verlegt hat. Ihre matten Farbschichtungen scheinen wie archaische Artefakte ein Geheimnis zu bergen.

Hinzu kommen im Bürgerhaus Norbert Haberkorn und Robert Anthony, die beide Fotografien zeigen. Ersterer war 2019 in Shanghai und hat allerhand spannende Aufnahmen mitgebracht, entstanden auf etlichen Nachtfahrten durch die fernöstliche Metropole. "Schnelligkeit, Zufall und Experiment sind, wie so oft bei meinen Projekten, Teil des fotografisch-künstlerischen Prozesses - fokussiert und gelenkt durch das gesetzte Thema", erklärt Haberkorn. In diesem Fall: "Shanghai - Nightrider". Robert Anthony bekam zum fünften Geburtstag die erste Kamera in die Hände, seitdem fotografiert er Städte, Landschaften, kleine Dörfer, Menschen und Tiere - "einfach alles, was mich bewegt". In der Broschüre 2020 stellt er sich mit Stadtansichten von Prag bis Paris vor.

Am Samstag und Sonntag, 16./17. Mai gibt es an drei Orten in Poing und Anzing Kunst zu sehen, unter anderem Holzskulpturen. (Foto: Veranstalter)

Die Schaufenster der ehemaligen Metzgerei teilen sich vier Künstler: Johannes Mayrhofer hat sich diesmal dem Schwarz-Weiß-Metier gewidmet, er präsentiert Arbeiten auf Papier mit Kohle und Grafit. Jene in der Broschüre zeigt eine Walnuss und darüber ein rätselhaftes, vielarmiges Fabelwesen. Siegfried Horst, Meister des schnellen Strichs, beglückt wieder einmal mit seinen expressiven Porträts, von denen jedes einzelne viel mehr sagt als tausend Worte. Ulrike Pfeiffer wiederum hat ein ganz persönliches "Art-Schutz-Programm" entwickelt - "zur Eindämmung des Verlustes an künstlerischer Vielfalt", wie sie erklärt. Die Serie aus Collagen zeigt Insekten, die so schutzbedürftig wie freundlich wirken, die kleine Raupe Nimmersatt lässt grüßen!

Große Sorgen macht sich auch Stefan Pillokat, der sich neben der Holzkunst der Clownerie und dem Zirkus verschrieben hat. Diese "Unterhaltungsarbeit für Menschen jeden Alters" kann er jedoch derzeit nicht ausüben, "die Räder stehen still". Eine bedrohliche Situation. Umso froher und dankbarer ist Pillokat, dass er sich auch noch anderweitig künstlerisch entfalten kann: "Meine Sägen und Werkzeuge sind oft im Einsatz, viele große Holzstücke werden allmählich zu Kunstwerken. Wichtig ist, dass wir nicht aufgeben, sondern weitermachen, unsere Ziele verfolgen, unseren Vorstellungen treu bleiben und den Spaß an der Freude nicht verlieren..."

Die Kunst von abstrakt bis gegenständlich befindet sich hinter Glas. (Foto: Veranstalter)

Das ist ein gutes Stichwort für Peter Böhm: Der Anzinger hat neben seinem Haus sechs große Planen aufgehängt, die humorvoll dazu anregen sollen, über das Thema Kunst nachzudenken. Zu sehen sind bunte Motive von Böhms "Vulc-Art" sowie kurze bayerische Sentenzen - laut Böhm "typische Kommentare von Menschen, die Kunst anschauen, aber nichts damit anfangen können". Zum Beispiel "ohnedadiertois" oder "feischosche" oder auch "vuizdeia". Besucher, die Bairisch sprechen, sind hier also im Vorteil, vor allem auch, weil die Wörter direkt aneinandergereiht sind.

Jenseits der Schaufenster-Schau kann man sich virtuell einen Einblick verschaffen in die Arbeit von Kunststoff, mittels der neuen Website www.kunststoff-art.de. Dort gibt es die sämtliche Broschüren zum Blättern. Außerdem kann man eine Kunsttour durch die verlinkten Künstler-Websites unternehmen - und sich dabei schon mal auf den Herbst freuen.

Fensterausstellung "Kunststoff": Samstag und Sonntag 16./17. Mai im Foyer des Bürgerhauses Poing, in der ehemaligen Metzgerei Gackstätter in Anzing (Högerstraße 38) und bei Peter Böhm, ebenfalls in Anzing (Högerstraße 12).

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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