Kunstprojekt im Landkreis Ebersberg:Aufruf zum Selbstschutz

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Zeichen gegen Gewalt und Zwang sowie für Freiheit und Humanismus: Peter Kees schwenkt im Ebersberger Kunstverein die weiße Fahne. (Foto: Christian Endt)

Der Steinhöringer Aktionskünstler Peter Kees lädt angesichts der Pandemie ein zu einer partizipativen Intervention: Möglichst viele Menschen sollen die weiße Fahne hissen.

Interview von  Anja Blum

Musikbühnen, Theater und Museen haben schon wieder geschlossen, die Pandemie trifft die Kultur- und Veranstaltungsbranche besonders hart. Auf manche Kreative aber scheint diese bisher nie dagewesene Situation indes wie ein Katalysator zu wirken. Peter Kees zum Beispiel, Aktionskünstler aus Steinhöring, macht seit Anfang des Jahres immer wieder von sich reden. Kein Wunder: Er versteht sich als "Chronist und Vermesser gesellschaftlicher und menschlicher Phänomene", möchte "Momente kollektiver wie subjektiver Grenzerfahrung" thematisieren und konzeptionell wie formal-ästhetisch in sein Werk einbinden. Kees arbeitet dabei mit verschiedenen Medien, von Interventionen über Performances bis hin zu Video und Fotografie. Nun ruft er unter dem Titel "Weiße Fahne" zu einer partizipativen Intervention auf.

SZ: Herr Kees, die Kultur liegt am Boden - aber Ihnen als Aktionskünstler scheint es ganz gut zu gehen derzeit. Richtig?

Peter Kees: Ja und nein. Die aktuellen Entwicklungen - vor allem die gesellschaftlichen Veränderungen und die Not meiner Branche - sehe ich mit großer Sorge und bin natürlich auch selbst davon betroffen. Andererseits kann ich persönlich nicht nur klagen. Da ich es für zwingend notwendig halte, dass sich die Künste gerade jetzt in die gesellschaftlichen Prozesse einmischen, sprudelt meine Kreativität: Erst hatte ich eine Ausstellung in Berlin, mit der Künstlergruppe "Die Bekenner", war Artist in Residenz beim "Zukunftsvisionenfestival" in Görlitz, dann kam der offene "Aktionsraum 2" beim Ebersberger Kunstverein, zwei wahnsinnig spannende Wochen, und zuletzt ebendort die "Konzerte 1:1", Improvisationen am Flügel für jeweils nur einen Zuhörer.

Woran liegt es, dass Corona Sie offenbar derart inspiriert?

Naja, ich denke wie viele andere auch, dass die Pandemie die derzeit stattfindenden politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Umbrüche wie unter einem Brennglas zeigt. Ob Digitalisierung, eine sich verändernde Arbeitswelt, ein rasant wachsender Kapitalismus, neu aufkommender Nationalismus, die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft oder der Klimawandel: Die aktuellen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und gesellschaftlichen Prozesse verändern das Leben vieler Menschen. Unsicherheiten, Ungewissheiten und Ängste lassen die Zukunft fragil erscheinen. Und in meinen Augen ist genau das ein Moment, in dem die Kunst aktiv werden, Stellung beziehen oder zumindest Debatten anstoßen muss. Deswegen hatte ich ja auch alle Interessierten eingeladen, sich im Aktionsraum zur aktuellen Lage zu äußern - auf welche Weise auch immer.

Und nun das Projekt "Weiße Fahne". Was verbirgt sich dahinter?

Ich möchte Menschen bitten, sich mit einer weiße Fahne alleine an einen selbst gewählten Ort zu stellen und fotografieren zu lassen. Anschließend sollen sie mir dieses Bild digital schicken und, wenn möglich, auch die Fahne, diese analog natürlich. Sie kann auch gerne selbstgebaut sein, beispielsweise aus einem Stock und einem Bettlaken.

Wer kann, soll, darf da teilnehmen?

Jeder, der möchte. Je mehr Menschen mitmachen, desto besser.

Und was passiert dann mit den Fotos und Fahnen?

Ich werde diese partizipative Intervention auf jeden Fall dokumentieren. In welcher Form genau, ob als Ausstellung, Buch oder online, steht noch nicht genau fest. Deswegen brauche ich auch von jedem, der mir ein Foto schickt, eine Einverständniserklärung, dass das Bild im Rahmen des Projektes verwendet werden darf. Übrigens: Jetzt im Dezember werden die ersten weißen Fahnen und Fotos im Künstlerforum Remagen zu sehen sein. Dorthin hat mich eine Teilnehmerin des Aktionsraum 2 eingeladen, zu ihrem Projekt "Kunst als Ort", einer Art Artist in Residenz-Programm.

Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet mit weißen Fahnen ein Zeichen zu setzen?

Die weiße Fahne gehört zu den Schutzzeichen und ist universell verständlich. Sie symbolisiert Unverletzlichkeit, Missbrauchsverbot sowie Kapitulation.

Wir sollen also vor der Corona-Pandemie kapitulieren?

Nein, aber deren Auswirkungen auf anderen Ebenen im Auge haben. Es geht um Selbstschutz und darum, Signale zu senden. Mit der weißen Fahne in der Hand ergeben Sie sich und machen darauf aufmerksam, nicht verletzt werden zu wollen. Nicht verletzt vom rasant wachsender Kapitalismus, dem neu aufkommenden Nationalismus, den zunehmenden sozialen Problemen oder dem Klimawandel. Sie ergeben sich auch vor dem Shitstorm, den sich Menschen aus unterschiedlichen Lagern zunehmend radikaler an den Kopf werfen. Sie setzen ein Zeichen gegen Gewalt, Nötigung, Unfreiheit und Zwang und für Freiheit und Humanismus.

Viele Menschen empfinden vor allem die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie als Nötigung... Geht Ihre Aktion auch in diese Richtung?

Das Virus nehme ich selbstverständlich ernst. Und natürlich muss man etwas tun. Nur die Art und Weise, wie Maßnahmen verordnet werden, ist mitunter fragwürdig. Erschreckend aber ist vor allem, wie die wirklich gesellschaftlich notwendigen Veränderungen verschleppt, verschlafen, versäumt und verhindert werden.

Wer an der Aktion teilnehmen möchte: Fotos bitte per Mail an post@peterkees.de und Fahnen per Post an Peter Kees, Buchenweg 19 in 85843 Steinhöring.

© SZ vom 08.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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