Süddeutsche Zeitung

Krippenweg in Ebersberg:Wo sogar eine Schildkröte das Jesuskind besucht

Der Krippenweg in der Kreisstadt verblüfft und begeistert diesmal mit mehr als 70 Exponaten in den Schaufenstern. Zu sehen ist er noch bis 4. Januar

Von Michaela Pelz

Es ist kalt, an diesem Morgen, immer wieder fallen ein paar Flocken vom Himmel, aber wenn das Team des Ebersberger Krippenwegs zur Erkundung der nunmehr fünften Auflage einlädt, sagt man nicht nein. Also Schneehose an und los! Thomas Warg und Roswitha Hülser (der dritte Krippenführer im Bunde, Robert Bauer, ist leider verhindert) warten schon vor dem Rathaus. Dort, gleich links, im Schaufenster des Bürgerbüros befindet sich die prachtvolle orientalische Krippe von Jürgen Lothmann. Wer ganz genau hinschaut, erspäht, inmitten von zahlreichen anderen Tieren und Menschen, am Fuß einer Treppe den Liebling aller Kinder: Eine kleine Schildkröte.

Sie ist der beste Beweis für den Ausspruch von Franz Kisters: "Jeder findet Platz an der Krippe!" Ohne die Initialzündung des leidenschaftlichen Krippenbauers gäbe es den Ebersberger Krippenweg wohl nicht. Ganz wichtig sei aber auch die Unterstützung durch den Bund der Selbständigen, sagt Warg. Dass die Geschäftsleute nicht nur finanziell, sondern mit Leib und Seele hinter dem Projekt stehen, beweist Martin Schug vom gleichnamigen Modehaus. In gleich fünf seiner Schaufenster sind die Gebäude eines ganzen Krippendorfs mit Sägewerk, Hammer- und Hufschmiede aufgebaut.

Zwei Buben haben eine Krippe aus Marzipan und Lebkuchen gebaut

Geschaffen hat sie im Zeitraum von sechs Jahren der Salzburger Erich Grundner, der über die sozialen Medien auf das Ebersberger Projekt aufmerksam wurde. Viele der von dem Tüftler und Ingenieur verwendeten Teile stammen vom Flohmarkt, die Bohlen aus geöltem Nussbaumholz, auf denen alles steht, sind 400 Jahre alt. "Ewig schade, dass Dächer auf den Häusern sind, sonst könnte man sehen, dass die Mechanik voll funktionsfähig ist," sagt Schug, als er mit leuchtenden Augen auf kleinste Details wie etwa den verschiebbaren Riegel an einer Holztruhe aufmerksam macht.

Auch Bäckermeister Martin Freundl hat allen Grund, voll des Lobes über "seine" Krippen zu sein. Das von der Straße aus sichtbare Exemplar mit den Dachschindeln wurde gebacken und zusammengesetzt von Azubis, zu denen auch Geflüchtete gehörten. Das Gebilde aus Marzipan, Lebkuchen und Baiser im Inneren des Ladens hingegen fertigten, begleitet von Bäckern und Konditoren, zwei Brüder, damals gerade mal elf und zwölf Jahre alt. "Mit bewundernswerter Freude, Präzision und viel Durchhaltevermögen haben sie sechs bis acht Wochen lang in ihrer Freizeit daran gearbeitet", sagt Freundl.

Hört man die Namen der beiden Buben, verwundert das nicht: Yannick und Raphael sind die Söhne von Stephan Kühnlein, seit 2018 Organisator des Krippenwegs, nachdem Franz Kisters nach Bad Wiessee gezogen war. Mutter Diana Kühnlein wiederum hat nicht nur die Krippen-Schnitzeljagd für Kinder konzipiert, sondern mit anderen Ehrenamtlichen auch die Egli-Figuren in der Kirche Sankt Sebastian hergestellt. Wie die Religionslehrerin erklärt, lassen sich mit diesen handgemachten Puppen ohne Gesicht, deren Ausdruck rein aus der Gestik entsteht, biblische Szenen spielerisch und anschaulich darstellen. Schon lange sind sie während der Fasten- und Osterzeit im Einsatz. Dieses Jahr gibt es nun erstmals fünf Stationen zum Thema "Weihnachten".

Ein Exemplar besteht aus einer wuchtigen Wurzel, ein anderes aus Papier

Doch die Pfarrkirche hat noch eine weitere Besonderheit zu bieten: eine ganzjährige Osterrieder-Krippe. Dabei handelt es sich um ein beleuchtetes Diorama, dessen Ausgestaltung vom jeweiligen Zeitpunkt im Kirchenjahr abhängt. Momentan sieht man die "Verkündigung"; das Christkind ist erst an Weihnachten dran, die Heiligen Drei Könige müssen bis zum 6. Januar warten. Um Auf- und Umbau kümmert sich Jakob Widmann. Der 16-jährige Landmaschinenmechaniker in spe gehört schon seit 2017 zum Team des Krippenwegs. Nun hat er erstmals auch selbst etwas gestaltet: eine Wurzelkrippe (Drucker-Tankstation). Sie wirkt klein und zierlich, verglichen mit Kisters' "Wurzelstock mit Jesuskind" (Friseur Stinauer). Das mag am Gewicht des Ausgangsmaterials liegen - schätzt Warg doch das vom "Krippenpapst" bei einer Bergtour entdeckte und per Kraxe ins Tal beförderte Trumm auf etwa vierzig Kilo.

Deutlich leichter ist die Papierkrippe (Café Schweiger), früher auch als Arme-Leute-Krippe bekannt. Grundlage des wimmeligen 3-D-Gebildes ist ein Bastelbogen. Der Abbau? Ein Klacks! Ebenso wie bei den Krippen im Näh- und Brotkasten (Britnet GmbH) und im Geigenkasten (Tierarzt Lämmle), Lieblingskrippe von Warg und Hülser.

Deutlich aufwendiger dürfte es sein, die unglaublich vielen Einzelteile der beeindruckenden Neapolitanischen Krippe von Friseurin Eva Reif wieder zu verstauen. Was 1990 mit der Heiligen Familie begann (gekauft statt der eigentlich geplanten Aussteuer), erstreckt sich mittlerweile über gut vier Meter und enthält lustige Details wie Spiegelei bratenden Hirten und Römer mit Maßkrug.

Bei einer Führung erfährt man viel Spannendes

Doch neben diesen zum Schmunzeln einladenden Krippen gibt es auch die aus dem Grulicher Ländchen (Betten Glufke), die von Krieg und Vertreibung erzählt und von einem Siebenjährigen, der ohne das Wissen der Eltern vor der Flucht statt warmer Kleidung Krippenfiguren in den Tornister packt. Und es gibt die "Reichenbachbrücke" (Appler und Wöhry Immobilien), unter der die Obdachlosen neben dem Jesuskind im Einkaufswagen schlafen, während über ihnen die feinen Leute schwere Tüten zu ihren Luxuskarossen schleppen. Sie ist das letzte Werk von Franz Kisters, der sich vor allem mit der fünf Meter langen Stadtkrippe (E-Einz) ein Denkmal gesetzt hat. Die sanft gewellte Landschaft mit zahllosen Gebäuden, Figuren, spannenden Details, von denen ganz viele eine eigene Geschichte haben, war sein Geschenk an Ebersberg, nachdem sie fünf Jahre in seinem Keller ihr Dasein fristete.

An dieser Station ist nach 130 Minuten Presseführung Schluss - und doch bedauert man fast, nicht noch weitere zwei Stunden den spannenden Erzählungen von Warg und Hülser lauschen zu können. Dazu wäre allerdings bis zum 4. Januar noch reichlich Gelegenheit: Neben den freien Führungen (jeweils dienstags und samstags um 17 Uhr, Treffpunkt am Rathaus) gibt es auch solche für Gruppen nach Vereinbarung. Sie dauern sechzig bis neunzig Minuten, sind immer wieder unterschiedlich und finden bei jedem Wetter statt. Dank Plan zum Download auf www.ebersberger-krippenweg.de kann man die Strecke aber auch alleine erkunden. Je nach Witterung notfalls im Schneeanzug.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2019
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