„Ein Märchen mit ganz viel Salat“, kündigen die Schauspielerinnen Kristina Feix und Franziska Hoffmann vom Theater Kranewit ihr Stück an. „Ohne Rapunzel sterbe ich!“, ruft Feix leidvoll in die Menge. Ein Lachen geht durch die Reihen und als auf der Bühne schließlich der ganze Rapunzel-Salat aufgegessen wird, ruft eine Kinderstimme entsetzt „Oh Gott!“.
Es ist ein junges Publikum, das an diesem Nachmittag das Alte Kino bevölkert. Es ist die letzte Vorstellung der diesjährigen Kindertheatertage in Ebersberg, und viele Familien sind der Einladung zu einer Neuinszenierung eines alten Märchens der Gebrüder Grimm gefolgt: Die beiden Darstellerinnen von Kranewit haben „Rapunzel“ im Gepäck.

Ständig springen sie zwischen Rollen hin und her und entwerfen ihre ganz eigene Märchenwelt. Feix, die an der Schauspielschule Ernst Busch studiert hat, war 2003 an der Gründung des Theaters beteiligt, seit 2013 leitet sie es. Gemeinsam mit Hoffmann entwirft sie zahlreiche Inszenierungen. Für gutes Kindertheater, sagt sie, müsse man die jungen Zuschauer unbedingt ernst nehmen. „Kinder sind unerbittlich und sehr direkt“, erklärt sie. Außerdem, da sind sich Hoffmann und Feix einig, sollte genügend Raum für Fantasie gelassen werden. „Nichts erklären und lieber mit der Abstraktion arbeiten“, sagen die beiden Mütter und nennen als Lehrmeister ihre eigenen Kinder. „Wenn das Theater gut ist“, sagt Feix und lächelt, „dann liegt das an ihnen.“
Als auf der Bühne dann Rapunzel geboren und ihre Mutter angewiesen wird, tief ein- und auszuatmen, fragt ein Mädchen ganz interessiert: „Das muss man machen?“ – und schon ist Rapunzel auf der Welt. Bald darauf wird sie von der bösen Gothel, dargestellt durch eine übergroße, grau-wallende Figur, in einen hohen Turm gesperrt. „Mir kann ja nichts passieren, weil ja nichts passiert“, ruft die gefangene Rapunzel in das begeisterte Publikum.

Bald darauf kommt der Prinz ins Spiel, hört Rapunzel aus der Ferne singen und fragt: „Bist du denn so schön wie dein Gesang?“ Rapunzel schaut irritiert. „Muss ich denn schön sein?“, fragt sie skeptisch, „bist du denn schön?“ Der Prinz beginnt zur Freude der Kinder sehr unbeholfen, den Turm zu erklimmen, bis Rapunzel ihn aufklärt. „Sag mal: Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“, rät sie ihm. Aus dem Parkett ertönen immer wieder Ausrufe und Lachen, die Kinder scheinen die Vorstellung zu genießen – bis auf die Stelle, wo der Prinz und Rapunzel „sich herzen und küssen“. „Bäh“, lautet dann der Tenor. Die Eltern schmunzeln.
„Sorge, Schutz, Übergriffigkeit“, Feix sammelt Begriffe, um die Themen, die das Stück aufgreift, zu beschreiben. Wer ist Rapunzel eigentlich, und was sagt das Märchen aus? Einen Wunsch hegen, das Verbotene, die Enttäuschung im Gefängnis, zählen Hoffmann und Feix auf. In Märchen fänden sich so viele Themen, viel Psychologisches, viel Archaisches. Auch in die Requisiten sind viele Gedanken und sicherlich einige Zeit geflossen. Den mit Efeu gestalteten Turm beispielsweise haben die beiden Frauen selber gebaut. „Das ist die Handschrift Kranewit“, sagt Hoffmann: Requisiten aus Fundstücken und eigener Gestaltung. Ihr Reisetheater, berichten die beiden, sei im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs: „von Husum bis Österreich“, und manchmal auch darüber hinaus, wenn es nach China oder Indonesien geht.
Die sechsjährige Frieda und die achtjährige Tilda sind bereits erfahrene Theaterbesucherinnen. „Hundertmal“ sei sie schon im Theater gewesen, sagt Frieda. Was den beiden an dem Stück gefallen hat? „Alles!“, rufen sie. Dass Theater besser als Kino sei, so weit würden die Mädchen allerdings nicht gehen...