Erwachsenenbildung im Landkreis:Nah am Nerv

Erwachsenenbildung im Landkreis: Optik und Umfang der Programmübersichten haben sich in den letzten 50 Jahren gewaltig geändert, wie man an den 98 Broschüren sieht.

Optik und Umfang der Programmübersichten haben sich in den letzten 50 Jahren gewaltig geändert, wie man an den 98 Broschüren sieht.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

50 Jahre KBW: Auch nach einem halben Jahrhundert bietet das Kreisbildungswerk Ebersberg neue Impulse, nicht nur für Familien. Wie sein Programm den Wandel der Gesellschaft widerspiegelt.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Die Stimme am Telefon klingt frisch und vital. Launig berichtet der Mann am anderen Ende der Leitung von seinen Erlebnissen und Erfahrungen mit dem Kreisbildungswerk (KBW) Ebersberg, dem er schon seit dessen Gründung verbunden ist. Sie fand statt vor genau 50 Jahren, am 27. Juni 1972 nämlich - Gesprächspartner Adalbert Mischlewski war damals 52 Jahre alt. Auf dem allerersten Programm, einem Faltblatt mit 28 Einträgen für 44 Veranstaltungen, ist der heute 102-jährige Theologe und Lehrer aus Grafing mit dem Vortrag "Angst vor der Zukunft" und als Leiter des "Ökumenischen Bibelgesprächs" aufgeführt.

"Wir sind ein kleines Bildungswerk in einem kleinen Landkreis", sagt Hubert Schulze, seit 2019 Vorsitzender des KBW-Vereins. Das gelte aber nur für das Personelle, in Sachen Angebot müsse man sich absolut nicht verstecken. Im Jahr 2019, bevor alles wegen der Pandemie auf ein Drittel schrumpfte, waren es 736 Veranstaltungen mit 5325 Doppelstunden für 12 980 Teilnehmende.

Der Themenmix reichte einst von Verhütung bis Atomenergie

Ein stolzer Zuwachs - verglichen mit dem ersten Jahr, in dem etwa 2000 Personen zu Kursen und Vorträgen kommen. Zu diesen gehören Anfang der 70er Jahre etwa die "Brautleutetage" für Menschen kurz vor der Eheschließung. Bestimmt nicht nur für sie interessant: die Programmpunkte "Verhütungsmittel" und "Vermögensbildung". Im weiteren Verlauf der ersten Dekade geht es dann um "Sinn und Unsinn von Entwicklungshilfe" oder um Atomenergie, es gibt aber auch Volkstanztreffen oder Wissenswertes "rund um die Wäschepflege".

Erwachsenenbildung im Landkreis: Vorsitzender Hubert Schulze, Geschäftsführerin Andrea Splitt-Fischer und "Gründervater" Klemens Siebert vor dem "Klösterl", der KBW Geschäftsstelle in Ebersberg.

Vorsitzender Hubert Schulze, Geschäftsführerin Andrea Splitt-Fischer und "Gründervater" Klemens Siebert vor dem "Klösterl", der KBW Geschäftsstelle in Ebersberg.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Um den Betrieb am Laufen zu halten, stehen aktuell sechs Vollzeitstellen in den Bereichen Verwaltung, Ehrenamtskoordination, Familien- und Seniorenbildung sowie Digitales und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung, verteilt auf 14 Personen. Auch hier also ein großer Unterschied zu den Anfängen, als Klemens Siebert, Gründungsvorsitzender und damals noch in Personalunion (und ehrenamtlich) Geschäftsführer, für praktisch alles zuständig war. Ihm zur Seite stand Irmgard Otter, Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft. Erledigt wurde die Arbeit im heimischen Wohnzimmer, Büroräume gab es erst vier Jahre später.

Die Gründung wurde von der Kirche angeregt, der Verein agiert jedoch eigenständig

Wenn Siebert, ein deutlich jünger wirkender 83-Jähriger, von dieser Gründungszeit erzählt, spürt man, wie stolz er immer noch ist auf das, was da entstanden ist. Sein Ziel sei es gewesen, Menschen aus dem Ebersberger Landkreis zusammenzubringen - gedacht habe er aber auch: "Kann das Kreisbildungswerk so offen sein und Themen aufgreifen, die vielleicht der Kirche nicht schmecken?" Das war es, darum wurden immer auch strittige Themen offen behandelt.

Warum diese Offenheit immer noch möglich ist, erläutert der heutige Chef Schulze: "Als eingetragener Verein sind wir eigenständig, keine Außenstelle der Erzdiözese München und Freising ." Diese allerdings hatte Ende der 60er Jahre angeregt, die Strukturen kirchlicher Bildungsarbeit mit Erwachsenen, wie es sie ab 1945 gab, auf Kreisebene zu koordinieren, was dann zur KBW-Gründung führte. In Ebersberg waren daran zehn Pfarrgemeinden beteiligt, außerdem diverse katholische Verbände und Vereine.

Siebert, der 1971 nach Grafing gezogen war, schien die passende Wahl für den Chefposten, war er doch im Landkreis stark eingebunden, gut vernetzt und zudem als Lehrer mit Bildungsarbeit vertraut. Doch er betont, dass es von Anfang an Unterstützung auch von Seiten der Politik gegeben habe: "Intensiv eingebracht haben sich der damalige Bürgermeister Vollhardt, Herr Beham als stellvertretender Landrat und Landrat Streibl."

Von Waldsterben und Kriegsdienst bis zu Gentechnologie oder Hausarbeit ohne Stress

Im Programm über die vielen Jahre zu beobachten ist eine Kontinuität bei den Schwerpunkten Religion und Spiritualität, Familie, Gesellschaft und Politik, Kunst und Kultur, hinzu kamen im Lauf der Zeit Gesundheitskurse und das "Netzwerk Trauer". Denn das KBW trifft oft einen Nerv, sein Angebot bildet den gesellschaftlichen Wandel ab und kann daher als eine Art soziologischer Pulsmesser gelesen werden.

Anfang der Achtziger beschäftigt man sich etwa mit "Jugendsekten", mit dem "§218" und dem "Sterben unserer Wälder". "Kriegsdienstverweigerer" sind ebenso ein Thema wie "Umweltschutz im Haushalt" und "Gewalt im Fernsehen". Zunehmend wendet man sich dann Fragen wie "Gentechnologie" zu und nimmt Familien, Frauen ("Hausfrau sein ohne Stress") oder die ältere Generation in den Fokus.

Erwachsenenbildung im Landkreis: Als der Gründungsvorsitzende nach 13 Jahren in den Geschäftsführenden Ausschuss wechselt, bekommt er ein Buch mit allen Programmheften.

Als der Gründungsvorsitzende nach 13 Jahren in den Geschäftsführenden Ausschuss wechselt, bekommt er ein Buch mit allen Programmheften.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch Gründer Siebert wird älter, sein berufliches Engagement nimmt zu. Er wird Schulleiter in Moosach, darum gibt er 1985 nach 13 Jahren den Vereinsvorsitz ab und wechselt in den Geschäftsführenden Ausschuss. Und während er 1992 die Leitung der Hauptschule Kirchseeon übernimmt, rückt im KBW die Ernährung ins Blickfeld: "Kampf der Milchschnitte", "Kochkurs für Männer" oder "Heilfasten-Wanderwochen" heißt es nun im Angebot.

Von 1984 an ist das Eltern-Kind-Programm (EKP) ein ganz wichtiges Standbein. Petra Weber aus Anzing kennt das Konzept schon mehr als 30 Jahre - erst als Teilnehmerin, seit 1995 als Gruppenleiterin. Die vierfache Mutter schätzt dabei vor allem den Austausch: "Schwangere und junge Mütter finden hier immer Ansprache, und auch die Kleinen lernen unglaublich viel durch den festen Rahmen, der Orientierung gibt."

1998/99 geht das Kreisbildungswerk online, Computerschnupperkurse gewinnen an Bedeutung. Genauso wie die Frauenbildung - etwa in Sachen Finanzen. Nach dem Jahrtausendwechsel wird immer häufiger die "Gerechte Welt" zum Thema. Es geht um Lebensqualität, Gesundheit und Kreativität, aber auch um den interreligiösen Dialog, Sinn und Orientierung, Wissen und Weiterbildung.

Erwachsenenbildung im Landkreis: Eine Seite aus dem Reisetagebuch von Klemens Siebert als Erinnerung an die Studienfahrt nach Ephesus 2008.

Eine Seite aus dem Reisetagebuch von Klemens Siebert als Erinnerung an die Studienfahrt nach Ephesus 2008.

(Foto: Klemens Siebert/privat)

Besonders stolz ist Siebert auf zwei große Bereiche des KBW, die er maßgeblich ins Leben gerufen hat: zum einen das Patenprojekt, bei dem Jugendliche rund um ihren Abschluss unterstützt werden. Und dann die Studienfahrten, etwa nach Bulgarien, Griechenland, Italien, in die Türkei und an viele andere Orte, die Siebert zwischen 2008 und 2019 geleitet hat. Stets erstellte er dabei im Vorfeld Infoflyer für die Teilnehmenden und anschließend einen Erinnerungsband. Von den 60 bis 70 Reisewilligen zwischen 20 und 60 Jahren seien manche bis zu acht Mal dabei gewesen, erzählt er, so manch in der Ferne neu entstandene Freundschaft bestehe bis heute.

Das Bildungswerk ist an 27 Orten im Landkreis vertreten

Ein großes Plus des Ebersberger KBW ist seine Präsenz in der Fläche. Anfangs war man an vier, schon zwei Jahre später an 27 Orten im Landkreis vertreten. Dank der Kooperation mit den Pfarreien können nicht nur in den Zentren Veranstaltungen abgehalten werden. Getragen wird das Angebot durch ehrenamtlichen Einsatz, sowohl vor Ort, als auch teilweise vonseiten der Referenten. Das KBW leistet Unterstützung durch Werbung, Logistik, Organisation und Fachberatung. Als Planungshilfe stellt es Themenvorschläge und einen Referentenpool, außerdem bietet es Fortbildungen an. "Aber es ist immer ein Geben und Nehmen", sagt Schulze. "Wir leben von den Ideen, die vor Ort geboren werden."

Die Finanzierung erfolgt über einen Mix: Neben kirchlichen Mitteln und staatlichen Zuwendungen spülen die Teilnahmegebühren Geld in die Kasse des Vereins. Allerdings soll beim KBW "Bildung bewusst ein niederschwelliges Angebot sein - und nicht nur für die, die es sich leisten können", wie Geschäftsführerin Andrea Splitt-Fischer betont.

Seine Bedeutung sieht das Ebersberger KBW in der Devise "lebenslanges Lernen". Es versteht sich als Podium für eine offene Diskussion aktueller Themen - heute sind das etwa "Schafft sich die Kirche selber ab?", "Hasskommentare im Netz" oder "Besser leben ohne Plastik". Dabei geht es laut Schulze aber nicht um die Vermittlung von christlichen Werten als starre Glaubenssätze - vielmehr zähle der Mensch. Auch kirchenferne Personen seien sehr willkommen.

Für die Fülle der Veranstaltungen reicht das zweimal jährlich erscheinende Magazin längst nicht mehr aus. Zumal es zahlreiche Veranstaltungsreihen mit Netzwerkpartnern gibt, etwa die Wochen der Toleranz oder der Büchereien. Darum greift das knapp 60-seitige Magazin vom Frühjahr/Sommer 2022 nur einige Einzeltermine heraus und stellt dabei spezielle Themen wie Biografiearbeit, den mehrsprachigen Elterntalk oder "Sport inklusiv" im Rahmen von Fortbildungen für pädagogisches Personal vor. Alles andere decken Einzelbroschüren ab.

Jubiläumsfeier am 26. Juni in Poing

Seinen 50. Geburtstag begeht das Ebersberger Kreisbildungswerk am Sonntag, 26. Juni, mit einer großen Jubiläumsveranstaltung. Im Programm: Artist Johannes Böhriger sowie Pantomimin Anhelina Terlyha und Magier Oleksandr Solyanik, letztere sind Talente aus der renommierten Zirkusschule in Kiew und aufgrund des Krieges in München gelandet. Auch ihre Mitwirkung verdeutlicht, was das KBW ausmacht, nämlich Verbindungen zu schaffen und Brücken zu bauen. Oder, wie Petra Weber sagt, die unlängst eine ukrainische Mutter in ihre Spielgruppe aufgenommen hat: Das Kreisbildungswerk "hilft unheimlich dabei, Leute kennenzulernen und sich an einem Ort wohlzufühlen".

Erwachsenenbildung im Landkreis: Auch mit seinem Eltern-Kind-Programm hilft das KBW jungen Familien, in ihrem neuen Alltag anzukommen.

Auch mit seinem Eltern-Kind-Programm hilft das KBW jungen Familien, in ihrem neuen Alltag anzukommen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Definitiv wohlgefühlt hat sich offenbar auch Adalbert Mischlewski bei seinen Aktivitäten für das KBW. "Das war auch für mich immer sehr bereichernd", sagt er etwa über die Studienreisen "in bunt gemischter Gesellschaft", die er bis 2008 angeboten hat. "Beim Abendessen tauten immer alle auf, man besprach etwas vom Tag, es gab immer welche, die noch gesungen haben. Das war stets ein Höhepunkt." Sehr geschätzt habe er aber auch die Ökumeneabende, an denen die Teilnehmer absolut jede Frage hätten stellen können. Lachend erzählt er, wie jemand einmal gesagt habe, das sei der einzige Ort in Grafing, an dem jeder frei reden könne.

Für die (kostenfreie) Teilnahme an Festgottesdienst und Festakt am Sonntag, 26. Juni, von 14 Uhr an in Poing wird um Anmeldung gebeten per Mail an info@kbw-ebersberg.de oder unter (08092) 85 07 90.

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