KindeswohlgefährdungWenn die Eltern gewalttätig werden

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Auch im Landkreis Ebersberg werden Kinder und Jugendliche immer wieder Opfer von häuslicher Gewalt. Mehr als 100 Mal musste das Jugendamt im vergangenen Jahr einschreiten.
Auch im Landkreis Ebersberg werden Kinder und Jugendliche immer wieder Opfer von häuslicher Gewalt. Mehr als 100 Mal musste das Jugendamt im vergangenen Jahr einschreiten. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Zuletzt waren die Fälle der Kindeswohlgefährdung im Landkreis Ebersberg zurückgegangen – wohl auch bedingt durch die Pandemie. Nun aber steigen die Zahlen wieder. Beim Jugendamt beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Egal, ob Tag oder Nacht, Regen oder Schnee – die Mitarbeiter des Ebersberger Jugendamtes müssen immer bereit sein. Mehr als 100 Mal mussten sie im vergangenen Jahr eingreifen, weil akute Gefahr im Verzug war. Dann nämlich, wenn der Verdacht besteht, dass Kinder und Jugendliche von ihren Eltern geschlagen oder anderweitig misshandelt werden. Zuletzt waren die Fallzahlen der sogenannten Kindeswohlgefährdung im Landkreis zurückgegangen, nun aber steigen sie wieder. Das ist eine Entwicklung, die man im Jugendamt mit Sorge verfolgt.

„Wir haben versucht, ein Muster zu erkennen, aber wir haben keines gefunden“, sagte Jugendamtsleiter Florian Robida in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses des Kreistages, als er die aktuellen Entwicklungen vorstellte. Konkret ging es den Mitarbeitern in der Kreisbehörde darum, etwaige Spitzen der Fallzahlen im Jahresverlauf festzustellen – etwa um Weihnachten herum oder vor den Sommerferien, wenn es die Schulzeugnisse gibt. Solche seien jedoch nicht zu erkennen, wie Robida sagte. „Es kommt, wie es kommt.“ Was sich allerdings durchaus feststellen lässt: Die Fälle von Kindeswohlgefährdung im Landkreis Ebersberg nehmen insgesamt wieder zu.

In besonders schweren Fällen müssen die Kinder von ihren Eltern getrennt werden

Dem Jugendamt kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu, denn dessen Mitarbeiter sind nicht nur für die Gefährdungseinschätzung verantwortlich, sondern müssen in besonders schweren Fällen auch eine Inobhutnahme der Kinder und Jugendlichen anordnen. Auch im Landkreis kommt es immer wieder vor, dass der Nachwuchs von seinen Eltern getrennt und zumindest übergangsweise bei einer Pflegefamilie untergebracht werden muss. Die Zahlen schwankten dabei laut Robida in den vergangenen fünf Jahren zwischen neun und 19 Fällen pro Jahr. Oder anders gesagt: „Bei etwa zehn bis 15 Prozent der Fälle einer Gefährdungseinschätzung wird eine Inobhutnahme angeordnet“, wie der Jugendamtsleiter erklärte.

Pflegefamilien
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In Ebersberg gibt es mehrere Bereitschaftspflegefamilien, die kurzfristig vom Jugendamt vermittelte Kinder aufnehmen. Weil die Eltern immer häufiger mit der Erziehung überfordert sind, ist der Bedarf dafür in den vergangenen beiden Jahren enorm gestiegen.

Von Andreas Junkmann

Wann die Behörde zu so einer Maßnahme greifen darf, ist im Sozialgesetzbuch geregelt. Dort heißt es unter anderem, dass eine Inobhutnahme dann möglich ist, wenn das Kind oder der Jugendliche selbst darum bittet, oder „eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert“. In solchen Fällen kann es passieren, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes tatsächlich zusammen mit der Polizei ausrücken müssen, um die Kinder vor einer akuten Gefahr zu beschützen – auch nachts oder am Wochenende. Meist aber werden mögliche Kindeswohlgefährdungen von den Erzieherinnen und Erziehern in Kindergärten oder Kitas bemerkt und an die Behörde herangetragen.

Geht eine solche Meldung beim Jugendamt ein, wird ein standardisierter Prozess in Gang gesetzt, wie Florian Robida in der Sitzung erklärte. Zunächst werde der Hinweis auf Qualität und Seriosität geprüft, ehe ein Mitarbeiter des Jugendamtes zusammen mit der pädagogischen Leitung der jeweiligen Einrichtung eine erste Einschätzung des Gefährdungsrisikos vornimmt. Je nachdem, welches Ergebnis dabei herauskommt, sucht das Jugendamt den persönlichen Kontakt mit den Betroffenen, womöglich auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Stellt sich dabei heraus, dass eine massive Gefährdung des Kindes oder des Jugendlichen vorliegt, wird eine Inobhutnahme angeordnet und – falls notwendig – eine Entscheidung des Familiengerichts eingeholt.

Inzwischen sind die Fallzahlen in Ebersberg wieder auf dem Vor-Corona-Niveau

Etwas mehr als 100 Mal hat das Ebersberger Jugendamt diesen Prozess im Jahr 2023 durchgespielt. Der arbeitsreichste Monat war dabei der August mit 17 Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung, jeweils 14 Fälle waren in den Monaten März, Juli und Oktober zu verzeichnen. „Wir nähern uns wieder dem an, was vor Corona war“, sagte Robida zu dieser Statistik. Tatsächlich waren die Zahlen 2021 mit etwa 100 Fällen und 2022 mit knapp 80 Fällen niedriger. Im Jahr 2020 hatte das Jugendamt noch etwa 110 Fälle zu bearbeiten, 2019 waren es sogar knapp 140. Und auch im laufenden Jahr mussten die Mitarbeiter der Kreisbehörde schon mehrmals aktiv werden, weil das Wohl eines Kindes oder eines Jugendlichen in Gefahr war. 20 solcher Fälle sind bereits im ersten Quartal 2024 zu verzeichnen.

Für die Mitarbeiter des Jugendamtes stellt jede einzelne dieser Meldungen eine neue Herausforderung dar, denn die Fälle von Kindeswohlgefährdung unterscheiden sich stark voneinander. Neben der direkten Form, etwa durch körperliche, seelische oder sexuelle Misshandlung, gibt es auch die indirekte Form der häuslichen Gewalt. Denn nämlich, wenn die Kinder selbst zwar körperlich unversehrt bleiben, jedoch andauernd Gewalt zwischen den beiden Elternteilen miterleben müssen. Deshalb gibt es für das Jugendamt auch kein Pauschalrezept, wie mit Fällen der Kindeswohlgefährdung umgegangen wird. Es gehe immer darum, gemeinsam mit den Familien nach Lösungen für die Probleme zu suchen, so Florian Robida. Denn Ziel sei es natürlich, dass die Kinder bei ihren Eltern bleiben dürfen.

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