Süddeutsche Zeitung

Jazzfestival:Mister Cool

Der Saxofonist Pee Wee Ellis gilt als Mitbegründer des Funk und Meister der Improvisation. In Ebersberg zeigt der 78-Jährige mit einer fantastischen Show, dass er es immer noch drauf hat

Von Simon Gross

Wenn sich der Funk-Altmeister Pee Wee Ellis mit dem Rücken zum Publikum dreht, ist das kein Zeichen von Desinteresse: Dann wird es erst so richtig interessant. Denn dann führt der 78-Jährige wieder etwas im Schilde, von dem auch seine Mitmusiker noch nicht so genau wissen, was dabei herauskommt - ganz zu schweigen vom Publikum. Dann sind alle Augen auf ihn gerichtet, und sowohl vor als auch auf der Bühne lautet die Frage: Was kommt jetzt?

Wer am Donnerstagabend im Alten Speicher in Ebersberg war, der erlebte eine Saxofonlegende, die auch gegen Ende ihrer Karriere nicht bequem geworden ist. Zwischen seinen deutlich jüngeren Musikerkollegen James Morton (Altsaxofon), Dennis Rollins (Posaune), Bagawire Miller (Gitarre), Gareth Williams (Keyboard), Patrick Scales (Bass), Guido May (Schlagzeug) und Lizzie Deane (Gesang) wird Ellis seinem Ruf als Vollblutjazzer gerecht, der sich die Spontanität nicht nehmen lässt.

Auch wenn das Alter des Mannes, der als Teil der James Brown Horns schon in den 1960er Jahren berühmt wurde und aus dessen Feder Funkklassiker wie "The Chicken" stammen, nicht zu übersehen ist. Hören tut man es allerdings nicht. Und mehr noch: Wie wenn im Fernsehen Gehörtes und Gesehenes nicht zusammenpassen, ist eine regelrechte Ton-Bild-Schere zu beobachten. Drummer May hat im Interview mit der SZ ja bereits davon erzählt, dass Ellis am Saxofon immer noch die Energie eines 20-Jährigen habe - und Recht behalten. Woher Ellis die Luft für seine virtuosen Passagen nimmt, bleibt jedoch auch nach diesem Abend ein Rätsel.

Am Anfang ihrer Karriere dagegen stehen der Gitarrist Christian Bekmulin und der Pianist Valentin Findling. Das Würzburger Duo, das den diesjährigen Förderpreis des Bayerischen Jazzverbands gewann, eröffnet den Abend mit einer Reihe überwiegend selbst geschriebener Stücke von ihrem Album "Sparkling". Die beiden sympathischen Nachwuchsmusiker präsentieren ein buntes Potpourri an Kompositionen, das den Jazz-Begriff weit dehnt.

Zu hören sind da, neben swingenden Nummern, treibende Rock'n'Roll-Elemente, flinke Bluesfragmente und sanft Balladeskes. Komplexe Arrangements in ungeraden Takten erinnern stellenweise sogar an zeitgenössische Progressive-Rock-Interpreten wie Steven Wilson - nur eben in akustisch und ohne Schlagzeug. Kleinere Ungenauigkeiten, die auf dem technisch hohen Niveau und ohne rhythmische Begleitung kaum zu vermeiden sind, überspielt das Duo souverän mit breitem Lächeln und macht damit klar, dass nicht die Perfektion, sondern die Freude an der Musik bei ihnen im Vordergrund steht. Und das ist ihnen bis zum Schluss anzusehen.

Bei Pee Wee Ellis' Funk Assembly dauert es hingegen etwas, bis sich die Spielfreude einstellt, das liegt vor allem an technischen Problemen, die dem Frontmann zu Beginn etwas zu schaffen machen. Als ein Techniker dem Saxofonisten schließlich auf der Bühne das Mikro richtet, lacht Ellis selbstironisch los - und die Verbindung zum Publikum ist da. Es folgt eine Show, die als Lehrstück in Sachen Coolness gelten muss. Ellis, der auf einzigartige Weise das Lässige und Lockere, eben den Funk, verkörpert, spielt mit Zuschauern und Band, treibt die erstklassige Besetzung zur Höchstleistung an, wie bei dem bereits erwähnten Klassiker "The Chicken". Das Stück, das über die Jahre in unzähligen Varianten interpretiert wurde, kommt, man kann es nicht anders sagen, wahnsinnig fett daher - und das liegt neben dem brillanten Zusammenspiel aus Rhythmusfraktion, E-Gitarre und Keyboard an Ellis' beiden Bläserkollegen.

Der Blick des Bandleaders beschreibt deren Spiel womöglich am besten: Sein Gesicht spiegelt abwechselnd Amüsement, Überraschung und blankes Staunen, wenn er den beiden zuschaut. Immer wieder schüttelt er ungläubig den Kopf, wenn Morton die Grenzen des Altsaxofons auslotet. Ebenfalls herausragend: Die Stimme der britischen Sängerin Lizzy Deane, die die Band mit kraftvollem, schnörkellosem Gesang bei "A Natural Woman", "Son of a Preacher Man" und der Zugabe, einer soulig verlangsamten Version von "I feel Good", unterstützt.

Unübertroffen bleibt jedoch Ellis' Verständnis von Improvisation und damit zurück zur Eingangsszene: Der Frontmann packt seinen Posaunisten Rollins kurz am Arm, bevor er sich zum Rest seiner Band dreht. Mit kaum bemerkbaren Handbewegungen und Blicken kreiert er ein anschwellendes Hintergrundarrangement, mit dem die Band den Posaunisten wie auf einer Welle nach vorne trägt. Und der spielt auf dem Höhepunkt seines Solos Töne so mächtig wie ein in Rage geratener Elefant, der zum Angriff auf eine Gruppe Hyänen bläst. Es wirkt, als wären die Musiker von der eigenen Kraft genauso überwältigt wie das Publikum. Ellis aber streckt Rollins, der vollkommen außer Atem ist, die Zunge heraus und schlägt mit ihm ein. Der Meister des Funk, er hat es noch immer drauf.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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