Ebersberger Festival:Türöffner in den Jazz-Kosmos

Lesezeit: 3 min

Der italienische Sänger Mario Biondi schickt sein Publikum auf eine Reise durch Soul, Jazz, Latin und Pop.

Von Oliver Fraenzke, Ebersberg

In seinem Heimatland Italien ist er seit vielen Jahren ein Superstar, nun bemüht sich Mario Biondi mit seinem neuen Album "Dare!" darum, auch in den deutschsprachigen Ländern den Durchbruch zu schaffen. Am Samstagabend war er im Rahmen des Ebersberger Jazz-Festivals im Alten Speicher zu Gast. Seine markante Bassstimme mit souligem Timbre, die den Vergleich zu Barry White nicht zu scheuen braucht, lädt vom ersten Ton an ein, ihn auf seiner abenteuerlichen musikalischen Reise zu begleiten zwischen Soul, Jazz, Latin und Pop.

Dass EBE-Jazz in den vergangenen drei Jahren beachtliche mediale wie künstlerische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, darf ohne jeglichen Lokalpatriotismus konstatiert werden; man nimmt das Festival in diesem Jahr nicht nur regional, sondern auch von anderen Ländern Europas her wahr. Mit der Wahl Mario Biondis setzt EBE-Jazz nun ein klares Statement, wie es sich weiterhin stilistisch ausrichten will: Das Festival entscheidet sich bewusst gegen die rauchige Clubatmosphäre, die viele wohl mit dem Genre assoziieren mögen, sondern öffnet die Pforten für große Veranstaltungen, setzt auf Publikumsmagneten und will so den Kosmos Jazz für alle zugänglich machen. Das zumeist etwas im Abseits stehende, zwischen den Stühlen durchrutschende Genre, soll voll integriert werden in die musikalische Landschaft des Landkreises und in die öffentliche Wahrnehmung im Allgemeinen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Ebersberger Jazz-Festival begeistert auch heuer von Beginn an. Auf der Bühne ist Mario Biondi zu sehen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die geladenen Musiker glänzen mit kraftvollen Rhythmen und der puren Freude an der Musik.

Zumindest für den Abend mit Mario Biondi lässt sich sagen: Das Konzept geht auf! Im ausverkauften Saal tummelt sich ein bunt gemischtes Publikum, kaum einen hält es bei dieser Musik still auf den Stühlen. Schon etwa zur Hälfte des Konzerts sieht man in den hinteren Reihen die Leute tanzen. Möglich gemacht wird dies überhaupt erst durch das Hygienekonzept der Veranstaltung, die auf Vollbesetzung verzichtet, sondern Abstände zwischen den Tischen unten und Sitzgruppen auf dem Balkon einhält. Somit dürfen die Masken auf den Plätzen abgesetzt und das Konzert bei einem kühlen Glas und Stimmung "wie früher" genossen werden.

Das Auftreten Biondis wirkt so entspannt wie seine Musik. Da macht er hier einen Witz mit seinen Bandkollegen, tritt da in Interaktion mit dem Publikum und ruft sogar nach einem Solo den Saxophonisten zurück, er solle die Melodie doch noch einmal für alle spielen, damit das Publikum sie nachsingen kann. Hieraus entsteht dann eine Spontan-Improvisation. Biondis sechsköpfige Band punktet durch die treibende rhythmische Kraft, die der Musik einen stetigen Drang nach vorne verleiht. Der geradlinige Groove steht vor allem im Kontrast zu der ansonsten eher im Idiom Soul verhafteten Musik, die mit vertraut-jazzigen Harmonien und die sanften Reibungen auskostenden Melodielinien daherkommt.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Stephanie Bolz mit Christian Wegscheider...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

... der Italiener Mario Biondi...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

... und die lebende Jazz-Legende Sheila Jordan.

Auch lateinamerikanische Elemente greift die Band auf, verwandelt beispielsweise eine portugiesische Canzonette eines der Bandmitglieder nach und nach in eine fetzige Nummer für die ganze Band. Schnelle Songs dominieren allgemein die Bildfläche dieses Abends und stacheln das Publikum zum Mitgehen auf, was Biondi durch gelassene Tanzeinlagen vormacht. Bedauerlich ist, dass der Ton im Verhältnis zur Größe des Alten Speichers zu sehr verstärkt wird, wodurch viele Details der Ausführung verloren gehen. Besonders verschwimmen die instrumentalen Tiefen zu einer kaum mehr durchhörbaren Einheit, so dass das harmonische Gerüst stellenweise wankt, Bass und Harmoniehand des Klaviers untergehen.

Übermächtig trumpft die Stimme Mario Biondis auf. Nicht nur, dass sie durch ihren warmen, sympathischen Klang unmittelbar anspricht, sie demonstriert zugleich eine technisch überlegene Präzision. Biondi verfügt über ein reiches Repertoire an Stimmtechniken von langen, über viele Takte hinweg präzise intonierten Haltenoten über gehaucht-gefühlvolle Linienführung bis hin zu virtuosen Scat-Einwürfen mit einem Ambitus von mehreren Oktaven, in jeder Lage ausgestaltet in schillernder Farbigkeit und vollem Klangvolumen. Somit vereint er die Vorzüge einer gereiften Stimme mit einer stets jung gebliebenen Art des Musizierens, schafft Zeitlosigkeit. Auch lässt sich Biondi den Spaß nicht nehmen, selbst zwei Percussion-Instrumente an seiner Seite zu haben, so benutzt er an markanten Stellen immer wieder ein Becken und noch mehr die Chimes, deren inflationärer Gebrauch beinahe schon als charakteristisch für das Konzert angesehen werden darf.

Auf Pausen verzichtet die Band, höchstens Biondi geht mal kurz von der Bühne und überlässt seinen Musikern das Rampenlicht, was diese das eine Mal durch eine Ballade des Pianisten und das andere Mal durch einen "Funky Style" auskosten, bei dem die Musiker sichtlich Spaß haben. Erstaunlich, dass nach dem Schlussapplaus dieses scheinbar recht kurzen Programms knappe zwei Stunden vergangen sind.

© SZ vom 11.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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