Süddeutsche Zeitung

Mitten in Ebersberg:Mehl ohne Würmer

Lesezeit: 1 min

Mehr und mehr Insekten werden in Deutschland als Lebensmittel zugelassen. Eine Bäckereifiliale in Ebersberg kann ihre Kunden aber beruhigen: so etwas kommt bei ihnen nicht aufs Blech.

Von Merlin Wassermann

Wer dieser Tage in der Filiale einer Bäckerei in Ebersberg seine Brötchen holen geht, dem fällt vielleicht das gelbe Schild auf dem Tresen auf. Man wundert sich dann vielleicht, warum die "Wir-müssen-draußen-bleiben"-Warnung nicht an der Eingangstüre klebt und weshalb der Vierbeiner, der rot durchgestrichen ist, sechs Beine, Flügel und Antennen hat.

Ein näherer Blick verrät: es sollen keine Hunde aus dem Laden gehalten werden, sondern Insekten aus dem Essen. Die Bäckerei weist ihre Kunden zuvorkommend darauf hin, dass dort "keine Insekten verbacken" würden - zumindest nicht absichtlich. Sie wenden sich damit an die Kundinnen und Kunden, die "sicherlich schon gehört" hätten, "dass Insekten als Lebensmittel zugelassen sind."

Das ist faktisch korrekt: Mehlkäfer, alias gelbe Mehlwürmer, Wanderheuschrecken, Hausgrillen und, seit Januar 2023, Getreideschimmelkäfer sind in der EU als Lebensmittel zugelassen. Ihr Marktanteil ist verschwindend gering.

Groß allerdings scheint die Sorge, dass sich die Krabbeltierchen bald in der Lieblingsknabberei verbergen könnten. Vielleicht ist bei der Bäckereikette auch nur die Sorge vor der Sorge der Kunden ausgeprägt. Nicht auszuschließen, dass es zu einem "denke nicht an einen blauen Elefanten"-Effekt kommt: das Schild lädt geradezu ein, sich Brezeln aus Mehlkäfermehl, Krapfen mit Grillenpastenfüllung und Brote mit Hausgrillengarnierung vorzustellen.

Klingt nach Mutprobe im Dschungelcamp, könnte aber durchaus sinnvoll sein. Insekten haben eine hohe Futterverwertungseffizienz, das heißt, für viel Futter kriegt man auch viel Protein. Bei traditionellem Fleisch sieht das anders aus, dort müssen deutlich mehr Kalorien investiert werden, um ein Steak oder ein Filet zu bekommen. Und der Tierschutz gestaltet sich bei wortwörtlich hirnlosen Würmern auch weniger schwierig als bei hunderte Kilogramm schweren Säugetieren.

Doch auch im Ebersberger Kreisstadtdschungel - oder vielleicht gerade da? - würde es einiges an Mut kosten, als erster solche zukünftigen Delikatessen anzubieten und/oder zu verspeisen. Bei der Bäckerei mit dem Schild habe man sich bewusst dafür entschieden, von der "Möglichkeit", Insekten zu verbacken, "keinen Gebrauch zu machen." Den Mutigen mag zwar die Zukunft gehören - in der Gegenwart backt man kleinere, insektenfreie Brötchen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5751006
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.