Schule:In der Probephase

Eine Stunde Schulbankdrücken in der Übergangs- und in der Deutschförderklasse von Markt Schwaben: Der Landkreis untersucht, wie Kinder mit Migrationshintergrund am besten gefördert werden können.

Von Anne Schinko

Der Unterricht im gelben Klassenzimmer mit der violetten Decke beginnt jeden Morgen pünktlich um 7.40 Uhr. Täglich gibt es zwei Stunden Deutschunterricht und eine Stunde Mathematik. Bis 15.30 Uhr dauert der Unterricht. Die Kinder, die in diese Klasse gehen, kommen aus Syrien, Afghanistan, Ungarn, Eritrea, Bulgarien, China, Thailand, Slowenien und Spanien. Zehn Jahre ist der jüngste Schüler, der Älteste ist gerade 16 geworden. Manche in der Klasse können an ihrem ersten Schultag kein Wort Deutsch, andere hingegen sprechen die Sprache beinahe fließend.

In einer gewöhnlichen Klasse sind die Schüler alle im etwa gleichen Alter und sprechen dieselbe Sprache - Gemeinsamkeiten, die es den Lehrern ermöglichen, den Unterricht nach dem vorgesehenen Lehrplan zu gestalten. Olga Singer, die Leiterin der Übergangsklasse der Mittelschule Markt Schwaben, hat das nicht. Aber sie hat eine andere wesentliche Gemeinsamkeit gefunden: "Die Kinder sind sehr motiviert und wollen unbedingt lernen. So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt sie. Singer hat Deutsch und Englisch als Fremdsprache studiert, ist in Sibiren geboren und lebt seit 21 Jahren in Deutschland. Das größte Problem seien der unterschiedliche Entwicklungsstand der Schüler und die Sprachbarriere - die kulturellen Unterschiede hingen erlebe sie als Bereicherung, sagt sie.

Erst seit Anfang des Schuljahres gibt es diese Übergangsklasse an der Mittelschule Markt Schwaben, im nördlichen Landkreis die erste ihrer Art. In der Mittelschule in Ebersberg gibt es eine Übergangsklasse bereits seit dem vergangenen Schuljahr. Der Markt Schwabener Schulleiter Rainer Elfinger hat eine solche Klasse geschaffen, um den Deutschunterricht für fremdsprachige Schüler individueller gestalten zu können. Neben der Klassenlehrerin Singer gibt es in sehr vielen Stunden auch noch eine zweite Lehrkraft im Klassenzimmer: "Tandembetrieb", nennt sich das im Fachjargon. Diese Zweitlehrer helfen mit, die unterschiedlich großen Deutschkenntnisse individuell zu fördern.

Schule: Deutsch zu lernen ist das wichtigste Ziel der Übergangsklasse. Hat ein Schüler dieses Ziel erreicht, kann er in eine normale Klasse wechseln.

Deutsch zu lernen ist das wichtigste Ziel der Übergangsklasse. Hat ein Schüler dieses Ziel erreicht, kann er in eine normale Klasse wechseln.

(Foto: Christian Endt)

Generell funktioniert eine Übergangsklasse nämlich so: Für gewöhnlich wird am Ende jedes Schuljahres entschieden, ob die Deutschkenntnisse der einzelnen Schüler ausreichend sind, um in eine andere Klasse an Mittel-, Realschule oder Gymnasium zu wechseln. In manchen Fällen könnte das auch unter dem Jahr geschehen, doch das ist nicht immer erwünscht - von Seiten der Schüler: Peter zum Beispiel, dessen Mutter aus Thailand ist, könnte die Übergangsklasse schon jetzt verlassen, sagt Elfinger. "Aber das will er nicht." Die Klassengemeinschaft funktioniere nämlich - trotz des großen Altersunterschieds - sehr gut, sagt Singer. "Die älteren Schüler wollen die Kleineren beschützen." Und obwohl die 20 Kinder der Übergangsklasse während des Unterrichts von den restlichen Klassen der Mittelschule getrennt seien, gebe es auch mit den anderen Schülern viel Kontakt, etwa in den Pausen. "Es herrscht große Empathie zueinander. Das Ganze hat sich zu einer Art Tutorensystem entwickelt", sagt Elfinger.

Neben einer zusätzlichen Lehrkraft gibt es seit Mitte Dezember eine Sozialpädagogin, Marie Notter, die bei Konflikten in der Klasse und bei sozialen Problemen aller Art aushilft. Denn es gebe auch Kinder, die erst kürzlich aus dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet und entsprechend traumatisiert seien, erklärt Singer.

Aus Syrien kommt auch Krista. Sie ist 13 Jahre alt und erst seit zwei Monaten in Deutschland. Trotzdem spricht sie die fremde Sprache bereits recht gut. "Weil ich in Syrien schon mit einer CD Deutsch gelernt habe", erklärt sie. Gemeinsam mit ihrer Familie wohnt sie bei ihrer Tante in Markt Schwaben. Krista, die lilafarbene Brille auf der kleinen Stupsnase, kräuselt die Stirn immer dann, wenn sie ein Wort nicht versteht, aber das kommt nur selten vor. Beinahe fließend Deutsch spricht Machmut, der schon etwas länger in Deutschland lebt, wie lange genau, muss er bei seinem älteren Bruder Mohammed immer wieder nachfragen. Die beiden Brüder sind elf und zwölf Jahre alt und, wie Mohammed erklärt, seit etwa einem Jahr in Deutschland und seit Beginn des Schuljahres in der Übergangsklasse. Am liebsten mögen die beiden Sport. Auch sie kommen aus Syrien.

Drei Gehminuten von der Mittelschule entfernt liegt die Grundschule von Markt Schwaben. So wie bei den Nachbarn gibt es auch hier seit diesem Schuljahr eine Klasse, die eigens für nicht-deutschsprachige Kinder eingerichtet wurde - wenn auch mit gewissen Abweichungen. Denn in der Grundschule gibt es eine sogenannte Deutschförderklasse: Hier kommen die betroffenen Kinder aus den beiden ersten Klassen jeden Tag die ersten beiden Stunden in eine separate Klasse, um zusammen in Deutsch unterrichtet zu werden. Zehn Schüler nehmen diese Förderung zurzeit in Anspruch.

Die Spielregeln

Kriterien, die Schulen bei der Bildung von Übergangs- oder Deutschförderklassen beachten müssen, gibt es wenige. "Per se sind Übergangsklassen aber meist für ältere Schüler gedacht und Deutschförderklassen für jüngere", sagt Angela Sauter, die Leiterin des Schulamts Ebersberg. Denn gerade kleinere Kinder würden ohnehin schneller lernen, und durch die Deutschförderklassen könne gleichzeitig die Integration gefördert werden. Allerdings werde derzeit noch evaluiert, um das Optimum an Förderung herauszufinden. Die beiden Fördervarianten sind auf Kinder im Alter von sechs bis maximal 16 Jahren abgestimmt. Eine Deutschförderklasse gibt es im Landkreis zurzeit an den Grundschulen in Poing und Markt Schwaben. In den Mittelschulen Ebersberg und Markt Schwaben sowie in der Grundschule Kirchseeon wurde eine Übergangsklasse eingerichtet. Aktuell leben im Landkreis zehn Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. "Mehr als noch einige Jahre zuvor", sagt Sauter. anschi

Unter der Tafel am Boden sitzen die Lehrerin der Deutschförderklasse, Anna Schiller, und die Kinder in einem Sitzkreis zusammen: Neun Jungs und ein Mädchen. Bevor die Lehrerin die Geschichte vom "Sams" vorlesen wird, müssen zuerst ein paar neue Wörter gelernt werden: Der Kuchen, die Maschine. Dann fragt Schiller die Schüler reihum, ob sie wüssten, was diese Wörter in ihrer Sprache bedeuten. Ein Junge mit dunkelbraunen Haaren sagt: "mașină." "Maschine, mașină. Das ist leicht", sagt Schiller.

Ob dieses System für die Grundschule besser geeignet ist als eine Übergangsklasse, kann Rektorin Susanne Anderl-Schottner nicht sagen: "Wir sind gerade erst dabei zu evaluieren, wie sich die Förderklasse in der Grundschule entwickelt. Bei einer Übergangsklasse können wir nur mutmaßen." Sie könne sich aber vorstellen, dass das Modell Förderklasse funktioniert - "auch, was die Integration betrifft." Denn nach den Fördereinheiten würden die Kinder wieder in ihre Stammklassen zu den anderen Kindern zurückkehren. Für fünf Stunden pro Woche ist nun auch eine Sozialpädagogin für die Deutschförderklasse da, denn auch hier gibt es Kinder, die von den Geschehnissen in ihrer Heimat traumatisiert sind.

Ein großes Problem bisher sei aber, so Anderl-Schottner, dass es für die Klasse keine eigene Leitung gebe: Bis dato müsse die Lehrerin nebenher auch noch ihre normale Klasse betreuen. Mit externer Hilfe könnte sich die Rektorin die Deutschförderklasse aber wunderbar vorstellen. Doch nicht nur die Schüler der ersten Klasse, auch die Kinder aus dem zweiten und dritten Jahrgang werden unterstützt, allerdings nicht in einer eigens geschaffenen Klasse, sondern in Förderstunden. In der vierten Klasse sei dafür momentan kein Bedarf.

Mittlerweile üben die Schüler in der Übergangsklasse zusammen Kopfrechnen: "5 mal 3, oder 8 mal 9". Ein Junge mit blauem Pullover und blonden Haaren stellt eine etwas schwierigere Rechnung: "13 mal 20!" Die Klasse überlegt.

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