Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Impfwillige bilden 950 Meter lange Schlange

Menschen aus der gesamten Region strömen nach Ebersberg, um einen Piks mit Astra Zeneca zu erhalten. Es kommen so viele, dass die Betreiber ihren Plan ändern müssen.

Reportage von Johanna Feckl und Johannes Korsche, Ebersberg

Es ist Samstagfrüh, viertel vor zehn am Ebersberger Volksfestplatz. "Kommen die Beatles wieder?" Die Frage des Mannes überrascht nicht angesichts des Bildes, das sich an diesem Morgen zeichnet: Obwohl die Impf-Sonderaktion mit geplanten 1000 Dosen Astra Zeneca für alle Impfwilligen ab 18 Jahren noch nicht einmal seit zwei Stunden läuft, sind bereits hunderte gekommen - die ersten reihten sich um fünf Uhr morgens ein. Am Vormittag stehen die in einer 950 Meter langen Schlange Schlange vor dem provisorischen Impfzentrum, für das die Festhalle umgebaut wurde. Sie gehtvom Halleneingang bis zur alten Kiesgrube, dort führt die Wendeschleife zur Skateanlage zurück.

Aber die Beteiligten der Aktion haben in weiser Voraussicht gehandelt: Am Freitag wurde kurzerhand eine weitere Impfstation für zehn weitere Impfteams aufgebaut, mit denen am Volksfestplatz sind also 17 Teams im Einsatz. Und für ausreichend Nachschub an Impfstoff konnte auch gesorgt werden. "Wer in der Schlange steht, bekommt eine Impfung - es gibt genug", so ein Feuerwehrmann, der die frohe Botschaft mittels Megafon in der wartenden Menge verteilt.

"Ich bin sehr glücklich, dass wir offensichtlich ein Bedürfnis der Leute erkannt haben und so viele zur unserer heutigen Aktion gekommen sind", sagt Marc Block am Vormittag. Der Hausarzt mit einer Praxis in Zorneding und zugleich ärztlicher Koordinator der niedergelassenen Praxen im Landkreis Ebersberg hat die Aktion initiiert und organisiert. Seit sieben Uhr ist er vor Ort. Er ist dankbar, dass das Landratsamt einen Tag zuvor noch rasch eine Ausweichstation in der Tiefgarage des Sparkassengebäudes und somit unterhalb des regulären Ebersberger Impfzentrums, das am Samstag ganz regulär Impftermine abarbeitet, aufgebaut hat.

"Bis 3 Uhr morgens ist das mit Hilfe des THWs sozusagen in letzter Sekunde aus dem Boden gestampft worden", sagt Brigitte Keller, Chefin des Corona-Krisenstabs im Landkreis. Es habe Befürchtungen gegeben, dass die sieben Impfkabinen am Volksfestplatz nicht ausreichen könnten - deshalb der provisorische Bau von zehn weiteren. "Aber von diesem gewaltigen Ansturm waren wir dann doch überrascht", so Keller.

Aufgrund der guten Vorsorgearbeit dauerte es jedoch nur wenige Stunden, bis sich die Lage entspannte. Mit Hilfe der Firma Tresec, die das Ebersberger Impfzentrum betreibt, standen kurzerhand zehn weitere Impfteams bestehend aus drei Personen parat, das BRK schickte eine zusätzliche Truppe zur Ausweichstation, das Team der Feuerwehr vervielfachte sich innerhalb weniger Augenblicke von den ursprünglich drei Feuerwehrlern am Volksfestplatz auf um die 23 und Ebersbergs Bürgermeister Uli Proske organisierte Brotzeit für die freiwilligen Helferinnen und Helfer.

"Das finde ich echt geil", so der Bürgermeister. Das Engagement von allen Unterstützern und Ehrenamtlichen an diesem Tag bezeichnet er als "sensationell". Gleich in den frühen Morgenstunden machte er sich auf den Weg und schaute sich die Situation vor Ort an. "Das ist doch echt mal eine Leistung, was dort auf die Beine gestellt wurde!" Klar habe es ein bisschen Verkehrschaos gegeben, zu Beginn der Aktion hätten die Leute zum Teil einige Wartestunden in Kauf nehmen müssen, aber für Proske ist das eine Nebensache. "Die Leute sind so dermaßen gut aufgelegt, weil sie endlich ihre Impfung bekommen!"

Einer von ihnen ist Ilario Defendi. Der 50-Jährige kam um halb neun zum Volksfestplatz. Seit drei Stunden steht er an, als er sagt: "Ich habe das so erwartet." Abgeschreckt hätte ihn diese Vorahnung aber nicht - stattdessen freut er sich, dass er schon bald seine erste Coronaschutzimpfung in den Oberarm bekommt. Die Zeit, als es leicht nieselte und sich der Eingang noch Stunden entfernt wähnte, ist längst vergessen. "Es ist nur eine Frage der Geduld." Die Türen, hinter denen der Piks auf ihn wartet, ist mittlerweile in Sicht.

Der 50-Jährige arbeitet in Garching, wohnt in Haar und gehört der Impfgruppe 3 an. Aber was heißt das schon? Seine Frau, so erzählt er, sei in Prio 2 und erhalte auch erst an diesem Tag ihre erste Impfung. Ist der Samstag also ein kleiner Festtag für die beiden? "Ja, schon." Und selbst mit Maske ist dem Mann die Freude im Gesicht anzusehen.

Einem Fest scheint die Impf-Sonderaktion bei allen Beteiligten gleichzukommen. "Das ist so toll", sagt Brigitte Keller. Die Menschen in den Warteschlangen am Volksfestplatz und vom dem zweiten Impf-Provisorium in der Tiefgarage seien äußerst diszipliniert und vor allem sehr freundlich. So manch einer von ihnen hat sich übrigens ein Buch mitgebracht, andere vertreiben sich die Zeit am Handy und die besonders Pfiffigen sind mit einem Campingstuhl angerückt - die Stimmung ist rundum sehr gut. Krisenstabs-Chefin Keller ist vor allem den vielen Ärztinnen und Ärzten sowie assistierenden Fachkräften dankbar. Alle, insbesondere diejenigen, die kurzerhand über den Impfzentrumsbetreiber Tresec rekrutiert worden sind, hätten schließlich spontan ihren freien Tag für die Aktion geopfert.

Initiator Marc Block wirkt entspannt. Hat ihn der heftige Ansturm am Morgen denn gar nicht aus der Ruhe gebracht? Nein. Klar sei eine große Aktion wie diese eine Herausforderung. Das sagt auch Uli Proske. Aber, so der Bürgermeister, man dürfe bei einem solchen Vorhaben nicht zu sehr darüber nachdenken, was möglicherweise passieren oder nicht klappen könnte, "einfach machen" lautet seine Devise. Denn: "Es läuft dann schon", so Block. Und der Erfolg der Aktion gibt ihnen Recht.

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