Ebersberg:Im Labyrinth schauriger Gedanken

Kratzer und Lugmayr - Poe Abend im alten Kino.

Kunst in Wort und Ton: Vorleserin Angelika Kratzer und Pianist Markus Lugmayr.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit Poes "Untergang" beschließen Angelika Kratzer und Markus Lugmayr ihre Reihe entdeckungsreicher Lesungen

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Was bleibt am Ende des Lebens? Es gab Zeiten, da hat diese Frage die Irdischen mehr umgetrieben als heute. Schicksal wurde als Macht empfunden, Kräfte außerhalb der Wahrnehmung als bestimmend. Schriftsteller wie Edgar Allen Poe haben ein Genre geschaffen, das sich dieses Zustands annimmt, der sich zuspitzte, als die Menschen die Orientierung verloren zwischen den Rädern von Abhängigkeit, Aufklärung und Industrialisierung. Geschichten von schauriger Schönheit und tragischem Ende erinnern bis heute an jene Epoche im 19. Jahrhundert, in der Kreativität ein Fremdwort wahr, aber Wahnsinn und Trübsinn als Triebkräfte künstlerischen Schaffens galten.

In "Der Untergang des Hauses Usher" hat sich Angelika Kratzer, Chefin des Ebersberger Kulturkreises, für das Ende ihrer Serie an Lesungen unbekannt-bekannter Klassiker einen literarischen Archetypus aus jener Zeit gewählt, eine erzählerische Meisterleistung - und eine Herausforderung für einen Vorleser. Denn im Labyrinth der Gedanken und Relativsätze, im Verwirrspiel scheinbarer Nebensächlichkeiten und subjektiver Wahrnehmung fordert dieser Text höchste Aufmerksamkeit schon beim Lesen. Umso mehr gilt dies für Zuhörer, die mit neuen Wendungen konfrontiert sind, bevor sie die gerade vorgetragenen gänzlich verarbeitet haben. Man darf sich das vorstellen wie eine Slalomfahrt im Steilhang, bei der einen die geringste Unachtsamkeit, das kürzeste Verharren aus der Spur wirft.

Kratzer macht mit ihrer präzis artikulierten, formvollendeten Sprechweise das Zuhören leicht. Die schaurig-schönen Spinnweben an manchen der altertümlich anmutenden Begriffe serviert sie dabei mit Genuss: Zeitläufte, Schwermut, Pfuhl, sittliche Energie. Darüber hinaus wählt sie im gut besuchten Alten Kino drei dramaturgische Mittel, um ihr Publikum in den Strudel der Ereignisse hineinzuziehen. Größtmögliche Wirkung entfalten dabei, erstens, die Intermezzi, die Markus Lugmayr am Flügel improvisiert. Vom verfremdeten liturgischen Gesang bis zur melodramatischen Filmmusik gewährt er der Fantasie breiten Spielraum; ein leidenschaftlicher Kontrast zum gesprochenen Wort entspinnt sich da, überwältigende Spannung im Sinne eines "mitreißenden Innehaltens". Wie er ins Idyll von "Kein schöner Land" brutale Gewitterwolken hineinstanzt - großes Kino.

Zweites Stilmittel Kratzers ist die erzählerische Wanderung vom lakonisch anmutenden Bericht eines vermeintlichen Beobachters am Rande bis zur ergreifenden Livereportage vom zerstörerischen Ende. Ein kluger Ansatz, der allerdings den Einstieg für die Zuhörer recht anstrengend macht - eben, weil sie nicht bei flackerndem Kerzenlicht um den schweren Eichentisch in der gotischen Stube sitzen und dem Bericht lauschen, sondern weil die Distanz zur Bühne eine Spur zu groß ist, um die Intimität des gemeinsamen Zitterns spürbar zu machen, die den "Untergang " noch vor ein paar Generationen begleitet hat.

Womit wir beim dritten Stilmittel angekommen sind: Indem Kratzer die Rollen interpretiert, ihnen Tonlagen gibt und mit erzählerischen Tempi spielt, schlägt sie eine Brücke über die Distanz. Sie packt Atmosphäre hinein, setzt Akzente, versucht die oft abstrakten Gedanken des erzählenden "Ich" in konkrete Sprachmelodie zu übersetzen. Man spürt: Sie hat diese Geschichte bewusst gewählt, sie hat sie sich zu eigen gemacht, sie will sie so mit anderen teilen, wie sie selbst sich von dieser Erzählung bewegt fühlt. Wie bei jeder Interpretation setzt sich Kratzer dabei dem Risiko aus, dass ihre Zuhörer sie teilen - oder nicht. Im Wirrwarr der Poe'schen Gedankengänge ist ihr daher der eine oder andere aus dem Publikum verloren gegangen. Was dem respektvollen Applaus am Ende indes keinen Abbruch tat.

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