Süddeutsche Zeitung

Freizeittipp:Paradies für Pferde

Man kennt den Schrankenschneiderhof als Vorreiter bei Offenstallhaltung, Tinkerzucht und computergestützter Fütterung - die Vielfalt der dort lebenden Pferderassen nebst Showprogramm zeigt Familie Zeller beim ersten Hoffest seit vier Jahren.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Das erfundene amerikanische TV-Pferd Mr. Ed konnte sprechen, die echte Wunderstute Halla 1956 praktisch ohne Zutun ihres verletzten Reiters Hans Günter Winkler eine Goldmedaille holen. Und wodurch zeichnet sich der zwölfjährige Conquest, genannt "Coni" aus, der vor einer Dekade aus England auf den Pferdehof zwischen Ebersberg und Steinhöring kam? Der Tinker nimmt auf einem Sitzkissen Platz. "Echt wahr: Er lässt sich volle Kanne auf den Hintern fallen", bekräftigt lachend Hufschmied Bernhard Mutzbauer, während er Hand anlegt, um einigen der insgesamt etwa 65 Pferde des Schrankenschneiderhofs nicht nur die Hufe schön, sondern sie vor allem fit zu machen. Schließlich soll mit ihren Sehnen und Gelenken alles passen - ganz besonders, wenn am 18. September nach vier Jahren erstmals wieder eine Auflage des legendären Hoffests inklusive Zuchtschau durch den Verband gefeiert wird.

Vorreiter bei der Offenstallhaltung

Nicht nur durch dieses Treffen, das seit 2006 alle zwei Jahre stattfindet - wenn nicht gerade Pandemie ist - , haben sich Andrea und Toni Zeller weit über den Landkreis hinaus in Pferdekreisen einen Namen gemacht. Das Paar war unter den Ersten, die einen Bewegungs- und Aktivstall einführten, nachdem der Entschluss gefasst war, sich im seit 1492 bestehenden Familiensitz definitiv von der Rinderzucht zu verabschieden und stattdessen Pferde einzustellen - eigene und fremde.

Wie das den Tieren auf mittlerweile zwölf Hektar Koppelgelände gefällt, lässt sich beim Rundgang feststellen. Man besucht eine der Herden, deren etwa 35 Tiere um die 4000 Quadratmeter zur Verfügung haben und trifft dabei Vegas. Der ist sehr kontaktfreudig und beschnuppert neugierig die Kamera des Fotografen, bis ihn die 45-jährige Hofherrin beherzt zur Seite schiebt.

Wie es scheint, lebt die dreifache Mutter auch beim Umgang mit ihren Tieren jene Mischung aus Humor und liebevoller Konsequenz, die sich im Kindergarten bewährt hat, wo die Frau mit dem ansteckenden Lachen seit vielen Jahren arbeitet. Dass die Pferdezucht und -haltung vom Hobby zum Beruf wurde, hat sich für sie und Ehemann Toni, einem Landwirt, der auch schon als LKW-Fahrer und Bauhelfer im Einsatz war, ungeplant nach und nach ergeben. Die Leidenschaft für Pferde des mittlerweile 24-jährigen Sohnes Maximilian sowie seiner zwei und sieben Jahre jüngeren Schwestern Lisa und Johanna hat sich durch das Aufwachsen mit den Tieren praktisch automatisch eingestellt. "Es sind die besten Freunde, sie sind immer da und reden einem nicht drein", gibt Johanna zu Protokoll.

Zurück auf dem Paddock: Neben Vegas wollen jetzt auch Pie sowie Netti und ihr Fohlen Poco aufs Foto. Die beiden Letzteren waren erst unlängst mit einer prominenten Moderatorin in allen Gazetten zu sehen. Bei der Riemer Leistungsschau "Pferd International", wo die Zellers wie immer mit einem Showprogramm vertreten waren, hatte man für ein passendes Motiv explizit nach Vierbeinern gesucht, die sich vom Blitzlichtgewitter nicht irritieren lassen.

Nun gehört Stressresistenz generell zu den Eigenschaften, durch die sich die von den Zellers seit 2002 gezüchteten Tinker, eine robuste Arbeitspferdlinie, auszeichnen. Doch die Gelassenheit, die überall auf dem Hof zu spüren ist, wird möglicherweise auch dadurch herbeigeführt, dass sich die Herden in ihrem Tagesablauf weitgehend an dem orientieren können, was sie in der Natur tun würden.

Ein Chip steuert Fütterung und Koppelzugang

Dank einer weiteren Besonderheit dieses Orts legen sie pro Tag zwölf bis 15 Kilometer zurück, um, wie sie es in freier Wildbahn als Dauerfresser tun, jede Stunde Nahrung aufzunehmen. Ein Chip hinter dem Ohr reguliert nicht nur Menge und Inhalt dessen, was am Futterautomaten ausgegeben wird, einer Box, die für jedes Pferd das Passende bereitstellt, sondern auch den Koppelzugang. Auf diese Weise können selbst an Hufrehe erkrankte Tiere, die kein Gras fressen dürfen, weiterhin in der Gruppe gehalten werden. Und wer aufgrund einer Stauballergie kein Heu verträgt, was immer häufiger vorkommt, bei dem bleibt der entsprechende Schieber im Automaten zu und er oder sie bekommt etwas anderes. Zumal die computerüberwachte Fütterung auch beim Erkennen von Krankheiten wie einer Kolik hilft.

"Jeder weiß, dass Legebatterien für Hennen eine Qual sind - bei Pferden bedeutet artgerechte Haltung, dass sie nicht nur herumlaufen, sondern das eben auch wenigstens eine Anzahl von Stunden ohne Reiter tun dürfen", sagen die Zellers, denen es immens wichtig ist, nach den Leitlinien des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zu handeln.

Inhaliert wird in der Solebox

Darum legt die Familie großen Wert darauf, den Tieren nicht nur genügend Platz zu verschaffen - derzeit haben sie fast doppelt so viel wie die vorgeschriebenen 50 Quadratmeter pro Pferd - sondern nutzt Boxen nur in Krankheitsfällen. Außerdem will man es den Rössern "immer schöner" machen. Eine Solebox für Stauballergiker gibt es schon. In die dürfen auch die Besitzer mit hinein, um ihre Vierbeiner während der 20- bis 30-minütigen Inhalationszeit, in der die Box voller weißem Nebel ist, ruhig zu halten. Und aus der aktuell bestehenden Baustelle wird ein neuer Liegebereich mit Pferdeschwemme und Bachlauf.

Aber natürlich wächst auch bei den Zellers das Geld nicht auf den Bäumen - reich mache dieses Geschäft sicher nicht, sagt Andrea Zeller. Und die Energiekosten seien auch ein brisantes Thema. "Lieber heute als morgen würden wir eine Photovoltaikanlage anschaffen - Dachflächen sind genügend vorhanden", ergänzt ihr Mann. Sogar ein E-Auto hatten sie im Hinblick darauf gekauft, dass im Frühjahr eine PV-Anlage montiert werden sollte. Doch aktuell sei niemand zu finden, der das übernehmen kann.

Auf das Hoffest wird das keine Auswirkungen haben. Ein riesiger Aufwand, der ohne die ehrenamtliche Hilfe von Einstellern, Freunden und Reitschuleltern nicht zu stemmen wäre. "Am Abend könnte ich jedes Mal heulen, wenn ich sehe, was man auf die Beine stellen kann, wenn man zusammenhält", sagt die Hofherrin sichtlich bewegt. Gerade in der heutigen Zeit sei das alles andere als selbstverständlich und nicht nur wegen Corona immer seltener zu erleben. Und Ehemann Toni lacht: "Kurz vorher sagen wir immer: Wir machen es nie wieder, aber am Ende sind wir dann vom positiven Feedback einfach nur überwältigt." Wobei auch klar sei, dass ohne die tatkräftige Unterstützung der Kinder gar nichts ginge. "Die Familie ist wie ein Vereinsvorstand", manches könnten Externe einfach nicht übernehmen, weil sie gar nicht über das Know-How verfügen. Maximilian, der vor kurzem seinen Meister als Rollladen- und Sonnenschutzmechatroniker gemacht hat, sei der Praktische, um den Instagram-Auftritt kümmern sich die Schwestern Lisa und Johanna - die eine bereits fertige Ergotherapeutin, die andere auf dem Weg dahin.

Der Erlös wird gespendet

2018 waren es zwischen 1500 und 2000 Menschen, die bei der Tagesveranstaltung mit Zuchtschau und vielfältigem Programm den Betrieb kennenlernen wollten. Gerne würden die Zellers auch heuer wieder so vielen Menschen zeigen, welche bunte Vielfalt auf ihrem Hof lebt: Tinker, Shettys, Spanier, Haflinger, Norweger und Isländer. Vor allem aber wünschen sie sich, dass möglichst viel zusammenkommt für die beiden Organisationen, denen sie "etwas Gutes tun wollen, mit dem, was wir können". Darum geht der Erlös aus Ponyreiten und den liebevoll gebastelten Flohmarktsachen des Hofstands an die Klinikclowns und die Brotzeit-Stiftung von Uschi Glas, von der sowohl Kinder als auch Senioren profitieren. A propos Essen: Erstmals werden neben dem bewährten Angebot der Landmetzgerei Schauberger auch komplett vegane Speisen der Bad Aiblinger Gartenküche serviert. Die Stärkung wird sicher willkommen sein, dauert doch die Zuchtschau bis in den Nachmittag und es gibt jede Menge zu tun und zu sehen. Beispielsweise Infostände von Produkten und Dienstleistungen rund ums Pferd - von Weidepflege bis Sattelzeug.

Und in der Mittagspause natürlich die Showeinlagen: "Fit mit Fohlen" heißt die "Rückbildungsgymnastik auf Pferdeart", die von sechs Stuten mit fünf Fohlen dargeboten wird. Bei einem anderen Act werden Pferdewippen als Gymnastikgerät vorgestellt, mit denen sich spielerisch die Tiefenmuskulatur im Rücken trainieren lassen.

Doch werden bei einem solchen Showprogramm die Tiere nicht gequält? Lisa, die 22-Jährige, die Deckhengst Conquest bei der Vorführung reiten wird, schüttelt vehement den Kopf. "Man bringt ihnen nichts bei, was sie nicht schon von Haus aus können." Deswegen hat die Trainerin, die einmal im Jahr für ein Wochenende kommt, um mit den Pferden neue Tricks einzuüben auch gleich Coni als den passenden Kandidaten für den Sitzkissen-Trick auserkoren. Wie elegant er das tut, ist in "Anna und die Haustiere" zu sehen, einer der beiden Folgen der Kika-Kindersendung, die auf dem Schrankenschneiderhof gedreht wurde. Oder man schaut es sich live beim Hoffest an.

Sonntag, 18. September, Schrankenschneiderhof. Ab 10 Uhr: Zuchtschau / ab ca. 12.30 Uhr Showprogramm / ab 14 Uhr Ponyreiten. Außerdem Infostände, Flohmarkt, Kinderschminken, Hofrallye, Essen (auch vegan) und Trinken. Der Erlös wird gespendet: an die Klinikclowns und die Stiftung Brotzeit.

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