Ebersberg:Haar für Haar zur Perfektion

Ebersberg: Erst sortiert Jakob Weiß die Haarbüschel, dann bindet er sie mit einem feinen Faden spiralförmig aneinander.

Erst sortiert Jakob Weiß die Haarbüschel, dann bindet er sie mit einem feinen Faden spiralförmig aneinander.

(Foto: Christian Endt)

Jakob Weiß ist IT-Techniker - und einer der letzten Gamsbartbinder in Bayern. Um ein Exemplar des traditionellen Hutschmuckes zu fertigen, braucht es viel Geduld und handwerkliches Geschick.

Von Daniela Weichselgartner, Ebersberg

Strähne für Strähne zieht Jakob Weiß höchst konzentriert aus einem vollem Glas, um sie der Länge nach zu sortieren. Mit kritischem Blick wird er dabei von einer geschnitzen Gämse, deren lebendige Artgenossen das Rohmaterial liefern, beobachtet. Ein Bündel Haare nach dem anderen reiht sich auf der Tischplatte auf.

Trotzdem scheint der Behälter kaum leerer zu werden, und auf der Arbeitsplatte stehen noch viele weitere bereit. Ein Gamsbart - prächtiger Hutschmuck und oft der ganze Stolz eines Trachtlers - soll daraus einmal werden. "Die Arbeit ist meditativ und für mich ein Ausgleich zum Beruf", sagt der IT-Techniker.

Er habe Gefallen an dem Handwerk gefunden, weil es so rar geworden ist, erzählt Jakob Weiß. In Deutschland ist außer den wenigen Jägern oder Trachtlern, die sich ihren Hutschmuck selbst fertigen, nur ein weiterer Gamsbartbinder tätig, in Österreich sind es zwei. "Die Tendenz zum Tragen eines Gamsbartes ist hingegen wieder steigend", erklärt der 59-Jährige. Während viele der älteren Generation bereits ihre Ausstattung besäßen, seien vor allem junge Leute an seinen Arbeiten interessiert und auch bereit, für die Tradition Geld auszugeben, erzählt der Gamsbartbinder.

Ebersberg: Gamsbartbinder Jakob Weiß bei der Arbeit.

Gamsbartbinder Jakob Weiß bei der Arbeit.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Noch liegen lediglich einzelne Bündel auf dem Tisch, aber wie ein fertiger Gamsbart aussehen soll, kann man in den Regalen um den Arbeitsplatz herum bewundern. Schön rund und ohne Stufen muss ein gelungenes Werk sein. Doch abgesehen davon gibt es viele Variationen. An den vier Wänden in Ebersberg findet man sowohl Gams-, als auch Dachs- und Hirschbärte aller Größen. Länge und Dichte sind ausschlaggebend für den Preis, der für die aufwendigeren Bärte bei etwa drei- bis viertausend Euro liegt.

Bis ein Gamsbart fertig ist, kann es bis zu 100 Stunden dauern

Die Kosten haben ihre Berechtigung, denn 60 bis 80, teilweise sogar 100 Stunden Arbeit stecken in den Prachtstücken. Außerdem kostet allein die Behaarung eines Tieres etwa 50 Euro. "Die zehn- bis zwölffache Menge brauche ich schon für so einen", sagt Weiß und deutet auf einen besonders buschigen Hutschmuck. Sein größtes Problem sei es, genügend Rohmaterial zu bekommen, denn jeder Jäger erlegt nur eine begrenzte Anzahl an Gämsen im Jahr, die nicht einmal für ein einzelnes Werk ausreicht.

Bestenfalls werden die Haare bis zu 20 Minuten nach dem Erlegen des Tiers aus der Haut gerissen. Andernfalls ist der Körper abgekühlt, und die Haare müssen geschnitten werden, wodurch sie an wertvoller Länge verlieren. Vor der Weiterverarbeitung müssen die vom Jäger gelieferten Haare von Blutresten, Ungeziefer und einem oftmals strengen Geruch befreit werden. Nachdem es ausgebürstet wurde, wird das Naturmaterial in einer Lösung aus Wasser, Essig und Feinwaschmittel und im nächsten Durchgang mit herkömmlichen Haarshampoo gewaschen.

Ebersberg: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Sind die Haare wieder getrocknet, beginnt das zeitintensive Sortieren in Büschel gleicher Länge, die dann mit einem hauchdünnen Faden zusammen gebunden werden. Sorgfältig und mit ruhigen Händen arbeitet Jakob Weiß vor einem schwarzen Brett, um den Reif, wie die hellen Spitzen genannt werden, besser erkennen und auf eine Höhe bringen zu können.

Schließlich bindet er die einzelnen Bündel spiralförmig um einen Metallstab. Die kurzen bilden dabei die Mitte, nach außen hin nimmt die Länge zu, sodass sich die typische Kugelform ergibt. Runde um Runde wird der Gamsbart voller. "Geduld, ein gutes Augenlicht und handwerkliches Geschick sind bei dieser Arbeit gefragt", sagt der 59-Jährige.

Bastler und Restaurator

Neben der Fertigung nimmt für den Ebersberger die Restauration alter Bärte einen hohen Stellwert ein. Wer die Schönheit seines geliebten Erb- oder Erinnerungsstücks wieder ans Licht bringen will, kann sich jederzeit an ihn wenden. Aus dem Regal holt er einen krummen und verklebten Hirschbart. "Besonders Nikotin setzt dem Hutschmuck zu, Nässe hingegen richtet weniger Schaden an", erklärt der Experte. Doch auch solch demolierten Exemplaren wird durch sachgemäßes Waschen zu altem Glanz verholfen.

Ist der Bart hingegen zu licht, werden zusätzliche Haare eingeflochten, wie der Fachmann erläutert. Damit keine Farbunterschiede entstehen, müssen dazu Bündel aus alten Bärten verwendet werden, denn mit der Zeit bleichen die Haare aus. Deshalb ist Jakob Weiß immer auf der Suche nach alten Bärten, die er aufkaufen und weiterverarbeiten kann.

Ebersberg: Und so sieht der fertige Hut aus.

Und so sieht der fertige Hut aus.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

In die beinahe vergessene Kunst der Gamsbartherstellung eingeführt wurde er von Rudi Wackerle, einem echten Garmisch-Partenkirchener Urgestein. Dieser sei aufgrund seines fortgeschrittenen Alters schon beinahe blind, könne aber eine erstaunlichen Erfahrung vorweisen, berichtet der Ebersberger voller Bewunderung. Zusätzlich schulte Jakob Weiß seine Fähigkeiten, indem er alte, preiswerte Objekte auseinandernahm und deren Aufbau studierte.

Inzwischen ist ihm die ruhige Arbeit schon seit sechs Jahren ein willkommener Ausgleich zum Job in der IT-Branche. Wie der 59-Jährige in seiner Lederhose am Arbeitstisch sitzt und routiniert Bündel um Bündel zur perfekten Form anordnet, wirkt es hingegen beinahe, als fertige er schon sein Leben lang aus hauchdünnen Haaren buschigen Hutschmuck.

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