„War Aspects“ auch im Landkreis:Ein Sound zwischen Leben und Tod

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Diese Hornlautsprecher sind rund 50 Jahre alt und stammen von einem englischen Motorsportrennen. Der Künstler Andy Webster hat sie nun im Ebersberger Forst installiert. (Foto: Christian Endt)

Indem er die Bäume anzapft, erinnert der englische Künstler Andy Webster an den Krieg: „Playing D.E.A.D.“ heißt seine komplexe Klanginstallation im Ebersberger Forst.

Von Anja Blum, Ebersberg

Stille. Vogelgezwitscher. Blätterrauschen. Knackende Zweige. Solch eine Geräuschkulisse erwartet, wer in den Ebersberger Forst geht. Momentan aber kann man dort auch eine ganz andere Hörerfahrung machen. Der britische Künstler Andy Webster nämlich hat mitten in der Idylle des Waldes eine Soundinstallation geschaffen: vier Lautsprecherstationen, aus denen elektrische Klänge dringen. Das ist überraschend, vielleicht sogar (ver)störend. Doch es lohnt durchaus, sich einige Momente auf dieses auditive Erlebnis einzulassen.

Websters Installation ist Teil eines bayernweiten Projektes: Unter dem Titel „War Aspects“ hat Peter Kees aus Steinhöring befreundete Kunstschaffende dazu eingeladen, Interventionen zum Phänomen Krieg zu schaffen, die Schauplätze sind öffentliche Orte in ganz Bayern. Die Fragestellung: „Welche Kriege und Konflikte nehmen wir überhaupt wahr? Wie nehmen wir sie wahr? Und wie kann Kunst unsere Sichtweisen darauf verändern, Zeichen setzen, Hoffnung vermitteln?“ 

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Websters Beitrag erlebt, wer von Ebersberg aus auf der Anzinger Straße durch den Forst fährt und auf der Höhe vom Forsthaus Hubertus links abbiegt. Gleich an der ersten Kreuzung dort sind vier Lautsprecher aufgebaut, jeweils einer in jeder Himmelsrichtung. „So ergibt sich hier in der Mitte ein toller Surround-Effekt“, sagt Kees. Zehn Stunden hätten er und Webster gearbeitet, bis die Installation zu ihrer Zufriedenheit aufgebaut gewesen sei. „Man hat ja immer eine gewisse Vorstellung im Kopf – aber wie das dann in der Realität wird, ist stets eine Überraschung“, so der Kurator der bayernweiten „War Aspects“.

Es ist nicht das erste Mal, dass Andy Webster, geboren 1964 in Mansfield, in Ebersberg zu Gast ist, ganz im Gegenteil. Bereits drei Mal hat er mit seinem Kollegen Derek Tyman hier Projekte realisiert, zuletzt bauten sie für das „Arkadien-Festival“ einen „Free Tower“, ebenfalls im Ebersberger Forst. Ja, er möge die Gegend und die Menschen hier sehr, sagt Webster. Der englische Künstler arbeitet mit verschiedenen Medien, Maßstäben und Formaten. Häufig konfiguriert er dabei Materialien und Details aus kulturellen Artefakten, Ereignissen und Geschichten neu. Kees schreibt: „Inspiriert von Schriftstellern, Denkern, Musikern und Künstlern, die sich mit Formen des Widerspruchs und der Kritik an herrschenden Ideologien befassen, nutzt Andy trockenen Humor, taktische Absurdität, Inauthentizität und vorsätzliche Ineffizienz als kritische Werkzeuge, um alternative Modelle des Denkens und Handelns aufzuzeigen.“

"Meine Hunde mögen den Sound", sagt Andy Webster. Und dass er hoffe, dass das auch für die Tiere des Waldes gelte. Nachts haben diese aber auf jeden Fall ihre Ruhe, denn da werden die Akkus der Installation aufgeladen. (Foto: Christian Endt)

Aspekte des Krieges – darauf eine künstlerische Antwort zu finden, sei gar nicht so einfach gewesen, gesteht Webster, doch Medienberichte, laut denen Menschen in der Ukraine sich tot gestellt hätten, um die russische Militärinvasion zu überleben, hätten ihn auf eine Idee gebracht. „Ich erinnerte mich plötzlich an das Kinderspiel ,Playing Dead’, bei dem es einen Jäger gab und die anderen ganz stillhalten mussten. Eigentlich ein harmloser Spaß, aber mit Blick auf die realen Situationen heute eine ziemlich makabere Aktivität.“

Die Idee des sich Totstellens führte Webster wiederum zu einem Werk des amerikanischen Künstlers Bruce Nauman aus dem Jahr 1969, entstanden vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs: In dem Video mit dem Titel „Violin Tuned D.E.A.D.“ spielt der Künstler auf einer entsprechend umgestimmten Geige – ein unheilvoller, absurder Klang, der Webster nun zu einer Neuinterpretation inspirierte. „Playing D.E.A.D.“ nennt der Engländer seine Installation im Ebersberger Forst, denn auch das, was aus seinen vier Lautsprechern dringt, ist in den Tonarten D, E und A gestimmt.

Peter Kees (rechts) freut sich über den neuerlichen Besuch seines Freundes aus England und dessen gelungenen Beitrag zu den "War Aspects". (Foto: Christian Endt)

Der Wald aber dient nicht nur als kontrastreiche, weil idyllische Kulisse für Websters verstörende Klangwelten – er erzeugt sie sogar mit. Der Künstler nämlich hat quasi die Bäume angezapft: Kleine Metallklammern nehmen an Blättern Impulse auf und leiten diese an diverse elektrische Geräte weiter. Eine Software wiederum verwandeln die biologischen Echtzeitdaten schließlich in Klang. Fotosynthese, Magnetismus: Es gebe viele verschiedene biologische Prozesse, die messbar seien, sagt Webster. Und tatsächlich scheint jene Soundstation, die in diesem Moment mehr Licht abbekommt, aktiver, dominanter zu sein als die anderen dreien. Webster selbst nimmt aber ebenfalls Einfluss, er kann per App die Charakteristika des Sounds verändern. „Es ist ein großes Experiment“, sagt er und lacht.

Wer genau lauscht, kann Klavier hören, Hörner und Streicher. Doch auch allerhand „Störgeräusche“ und verzerrte Gitarren. Er wolle hier keinesfalls liebliche, meditative Musik erschaffen, sagt der Künstler, sondern etwas Härteres und Unangenehmeres, schließlich gehe es um das Thema Krieg. Als Vorbild diente Webster ein Album der amerikanischen Band Sonic Youth: Diese „Silver Sessions“ bestünden genau genommen nur aus Rückkopplungen von Gitarren, die Songs hätten keine traditionelle Struktur, es sei ein reines Noise-Album. „Der Gitarrist Thurston Moore sagte über die Qualität des Albums, dass es klingt wie ein Flugzeug, das über dem Pazifik brennt und horrend verzerrte Zitate herausbläst. Genau so möchte ich dieses Werk namens Playing D.E.A.D. beschreiben.“ Unschuldiges Kinderspiel, Überlebenstaktik im Krieg, biometrische Daten von Pflanzen: Webster hat ein absurd-humorvolles Konzept ersonnen und ermöglicht damit mitten in der Natur eine nachdenklich stimmende Erkundung von Tod und Überleben in Zeiten des Konflikts.

Allerhand Technik ist nötig, um die biometrischen Daten der Bäume in Klang zu übersetzen. (Foto: Christian Endt)

Wer mehr wissen will über die „War Aspects“ im Allgemeinen und „Playing D.E.A.D.“ im Speziellen, sollte am Donnerstag, 5. September, um 19 Uhr in die Galerie des Ebersberger Kunstvereins gehen. Dann nämlich findet dort eine Infoveranstaltung statt. Kurator Peter Kees wird die Intention des gesamten Projektes erklären, die beteiligten Künstler sowie ihre Aktionen vorstellen und ein Künstlergespräch mit Andy Webster führen. Laut Ankündigung sollen dabei der Umgang mit dem Krieg und seine Folgen für unsere zeitgenössische Gesellschaft diskutiert werden.

Andy Webster: „Playing D.E.A.D.“, ab sofort bis Samstag, 7. September, täglich von 10 bis 20 Uhr im Ebersberger Forst, Hohenlindener Grenz Gerämt (Höhe Sankt Hubertus links). Der Künstler ist meist anwesend. Infoveranstaltung am Donnerstag, 5. September, um 19 Uhr im Studio an der Rampe, Kunstverein Ebersberg.

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