Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Es kommt ins Rollen

Eine Online-Plattform informiert über Barrierefreiheit im öffentlichen Raum - wenn auch noch etwas lückenhaft

Von Jessica Morof, Ebersberg

Eine Verabredung im Café der Nachbarstadt oder der Restaurantbesuch im Urlaub können für Rollstuhlfahrer oder auch Gehbehinderte zum Problem werden. Stufen, Absätze, Schächte versperren den Zugang zu Geschäften oder Einrichtungen. "Wir wissen ganz oft nicht über die Zugänglichkeiten im Landkreis Bescheid", sagt Gerhard Schönauer vom Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Bei Ausflügen mit Rollstuhlfahrern hat sich der Leiter der Abteilung "Ambulante Dienste für Menschen mit Behinderung" früher immer gefragt, welche Bäckereien oder Cafés überhaupt infrage kommen. "Das kann man jetzt in der Wheelmap sehen", sagt er. Theoretisch zumindest. Bislang ist dieses Internetprojekt des Vereins Sozialhelden im Landkreis wenig verbreitet; doch das soll sich bald ändern.

Seit 2010 gibt es den Kartendienst unter www.wheelmap.org, in dem Orte, öffentliche Einrichtungen oder Geschäfte auf die Rollstuhlzugänglichkeit hin bewertet sind: Wer einen barrierefreien Bäcker, ein Restaurant oder ein Amt in seiner Gemeinde entdeckt, kann ihn in die Karte eintragen und grün markieren. Ist das Geschäft nur bedingt für Rollstuhlfahrer zugänglich, bekommt es eine orange Farbe zugeteilt. Wenn es Stufen oder andere Hindernisse gibt, wird die Markierung rot. Dieses kostenlose Angebot zum Mitmachen soll es Rollstuhlfahrern erleichtern, sich trotz Beeinträchtigung an unbekannten Orten zurechtzufinden. Eintragen kann jeder, ohne sich registrieren zu müssen: Privatpersonen oder Unternehmer, behinderte und nicht behinderte Menschen.

Die offene Behindertenarbeit in Markt Schwaben geht mit gutem Beispiel voran und ist grün markiert ebenso wie einige Bäckereien und Restaurants. Sogar die Barrierefreiheit des Maibaums ist vermerkt. Insgesamt fehlen aber noch viele Einrichtungen im ganzen Kreis. Für die Altstadtpassage in Ebersberg zeigt die Karte 19 Einträge - alle sind grau: Metzger, Schuhladen, Einkaufszentrum, Sportgeschäft und weitere sind zwar in der Karte vermerkt, es fehlt aber der Hinweis, ob sie rollstuhlgerecht sind. In den weiteren Gemeinden im Landkreis sieht es nicht anders aus. "Die Wheelmap ist sehr nützlich und soll auf jeden Fall ausgebaut werden", sagt Petra Mittelberg. Die ehrenamtliche Behindertenbeauftragte für den Landkreis plant deshalb unter anderem ein Schulprojekt für höhere Jahrgangsstufen. Das Ziel: Den Schülern den Nutzen und den Umgang mit der Karte vermitteln, weitere barrierefreie Einrichtungen zu melden und gleichzeitig das Verständnis für Rollstuhlfahrer ausbauen. Der Verein Sozialhelden gibt für solche Kurse spezielle Unterrichtsmaterialien aus. Gegebenenfalls wird Mittelberg das Projekt auch auf andere Jugendgruppen ausweiten. " Stück für Stück werde ich auf dem Weg zur Inklusion weitergehen und hoffen, dass diesen Weg immer mehr Menschen mitgehen werden", sagt Mittelberg.

Mitgehen sollten ihn im Landkreis möglichst viele, um die Wheelmap zu befüllen. Meist gebe es ein bis zwei engagierte "Mapper" - so nennt Svenja Heinecke von Sozialhelden e.V. Personen, die Orte eintragen. "Es hat sehr stark mit dem Unterschied zwischen Stadt und Land zu tun", erklärt die Projektmanagerin. In großen Städten gebe es häufiger "Mapping-Events"; kleine Gemeinden seien vor allem dann sehr bunt, wenn Rollstuhlfahrer dort leben. Laut dem aktuellsten Sozialbericht des Landkreises - die Zahlen stammen von Ende 2013 - leben im Landkreis zwar nur 42 Personen, die ständig auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Allerdings gibt es 3770 Landkreisbürger mit einer erheblichen Gehbehinderung. Davon gelten 858 sogar als außergewöhnlich gehbehindert.

Dass der Erfolg der Karte vor allem durch diejenigen getragen wird, die Orte markieren, weiß auch Schönauer: "Es hängt eben vom Engagement in der Umgebung ab." Wer nicht selbst mit dem Rollstuhl unterwegs sei, kenne die Karte überhaupt nicht, vermutet er. Das möchte er ebenso wie Petra Mittelberg ändern. Gemeinsam mit der Volkshochschule Grafing wird er im Wintersemester ein Seminar zur Wheelmap anbieten. An zwei Terminen lernen die Teilnehmer die Karte kennen und üben das Eintragen oder Bewerten von Orten. So möchte er direkt beim Befüllen der Online-Karte beitragen und gleichzeitig das Angebot bekannter machen.

Der Kurs "Inklusion konkret" zu Nutzung und Nutzen der Wheelmap findet am Donnerstag, 1. Oktober, und Mittwoch, 21. Oktober, von 19 bis 21 Uhr in den Räumen der VHS Ebersberg statt. Der Besuch ist kostenlos.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2015
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