Szenen vom Wahlabend in Ebersberg und Erding:Über Begeisterung und Ernüchterung

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Die Linken haben Grund zum Feiern: Im griechischen Lokal El Greco jubeln Direktkandidat Tobias Boegelein und seine Mitstreiter bei den ersten Hochrechnungen, die die Partei bei 8,6 Prozent bundesweit sehen. (Foto: Christian Endt)

Während die Freude beim Gewinner des Direktmandats, Andreas Lenz, und seiner CSU-Parteikollegen groß ist, zeigen sich andere Mitbewerber durchaus enttäuscht – bis auf Manuela Schulz (AfD) und Tobias Boegelein (Die Linke).

Von Anja Blum, Regina Bluhme, Thomas Daller, Johanna Feckl, Barbara Mooser und Alexandra Leuthner, Ebersberg/Erding

Es dauert, bis CSU-Direktkandidat und erneuter Gewinner des Direktmandats im Wahlkreis Erding-Ebersberg im Hirschbachwirt in Forstern aufschlägt, aber krumm scheint dem 43-Jährigen das niemand zu nehmen: Mit tosendem Applaus wird er bei der Zusammenkunft der CSU-Mitglieder aus Ebersberg und Erding begrüßt – bei einem solch klaren Ergebnis ist die gute halbe Stunde Verspätung wohl echt egal. „Über das Bundesergebnis kann man philosophieren“, sagt er bei seiner Dankesrede zu Beginn, das lasse auch niemanden in der Union kalt. „Aber das bayerische Ergebnis ist gut.“ Und mit 45,9 Prozent der Erststimmen hat er selbst noch einmal fast vier Prozent mehr geholt als bei der vergangenen Bundestagswahl 2021.

„Da bin ich sehr dankbar“, sagt er wenig später im Gespräch mit der SZ. Das sei eine große Verpflichtung für ihn und gleichzeitig ein ebenso großes Vertrauen, das ihm die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis entgegenbringen. Zuvor hat er gesagt, dass er sich „wirklich über jede Stimme freue“. Am Samstag noch habe er drei Rückrufe am Telefon erledigt – Wähler, die noch unschlüssig waren, bei wem sie am Sonntag ihr Kreuz setzen sollten. „Jetzt könnte man sagen, das macht das Kraut auch nicht fett – aber doch, ich finde schon.“ Seit November sei er jeden Tag unterwegs gewesen in einem Wahlkampf, den er als „sehr intensiven“ erlebt habe. Intensiv inwiefern? Die Taktung, sagt er der SZ, die sei immer hoch. Aber diesmal sei das Bewusstsein, dass es um sehr viel gehe, doch noch einmal stärker gewesen.

Die Grünen erleben den Wahlabend gemeinsam mit ihrem Direktkandidaten Christoph Lochmüller in der Ebersberger Kugleralm. Über den Bildschirm flimmert das Programm der ARD, jede neue Hochrechnung wird gespannt verfolgt. Besonders viele Buhrufe erntet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der CSU. Angesichts der Ergebnisse der eigenen Partei herrscht zwar keine Jubelstimmung, aber durchaus Zufriedenheit. „Im Gegensatz zu den anderen Ampel-Parteien und trotz ständiger Angriffe von allen Seiten sind wir einigermaßen stabil geblieben – und das ist doch einen Applaus wert“, sagt Lochmüller.

Christoph Lochmüller verbringt den Wahlabend mit den Grünen in der Kugleralm in Ebersberg. Grund zur Euphorie gibt es nicht, gern wäre Lochmüller auf dem zweiten Platz gelandet. (Foto: Christian Endt)

Enttäuscht zeigt sich der Grünen-Kreisvorsitzende aber vom großen Zuspruch für die AfD, vor allem auch mit Blick auf die Zahlen im Wahlkreis Ebersberg-Erding: „Mein persönliches Ziel war es, als Direktkandidat den zweiten Platz zu verteidigen“ – das aber gelingt dem Hohenlindener nicht. Er landet am Ende mit 13,4 Prozent auf Rang drei, hinter CSU-Kandidat Lenz und Manuela Schulz von der AfD. „Dabei hat die hier kaum Wahlkampf gemacht und obendrein dreist Dinge behauptet, die ihre Partei überhaupt nicht vertritt, zum Beispiel, dass sie für den Ausbau der erneuerbaren Energien sei.“

AfD-Kandidatin Manuela Schulz hat ohnehin nicht damit gerechnet, das Direktmandat zu holen

Anruf bei AfD-Direktkandidatin Manuela Schulz, sie ist gegen 19.30 Uhr gerade im Auto auf dem Heimweg: Dass die AfD so gut abschneidet, das habe sie eigentlich nicht überrascht, sagt sie am Telefon. „Wir hatten in letzter Zeit ja viel Zuspruch an den Wahlständen.“  Mit dem Ergebnis ihrer Partei und auch ihrer Direktkandidatur ist sie sehr zufrieden, „Jedes Prozent für uns ist gut.“ Enttäuscht sei sie nicht, dass es mit einem Sitz im Bundestag nicht klappt, denn damit habe sie ohnehin nicht gerechnet. „Alles gut, so wie es ist.“

„Das ist nicht schön, aber ein Richtwert für die Zukunft“, sagt SPD-Kandidat Marco Mohr. „Zehn Prozent sind nicht, was ich erhofft habe, aber wir haben einen guten Wahlkampf geleistet.“ Die Themen Wirtschaft und Migration hätten dabei nur leider die eigentlichen Probleme im Wahlkreis wie Wohnungsbau, Mieten und Inflation überlagert, so Mohr. „Nun werden wir schauen, wie wir unser Angebot besser in die Mitte der Gesellschaft bekommen.“ Man müsse den öffentlichen Raum nutzen, am Arbeitsplatz oder in Vereinen politische Gespräche führen. „Die sozialen Medien sind wichtig, aber man sollte auch im realen Leben auf andere Menschen zugehen.“

SPD-Kandidat Mohr empfiehlt, den fairen Wahlkampfstil aus Ebersberg-Erding nach Berlin zu exportieren

Wie schwierig schätzt der SPD-Kandidat nun die Koalitionsverhandlungen ein, nachdem Merz bereits angekündigt hat, bei der illegalen Migration keine Kompromisse zu machen? Es sei Verhandlungstaktik, am Anfang Maximalforderungen zu stellen, sagt Mohr, in den Gesprächen werde man sich aber nicht von der Union treiben lassen. Außerdem halte er es für zwingend notwendig, die SPD-Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag mit der Union abstimmen zu lassen. Ferner betont er, dass man in Erding und Ebersberg einen besonders fairen Wahlkampf geführt habe. Diesen Stil sollte man nach Berlin exportieren: Er teile manche Ansichten politischer Mitbewerber zwar nicht, aber als Menschen sollte man miteinander sprechen können.

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Für die FDP und ihren bayerischen Spitzenkandidaten, den Vaterstettener Martin Hagen, hatte es am Anfang des Abends noch vielversprechend ausgesehen, doch kurz vor 21 Uhr besteht keine Hoffnung mehr, die Fünf-Prozent-Hürde noch zu überspringen. „Das war’s“, sagt Hagen am Telefon, „wir sind leider gescheitert.“ Man habe einen engagierten und guten Wahlkampf geführt und eine Aufholjagd versucht, doch die FDP habe in den vergangenen drei Jahren in der Ampelregierung zu viel Vertrauen eingebüßt. Dass die FDP im Stimmkreis bei 5,1 Prozent der Zweitstimmen gelandet ist, und Hagen in seiner Heimatgemeinde Vaterstetten sogar noch deutlich besser abgeschnitten hat, kann an der gedrückten Stimmung am Wahlabend angesichts der allgemeinen Lage nicht mehr viel ändern.

„Natürlich bin ich nicht zufrieden, wir hätten uns schon ein bisschen mehr gewünscht“, sagt Wolfgang Reiter, Direktkandidat der ÖDP. Das Ergebnis sei „tatsächlich tragisch“, gerade im Landkreis Erding, „wo wir immer gut waren“. Wenn es bei den mageren 0,6 Prozent bleibe, würden die Wahlkampfkosten nicht erstattet. Geld, das der ÖDP dann fehle. Er hoffe jetzt nur, „dass die Parteien der Mitte es schaffen, eine stabile Regierung hinzukriegen. Wenn nicht, sollten sie sich in Grund und Boden schämen.“

Anton Steinbacher, der Direktkandidat der Freien Wähler, räumt ein, dass er schon enttäuscht sei. Er habe sich „ein bisschen mehr erhofft“. Auf 4,3 Prozent der Zweitstimmen kommen die Freien Wähler insgesamt im Wahlkreis. Er finde, die kleinen Parteien seien gerade in den letzten Tagen in den Wahldebatten kaum vorgekommen, „wir wurden aufgefressen“. Dabei seien die Freien Wähler die „einzig echte Alternative“. Wie es nun weitergeht in Berlin, welche Koalition sich ergeben wird, das sei jetzt ungewiss. Seine Motivation jedenfalls sei aber ungebrochen: Sollte es in drei Monaten Neuwahlen geben, dann werde er sich auf jeden Fall nochmals als Direktkandidat bewerben, sagt Steinbacher.

Bernhard Winter bei seiner Wahlwanderung durch die Gemeinden des Stimmkreises. (Foto: Stephan Goerlich)

Bernhard Winter klingt fröhlich, als er am Wahlabend ans Telefon geht, von Frust keine Spur – auch wenn er nur eine verhältnismäßig kleine Zahl an Wählerinnen und Wählern überzeugen konnte, bei seinem Bündnis Bernhard Winter sein Kreuzchen zu machen: 0,8 Prozent waren es letztlich, eine kleine Hochburg ist seine Heimatgemeinde Markt Schwaben, wo er früher Bürgermeister war, hier fuhr er 3,8 Prozent der Stimmen ein.

Viele hätten angesichts der Mehrheitsverhältnisse wohl befürchtet, dass eine Stimme für ihn verloren sei, sagt Winter, der als Einzelkämpfer angetreten ist. Dennoch bereue er „Nullkomma null“, dass er den anstrengenden Wahlkampf auf sich genommen habe, sagt er. Es sei für ihn sehr bereichernd gewesen, bei seiner Wahlwanderung durch die Gemeinden so viele Menschen kennenzulernen und von ihren Sorgen und Wünschen zu erfahren. Für sie wolle er sich dennoch im Rahmen seiner Möglichkeiten einsetzen, sagt der 71-Jährige, dafür brauche er ja kein Mandat.

Tobias Boegelein, Direktkandidat der Linken, hat am Wahlabend ein zufriedenes Lächeln im Gesicht – ein eigenes Bundestagsmandat hat er trotz Direktkandidatur nicht angestrebt. (Foto: Christian Endt)

Tobias Boegelein ist nicht für wilde Gefühlsausbrüche bekannt, der Direktkandidat der Linken hält mit seinen Emotionen eher hinter dem Berg. Dieser Wahlabend aber, den er mit einer Menge vor allem junger Parteifreunde beim griechischen Lokal El Greco in Markt Schwaben feiert, zaubert ihm mehr als ein zufriedenes ein Lächeln aufs Gesicht. Dieses schwindet nur, wenn er auf die Gesamtlage der Bundespolitik angesprochen wird. Der bundesweite Aufwärtstrend seiner eigenen Partei hat auch vor dem Kreisverband im Südosten der Landeshauptstadt nicht Halt gemacht, eine beispiellose Eintrittswelle hatte der Kreisverband schon vor einigen Tagen gemeldet, und „heute haben wir die 100er-Marke geknackt“.

Dass die erste Hochrechnung um 18.30 Uhr die Prognosen bestätigt und die Linken deutschlandweit deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde sieht, ist dann fast schon Nebensache. Die Faust reckt der 43-jährige Brucker aber doch in die Höhe, als dann die Zahl 8,6 Prozent über den großen Bildschirm flackert, und Kreisvorsitzende Marlene Ottinger immer wieder diese Ziffern in den Raum ruft. Dass er als Direktkandidat gegen den CSU-Kandidaten Andreas Lenz keine Chance hatte, entlockt Boegelein dabei nicht mehr als ein Achselzucken. 3,9 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis kann er schließlich für sich verbuchen und damit mehr als der weitaus bekanntere FDP-Kandidat Martin Hagen. Viel wichtiger findet er aber, dass es zwei 19-Jährige auf den Listenplätzen 4 und 6 aus Bayern in den Bundestag schaffen könnten. „Wenn wir das Ergebnis halten können.“ 5,1 Prozent erringt Die Linke schließlich an Zweitstimmen im Wahlkreis Erding-Ebersberg.

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