Süddeutsche Zeitung

Schulen in Ebersberg:Eltern erteilen Distanzunterricht ein Armutszeugnis

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Mütter und Väter aus dem Landkreis Ebersberg üben harsche Kritik an der bayerischen Landespolitik und fordern diverse Nachbesserungen.

Von Anja Blum, Ebersberg

"Bruchlandung mit Ansage", ist ein Offener Brief zum Thema Schulstart betitelt, der nun die beiden Ebersberger Landtagsabgeordneten und die Lokalredaktion der SZ erreicht hat - und das sagt eigentlich schon alles. Seit Montag sind die Ferien zu Ende, doch die Schulen weiter geschlossen, das heißt, die Familien stecken wieder im Homeschooling-Modus fest. Kaum einer der Beteiligten hatte wohl erwartet, dass das Lernen auf Distanz nun reibungslos verlaufen würde, aber auf Verbesserungen gegenüber dem Frühjahr 2020 hatte man schon zu hoffen gewagt. Nun zeigt sich, dass die Enttäuschung groß ist - auch im Landkreis Ebersberg.

"Alle schulrelevanten Systeme sind zusammengebrochen", konstatiert eine Grafinger Mutter, die selbst Grundschullehrerin ist, am Montagmorgen. Weil nichts mehr geht, tauschen die Eltern die Arbeitsmaterialien für die dritte Klasse kurzerhand per Whatsapp aus. Und an den weiterführenden Schulen sieht es nicht viel besser aus: Der als verbindlich eingestufte Schulbeginn per Videokonferenz scheitert vielerorts. Etwa am Gymnasium Grafing, das die Tochter von Sebastian Schlagenhaufer besucht, der nun eben jenen Offenen Brief an die Landtagsabgeordneten geschrieben hat.

Zwar habe man sich "als Familie mit zwei Kindern am Sonntag mit allen verfügbaren Materialien vorbereitet, die unterschiedlichsten Online-Plattformen installiert und die Kinder instruiert" - doch alles vergeblich. Zwei Tools versagten, nach etwa einer Stunde war der Spuk ohne Konferenz vorbei, eine Erklärung der Lehrkraft blieb aus. "Nach acht Monaten Pandemie ist das wirklich ein Armutszeugnis", schreibt Schlagenhaufer.

Und weiter: "Demgegenüber steht nun die Auffassung des Gesetzgebers, dass ich im Home-Office zeitgleich die Kinder betreuen könne. Selten so gelacht." Die Unterstützung des Distanzlernens sei immens zeitaufwendig, vor allem auch, weil nach Rückschlägen wie dem Konferenz-Debakel am Montag ja stets wieder psychologische Aufbauarbeit geleistet werden müsse. "Selbstredend war die Motivation meiner Tochter hinüber."

Verärgert ist der Grafinger Vater deshalb auch darüber, dass es "selbst für die groß angekündigten zehn zusätzlichen Kinderbetreuungstage pro Elternteil offiziell noch keine Regelung gibt". Insofern appelliert Schlagenhaufer an die beiden Ebersberger Abgeordneten: "Bringen Sie diese Unterstützung für Familien bitte umgehend auf den Weg, denn aktuell wird die schwierige Lage zum großen Teil auf dem Rücken der Kinder ausgetragen." Seine beruflichen Aufgaben, soweit überhaupt möglich, in den Abendstunden zu erledigen, wie im Frühjahr bereits geschehen, dazu sei er erst dann bereit, "wenn ich das Gefühl habe, dass auch der Kultusminister und die Ministerin für Digitales Sonderschichten einlegen".

Noch viel weiter geht die Kritik, die Marion von Schierstädt "und eine Vielzahl von Eltern und besorgten Erwachsenen" in einem Offenen Brief formulieren. Die Mutter aus Baiern fordert den Ministerpräsidenten Markus Söder dazu auf, sich seiner "Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen in Bayern bewusst zu werden und entsprechend zu handeln". Sprich: Wechselunterricht zu erlauben. Denn dass dieser aus pädagogischer und psychologischer Sicht die bessere Alternative zum Distanzunterricht sei, hätten bereits eine Vielzahl von Pädagogen, Ärzten und Therapeuten bestätigt. "Und nicht zuletzt die Schüler und wir Eltern."

Außerdem zweifelt Schierstädt daran, dass Kinder Infektionstreiber sind: "Ist denn bekannt, wie oft sich Mitschüler oder Lehrer seit Schulbeginn im September gegenseitig angesteckt haben?", fragt sie den Ministerpräsidenten. "Wie viele Schulen oder Kitas mussten aufgrund von erhöhtem Infektionsaufkommen geschlossen werden? Bitte veröffentlichen Sie hierzu entsprechende Zahlen." Angehängt an das Schreiben an die bayerische Staatskanzlei ist eine Liste mit 81 Unterschriften.

"Unsäglich, peinlich, erbärmlich": Der SPD-Politikerin Doris Rauscher fallen viele deutliche Adjektive zum Distanzunterricht ein. "Wenn ich mir die Rückmeldungen, die bei mir eingegangen sind, ansehe kann ich nur sagen: Herr Schlagenhaufer spricht sehr vielen Eltern aus der Seele", so die Landtagsabgeordnete aus Ebersberg. Seit fast einem Jahr habe das bayerische Kultusministerium Zeit gehabt, das digitale Lernen voranzutreiben, doch es sei kaum etwas passiert. "Dabei wäre genau dieses Thema doch eine lohnende Investition in die Zukunft", sagt Rauscher. "Ich finde, auch der Ministerpräsident sollte da mal seine Prioritäten überdenken."

Nicht ganz so deutlich wird ihr CSU-Kollege Thomas Huber, aber auch der Abgeordnete aus Grafing übt Kritik: Er stimme grundsätzlich mit Schlagenhaufer überein, schreibt er: Die Probleme, mit denen zurzeit Tausende Schüler, Lehrkräfte und Eltern zu kämpfen haben, müssten schnellstmöglich behoben werden. "Sicher hätte das Kultusministerium die Zeit seit den Sommerferien deutlich effektiver nutzen können, um unser gutes Bildungssystem auch auf das Distanzlernen vorzubereiten. Hier muss ohne Wenn und Aber mehr getan werden!" Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es an sehr vielen Schulen einen ausgesprochen positiven Schulstart gegeben habe, etwa an der Mittelschule Ebersberg, der Grundschule Grafing, den Realschulen Poing und Ebersberg, am Sonderpädagogischen Förderzentrum in Poing und am Gymnasium Markt Schwaben. "Das möchte ich bei aller berechtigter Kritik auch zum Ausdruck bringen, ohne die bestehenden Probleme damit schön zu reden."

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SZ vom 13.01.2021
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