Ebersberg:Eine Bühne für die Integration

Das Alte Kino startet ein Projekt, in dem Geflüchtete ihre Erlebnisse zu einem Theaterstück verarbeiten. Der Bund finanziert, eine Schauspielpädagogin unterrichtet - das Konzept kommt bei der Auftaktveranstaltung gut an

Von Johannes Hirschlach, Ebersberg

Haedar singt zum ersten Mal in seinem Leben vor Publikum. Die ersten Verse klingen noch verhalten, das Mikrofon verstärkt seine schüchterne Stimme. Es braucht ein paar Sekunden, dann hat sich der junge Mann mit der Situation angefreundet. So sehr, dass ihm sogleich mit selbstbewusster Intonation ein weiteres Lied über die Lippen kommt.

So wie Haedar geht es vielen am Dienstagabend im Alten Kino, wo Organisator Markus Bachmeier ein Projekt für Asylbewerber ins Leben gerufen hat. Nicht alle trauen sich zwar sofort in den Stuhlkreis, der vor der Bühne im Saal aufgebaut ist. Einige verstecken sich hinter dem Rücken anderer, blicken zu Boden. Theaterpädagogin Friederike Wilhelmi muss die Leute engagiert zur Teilnahme im Kreis auffordern. Über 30 Flüchtlinge, darunter zwei Frauen, waren gekommen, um zu erfahren, wie das Projekt aussehen soll. Auf der Bühne, wo gerade nur ein einsamer Stuhl steht, sollen die jungen Besucher in Zukunft selbst auftreten. "Wir interessieren uns für eure Geschichten, die wollen wir zeigen", erklärt die 55-Jährige.

Die Gruppe soll eigenen Erlebnisse mit Musik, Tanz, Schauspiel oder Improvisation als Theaterstück umsetzen. Über drei Jahre könnte das Projekt laufen, so der Plan des Alten Kinos, das für das Vorhaben die Unterstützung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gewinnen konnte. "Wir hatten das schon im letzten Herbst geplant, weil wir eine Bühne dafür haben", sagt Bachmeier. Allerdings sei schnell klar gewesen, dies nicht mit Ehrenamtlichen stemmen zu können. So habe das Team einen Antrag beim BAMF gestellt, das im Mai die Förderung bewilligte. Lediglich eine Eigenfinanzierung von 20 Prozent verbleibe beim Alten Kino.

Mit Friederike Wilhelmi hat Bachmeier eine Pädagogin mit langjähriger Fernseh-, Schauspiel- und Schriftstellererfahrung engagiert. Ihr Credo: "Die Geschichten müssen vollständig von den Teilnehmern gebaut sein", sagt sie. Nach einiger Zeit der Grundlagenvermittlung könne in den nächsten Monaten die Arbeit an einer Aufführung beginnen, um sie im Mai kommenden Jahres vor Publikum zu präsentieren.

Mit den angehenden Schauspielern möchte sich Wilhelmi ausschließlich auf Deutsch unterhalten, was bereits beim ersten Treffen gut funktioniert. Mit langsam und akzentuiert gesprochenen Worten, unter Zuhilfenahme lebhafter Gestik und Mimik, vermittelt sie der Gruppe ihre Wünsche. Zunächst wolle sie den Leuten zeigen, was in den kommenden Monaten geprobt werden könne.

Wilhelmi präsentiert eine Improvisationsübung: In den Reihen stößt man auf skeptische Gesichter, als Wilhelmi beginnt, wie eine Katze zu schleichen oder wie ein Frosch zu hüpfen. Doch mit der Zeit tauen die ersten Teilnehmer auf und bald springen alle durch die Halle. Neben dem Schauspiel selbst sollen die Asylanten aber auch Musik, Gesang und Lichteffekte in ihr Projekt einflechten. Dazu will Wilhelmi für die wöchentlichen Treffen spezialisierte Dozenten ins Boot holen. "Wir stimmen das je nach Bedarf ab", sagt sie. "Wollen die Leute tanzen, holen wir einen Tanzpädagogen, wollen sie singen, kommt ein Profisänger." Zwar stehe das Ziel des Bühnenstücks am Ende, jedoch sei alles ein Experiment, das "ganz große Spontanität" erfordere. Und natürlich soll das Projekt die Integration vorantreiben. "Womit ginge das besser, als mit Kultur?", stellt Wilhelmi in den Raum. Die Zusammenkünfte seien ein ideales Mittel, um das Selbstwertgefühl zu stärken. "Wir wollen den Flüchtlingen eine Stimme geben", sagt sie.

Eine Stimme, die hat auch Haedar bekommen, als er sich nach langem Hin und Her von Wilhelmi überreden lässt, vor der Menge ein Ständchen zu schmettern. Die kurze Gesangseinlage wirkt wie ein Stöpsel, der einen Schwall an Tatendrang zurückgehalten hatte. Nach Haedars Auftritt wollen noch Etliche ans Mikro und offenbaren verborgene Talente. "Die haben richtig mit den Hufen gescharrt", begeistert sich Wilhelmi hinterher über die "viele positive Energie". Derart elektrisiert hätten sich rund 20 Flüchtlinge für das nächste Treffen in zwei Wochen angemeldet. "Wie viele tatsächlich kommen, ist die Frage", sagt Bachmeier. Aber man sei offen und flexibel, wie sich das Projekt entwickele. Er sei schon jetzt "sehr froh, dass so viele kommen konnten".

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