EBE-JazzEine Stadt im Jazz-Fieber

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18 Veranstaltungen an sieben Orten hat EBE-Jazz diesmal geboten. Die großen Konzerte finden aber alle im Alten Speicher in Ebersberg statt.
18 Veranstaltungen an sieben Orten hat EBE-Jazz diesmal geboten. Die großen Konzerte finden aber alle im Alten Speicher in Ebersberg statt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Festival EBE-Jazz erweist sich einmal mehr als funkelndes und begeisterndes Kaleidoskop der musikalischen Farben, das zehn Tage lang den Takt in Ebersberg und Grafing prägt.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg/Grafing

Was beim Kartenspiel der Nachtarock, das ist beim Jazz die abendliche Jam-Session. Denn beim freien Spiel der Kräfte und Instrumente treffen bekannte Standards auf neue Inspirationen. Wer als Musiker gerade noch ein paar Schritte weiter einem Konzert gelauscht hat und nun beginnt, mitzujammen, bringt vielleicht eine gerade beobachtete Figur ein, oder probiert eine alternative Volte beim Zuspiel – und schon ist etwas Neues in der Welt.

Nicht anders bei den Zuhörerinnen und Zuhörern, die gespannt lauschen und wissend nicken, weil sie gerade im gleichen Konzert waren. Das Café Mala im Ebersberger Klosterbauhof ist an diesem Abend ein Ort, der brodelt vor Menschen und Musik. Bis nach Mitternacht ziehen sich die Gespräche hin, über den Auftritt der NDR-Bigband mit der Band Toytoy gerade vorhin oder über den umwerfenden Auftritt des Camille Bertault Quintets, noch einen Abend zuvor. Die Besetzung der Tische mag wechseln, die tiefe Vertrautheit mit dem Thema und die Begeisterung für die Musik aber bleiben: Ebersberg, eine Stadt im Jazzfieber.

Höchst expressiv: Camille Bertault präsentiert mit ihrem Quintett im Alten Kino das Programm „Bonjour Mon Amour“.
Höchst expressiv: Camille Bertault präsentiert mit ihrem Quintett im Alten Kino das Programm „Bonjour Mon Amour“. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Mut zur Größe beweist das Festival mit dem Crossover-Konzert der  NDR Bigband  zusammen mt der Band  Toytoy .
Mut zur Größe beweist das Festival mit dem Crossover-Konzert der NDR Bigband zusammen mt der Band Toytoy. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dabei gewesen zu sein, wenn Größen der internationalen Szene sich alle zwei Jahre bei EBE-Jazz ein Stelldichein geben, ist viel mehr als ein Häkchen auf der Liste. Allen voran die Mitglieder der Interessengemeinschaft, die sich in der Vorbereitung des Festivals über Monate hinweg jede Sekunde Privatleben abzwacken, die machbar ist: Man sieht es ihnen an den strahlenden Gesichtern an, an der Spannung, mit der sie, allesamt selbst Jazzer, den Konzerten folgen, den Filmen und den Workshops, die über zehn Tage hinweg den Takt der Kreisstadt prägen. Die Leidenschaft springt über aufs Publikum, dessen Stimmengewirr zwar nicht babylonisch klingt, aber erkennen lässt, wie weit die Zugkraft von EBE-Jazz inzwischen reicht. Das ist schon mehr „orbi“ als „urbi“. Der Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks vor der Tür ist Symbol für das weitreichende Echo des Angebots.

Begeisterndes Finale: Das Projekt „Kimuntu“ des kongolesischen Musikers Guy-El Mabiala appeliert an die Menschlichkeit.
Begeisterndes Finale: Das Projekt „Kimuntu“ des kongolesischen Musikers Guy-El Mabiala appeliert an die Menschlichkeit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Der Kunstverein verwandelt sein Studio an der Rampe in eine Jazzkneipe - mit vollem Erfolg.
Der Kunstverein verwandelt sein Studio an der Rampe in eine Jazzkneipe - mit vollem Erfolg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein anderes Zeichen ist die Tatsache, dass die Band, die den Förderpreis des bayerischen Jazzverbands gewinnt, inzwischen einen Auftritt in Ebersberg erhält. Für Teresa Luna und ihr vierköpfiges Ensemble sicher nicht nur eine Belohnung, sondern eine Herausforderung: erstens ihre Qualität vor einem fachkundigen Publikum beweisen und zweitens als „Vorgruppe“ zu einem absoluten Headliner antreten zu müssen. Sie ziehen sich achtbar aus der Affäre, zumal die Sängerin über genau jenes sinnliche Timbre verfügt, das auch aus einem Allerwelts-Arrangement noch eine aufregende Kreation macht.

Vor allem, wenn sie für ihre Titel die spanische Sprache wählt und damit Hitzewellen auf Gänsehaut erzeugt. Wie gut die Band die gewährte Chance nutzt, gibt es vielleicht bei EBE-Jazz 2049 zu erleben. Vielleicht auch nicht. Die Veranstalter können und dürfen inzwischen sehr wählerisch sein, wen sie sich auf die Bühne holen. Nicht zuletzt ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber den Fans des Festivals.

Die Sängerin Teresa Luna hat in diesem Jahr den Förderpreis des bayerischen Jazzverbands erhalten, inklusive Auftritt bei EBE-Jazz.
Die Sängerin Teresa Luna hat in diesem Jahr den Förderpreis des bayerischen Jazzverbands erhalten, inklusive Auftritt bei EBE-Jazz. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Gästebuch der Konzertreihe umfasst inzwischen viele Unterschriften aus der globalen Jazz-Familie. Dass zum letzten Abendkonzert ein weltweit angesehenes Trio wie Mare Nostrum anreist, haben sich die Ebersberger durch jahrelange Aufbauarbeit und eine glaubwürdige Programmgestaltung verdient. Der sardische Trompeter Paolo Fresu, der französische Akkordeonist Richard Galliano und der schwedische Pianist Jan Lundgren zelebrieren einen fröhlichen, lebenslustigen und beherzten Jazz, der jede Schwerkraft überwindet. Anleihen beim Folk, inspirierte Interpretationen von Klassikern und instrumentale Kunststücke: Das Publikum im voll besetzten Alten Speicher weiß gar nicht, wofür es sich mehr begeistern soll. Allein schon, wie Galliano mit der Pneumatik seiner Ziehharmonika das Meeresrauschen nachahmt, erzeugt ehrfürchtiges Staunen.

Namhafter Höhepunkt: Das Trio  Mare Nostrum  bestehend aus Jan Lundgren am Flügel, Richard Galliano am Akkordeon und Paolo Fresu an der Trompete feiert beherzt die Lebenslust.
Namhafter Höhepunkt: Das Trio Mare Nostrum bestehend aus Jan Lundgren am Flügel, Richard Galliano am Akkordeon und Paolo Fresu an der Trompete feiert beherzt die Lebenslust. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Durchhalte-Duell zwischen Trompeter (langer Atem) und Pianist (treffender Schlussakkord) brandet eine von zahlreichen Wellen der Heiterkeit auf. Etwas verblüffend vielleicht für jene, die noch wenig Erfahrung mit Jazz haben, ein vertrautes und erfüllendes Gefühl für alle anderen. Denn sie bekommen in solchen Momenten die Haltung bestätigt, der das Genre Jazz seine Grundlage verdankt: Die Kunst der Improvisation beruht auf Geist, nicht auf Gags, und sie lebt vom Zuhören und sich Einlassen auf die Ideen der Mitspieler.

Am Nachmittag im Studio an der Rampe, beim Trio Mach, erreichte diese Kunst ihre Extremform, von Kontrabassist Reinhart Hammerschmidt auf den ebenso koketten wie überzeugenden Satz verdichtet: „Wir üben nicht, wir spielen nur.“ Was für die einzelnen Nummern dieses Konzerts gelten mag, sicher aber nicht für die vielen Jahre, in denen die Musiker mit ihren Instrumenten eins geworden sind. Derart eins, dass sie erkannt haben, wie sich der Griff des Streicherbogens als Schlagzeug einsetzen lässt, oder welcher DIN-Norm die Abflussrohre entsprechen müssen, die als An- und Einbau ein Baritonsaxofon in neue Klangwelten vordringen lassen.

Das Trio Mach erstaunt im Studio an der Rampe mit allerlei klanglichen Experimenten. Markus Heinze zum Beispiel verlängert sein Saxofon mit Abflussrohren.
Das Trio Mach erstaunt im Studio an der Rampe mit allerlei klanglichen Experimenten. Markus Heinze zum Beispiel verlängert sein Saxofon mit Abflussrohren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Begegnung mit neuen Instrumenten ist ebenfalls eine Nebenwirkung des Jazz-Fiebers, für das es keine Gegenmedizin braucht. Im Gegenteil: Es wirkt unmittelbar und belebend, wenn Markus Heinze – der mit dem Umbau-Sax und offenbar tief verwurzeltem Humortalent – eine „Venova“ aus der Tasche zieht, ein rares Bläseruntensil mit sopranösem Sound und futuristischer Gestalt. Zwei, drei Nummern später legt er dann eine kuchenformgroße Handtrommel auf den Auslass seines Saxofons, wo sie schnarrende Geräusche von sich gibt, die eine irrwitzig übers Trommelfell hüpfende Gummispinne ins Groteske verschärft.

Galliano liefert im anderen Konzert ein feines Gegenstück: Er greift zur Accordina, einer Mischung aus Melodica, Mundharmonika und Akkordeonklang, und lässt mit deren ungewohnter Stimme die Klangwolke durchfluten. In solchen Momenten bewegen sich Licht und Farben durch das Kaleidoskop der musikalischen Fantasie, dass es eine wahre Freude ist. So erweist sich das Festival mit seinem leidenschaftlichen Publikum als Spielfeld für die Begegnung mit einer Kunstform, bei der sich das wahre Können dort zeigt, wo nicht Noten den Weg weisen, sondern das Gespür für Vergnügen, Überraschung und die Metamorphose von Tönen in Jazz.

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