Kirchenasyl:Drei Monate lang in der Kirche versteckt

Lange Nacht in der renovierten Ludwigskirche in München, 2010

Auch wenn sie zunächst in Sicherheit sind, empfinden viele Flüchtlinge im Kirchenasyl die Isolation als sehr belastend.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dem Flüchtling Christian Adila drohte die Abschiebung. Um bleiben zu können, hat er im Landkreis Kirchenasyl bekommen. Inzwischen wird ein zweiter Antrag von den Behörden bearbeitet - und doch kann es sein, dass die Zeit im Gemeindehaus umsonst war.

Von Sara Kreuter, Ebersberg

Verzweiflung, damit kennt er sich aus. Mit sinnlosen Kämpfen, mit Rückschlägen und immerwährender Hoffnungslosigkeit. Christian Adila ist ein Flüchtling aus Westafrika. Auf der Suche nach Perspektive ist er nach Deutschland gekommen, zweimal sollte er bereits abgeschoben werden. Adila heißt eigentlich anders, er ist einer der wenigen, die im Landkreis Ebersberg das umstrittene Kirchenasyl beansprucht haben. Mittlerweile hat er erreicht, dass sein offizieller Asylantrag in Deutschland geprüft wird, ein kleiner Erfolg aber längst nicht das Ende. Seine Geschichte ist die Reise eines Mannes, der unterwegs sein Vertrauen in die Behörden, die Anwälte und das Leben verloren hat.

Adila ist Anfang 30, ein politischer Flüchtling, wie er sagt. In seinem Heimatland sei er gefoltert worden, auch deshalb habe er seine Heimat verlassen. Nun sitzt er in dem Gemeinderaum, der für so viele Wochen sein Zuhause war, und sein Gefängnis. Adila, Strickjacke und Jeans, hat die Schultern eingezogen, er erzählt stockend, umklammert dabei seine Mütze. "Warum ist das Leben so schlecht?", fragt er und blickt auf. Gedanken wie diese kommen ihm in seinen dunklen Stunden, in den vergangenen Jahren, sagt er, da hatte er viele solcher Momente.

Nicht nur Adila, auch die Kirchengemeinde, deren Gottesdienste er bereits kurz nach seinem Umzug in den Landkreis besuchte - ohne zu ahnen, welch bedeutende Rolle diese Gemeinde in seinem Leben einmal spielen würde - will anonym bleiben. Zu brisant sei das Thema Kirchenasyl, zu viel stehe für sie und den Flüchtling auf dem Spiel, sagt die Leiterin der Kirchengemeinde.

Die Gemeindeleiterin hat Adila kennengelernt, und auch seine Probleme. Er habe psychische Probleme, leide an Depressionen, sei suizidgefährdet, erklärt sie. Seit nunmehr anderthalb Jahren wohnt er in Deutschland. "Nein, zurückgehen nach Afrika, das geht nicht", sagt Adila, "not possible." Nach seiner Flucht aus Afrika versuchte er in Italien zu überleben, übernachtete an Tankstellen, bettelte auf den Straßen - medizinische Hilfe bekam er keine, nach einem Jahr wurde sein Asylantrag dort abgelehnt. Wie so viele entschied er sich schließlich, nach Deutschland zu kommen und dort auf Asyl zu hoffen. So kam Christian Adila nach Ebersberg.

Dort war vieles anders und neu, nur das Kernproblem, das änderte sich nicht. Nach der Dublin-III-Verordnung ist das Erstaufnahmeland für den Antrag und die Deportation eines Asylbewerbers zuständig - also musste Adila zurück nach Italien. Und so wurde er an einem Donnerstag im vergangenen Sommer, früh morgens von Polizisten aus dem Bett seiner Flüchtlingsunterkunft geholt - eine bayernweit gängige Praxis der Bundesbeamten, wenn es so weit ist. Dies sei der Tag seiner Abschiebung, wurde ihm gesagt. Adila versuchte, seine problematische psychische Situation zu erklären, aber das gilt nicht als Argument, um bleiben zu dürfen. Ein Polizeiauto brachte Adila zum Flughafen.

Mitten auf der Autobahn sprang er aus dem Auto

Adila macht eine Pause, blickt auf seine Hände. Er erinnert sich nur noch daran, dass er Tage später im Krankenhaus aufwachte. Die Polizei habe ihm erzählt, was passiert ist. Mitten auf der Autobahn sei er aus dem Auto gesprungen, ein Selbstmordversuch? Ein Blackout? Ein Akt blanker Angst? Adila lag drei Tage im Koma, verbrachte insgesamt sechs Wochen im Krankenhaus. Seine Abschiebung nach Italien verzögerte sich, stand jedoch weiterhin wie eine Drohung bevor. "Jederzeit" würde ein zweiter Abschiebungsversuch gestartet, so stand es in einem zweiten Bescheid.

Sein Anwalt nannte ihm schließlich einen möglichen Ausweg: Kirchenasyl - und Adila rief bei "seiner" Ebersberger Gemeinde an. Unter enormem Zeitdruck erfragte die Leiterin die Zustimmung der Gemeindemitglieder - kurz darauf kam die Zusage. Insgesamt knapp drei Monate hat Adila in dem 20-Quadratmeter-Zimmer der Gemeinde verbracht, er durfte das Gelände nicht verlassen, musste zum Luft schnappen die Haustüre aufmachen. Nicht einmal zum Arzt traute er sich, sagt er, zu groß sei das Risiko gewesen, entdeckt zu werden. Die Gemeindeleiterin kam jeden Tag vorbei, um nach ihm zu sehen, auch andere Kirchenmitglieder und Freunde, manchmal bis spät in die Nacht. "Wir wussten nicht, ob er das psychisch durchsteht", sagt die Gemeindeleiterin. "Auch wir sind ein hohes Risiko eingegangen."

Es waren harte Wochen, doch für Adila war es auch ein wichtiger Schritt. Seit Mitte Januar ist sein Kirchenasyl erfolgreich abgeschlossen. Durch die Zeit in den Räumen der Kirche sind die erforderlichen sechs Monate verstrichen, die ihm eine Prüfung seines Asylantrags in Deutschland garantieren. Es ist ein kleiner Sieg für ihn, aber echtes Hochgefühl will sich nicht einstellen - so viele Behördengänge, Anträge und Entscheidungen stehen noch aus, noch immer droht die Ablehnung des Asylantrags. Dann wäre alles wieder hinfällig.

Seit Ende des Kirchenasyls lebt Adila in einer Erstaufnahme-Einrichtung in München. Eigentlich möchte er in den Landkreis Ebersberg zurück, zu seinen Freunden und seiner Kirche. Aber die Beziehungen zum Landratsamt sind wegen des Kirchenasyls angespannt. "Das wird ihm dort negativ ausgelegt", berichtet die Gemeindeleiterin. "Unser Rechtsstaat garantiert eine mehrmalige Überprüfung jedes Antrages", betont Martin Thurnhuber vom Ausländerwesen im Landratsamt. Deshalb brauche es das Kirchenasyl in seinen Augen nicht.

Die politische Debatte hinter seinem Kirchenasyl interessiert Adila weniger. "Ich würde mich gerne einfach wie ein normaler Mensch fühlen", sagt er. "Ich will nicht mehr heimatlos sein", sagt er. Große Pläne habe er keine, wie auch. "Wie soll man Träume haben, wenn man keine Hoffnung hat?", sagt er. Ein Ziel aber hat er nicht aus den Augen verloren, die Genehmigung seines Asylantrags in Deutschland. Dann könnte er vielleicht arbeiten, als Elektriker. "Dann kann mein Leben endlich weitergehen." Wenn das nicht klappt? Christian zuckt mit den Schultern. Darüber nachzudenken könne er sich nicht erlauben, wenn er den nächsten Tag überstehen will.

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