Ebersberg:Drahtseilakt zwischen den Stilen

Beim ersten Abend mit internationalem Jazz im Alten Speicher erweisen sich die Mitglieder des Trios "Tango Transit" als Meisterartisten und definieren ein besonderes Lebensgefühl neu

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Glieder und Gelenke von Akrobaten müssen aus Gummi sein. Anders sind deren Handstand-Überschläge, Drahtseilakte und Saltos nicht zu erklären. So gesehen ist der Titel "Akrobat", den die Formation Tango Transit ihrer aktuellen CD gegeben hat, eine treffende Beschreibung der instrumentalen Künste, die das Trio zu bieten hat.

"Eine ziemliche Schuhgröße" hat Moderatorin Nina Plotzki zuvor dem Publikum im Alten Speicher angekündigt und damit zwar vor allem den Saxofon-Artisten Chris Potter mit Bassist Larry Grenadier und - eine Besetzungsänderung - Drummer Jonathan Blake gemeint. Doch auch die Drei von Tango Transit, Martin Wagner am Akkordeon, Hanns Höhn am Kontrabass und Andreas Neubauer am Schlagzeug, erweisen sich als überaus biegsame, bewegungsfreudige Solisten, die eine eigene betörende Klangsprache entwickelt haben und den Tango wie auf einem fliegendem Teppich in andere musikalische Welten transformieren, ohne bei dem Trip das Original zu zerstören.

Nichts geht bei diesem magischen und einfühlsamen Transit verloren von der Faszination und emotionalen Kraft des Tango. Er bleibt erhalten wie eine Gesteinsschicht in der Evolution der Musik, auf die man immer wieder stößt. Vor allem Martin Wagner, der mit seinem Akkordeon das Melodieinstrument spielt und sich innerhalb des Jazz ein wenig als Außenseiter empfindet, hält die Verbindung zum Ursprung. Der Tango klinge bei seinen Stücken immer an, sagt Wagner, das sei beim Akkordeon unvermeidlich. Traditionspflege betreibe die Band aber dennoch nicht. Schon deswegen nicht, weil er nun mal Akkordeon spiele und nicht Bandoneon, das klassische Tango-Instrument.

Von drei Ausnahmen abgesehen, sind die Stücke auf der CD Eigenkompositionen. Die erste dieser Ausnahmen ist Astor Piazollas "Libertango". Dabei schließt Wagner sein Instrument an ein "Wah-Wah"-Pedal, ein Gerät für elektronische Effekte an, das den Klang zu einem Quaken verzerrt. Man kennt den Effekt von Blasinstrumenten, bei denen über die Schallöffnung ein Dämpfer gelegt wird. Da klingt das "Wah-Wah" verrucht, romantisch. Hier wirkt der Klang eher wie ein spöttischer Kommentar zur Schwermut des Tango.

Bei jedem Stück demonstrieren die drei Musiker ihren Ideenreichtum und ihre solistischen Qualitäten als Jazzmusiker, sei es bei Schlagzeug-Gewittern, bei einem Veitstanz mit Kontrabass oder einem Parforceritt auf dem Akkordeon. Filigrane Improvisationen, Elemente aus der Cajun-Musik Louisianas mischen sich mit orientalischem Tanz. Auch das von "Professor Longhair" aus New Orleans - eigentlich hieß er Henry Roeland Byrd und starb 1980 - inspirierte "Fat Cat" und ein "depressiver Walzer" (Wagner), Paradestück fürs Akkordeon, gehören zu den Bravourstücken der CD. Sogar Mendelssohn-Bartholdys "Elfentanz" in der Musik zum Sommernachtstraum hat das Trio mit tangotypischen Takten verschmolzen. In Ebersberg haben sie den leider nicht gespielt. Die Zugabe, ein von einer Winterreise durch Rumänien mitgebrachter "Transsylvanien Tango" mit ekstatischem Rhythmus elektrisiert das Publikum im fast voll besetzten Saal einmal mehr.

Noch aber ist dieser Abend mit musikalischen Kunststücken am laufenden Band nicht vorbei, denn nach der Pause kommt Chris Potter mit zwei besonderen Sidemen und spielt das Publikum schwindlig.

Das Festival geht an diesem Samstag weiter mit "Jazzstories live" der Musikschule um 14, 15.30 und 16 Uhr im Café Zimtblüte, wegen des geringen Platzangebots muss man reservieren, Telefon (08082) 85 77 90; mit einem Doppelkonzert um 19 Uhr ("The 30-Years-After-Big-Band") und 20.30 Uhr ("Karl Ratzer International Septet") im Alten Kino, sowie "The Katet" im Alten Speicher um 22 Uhr. Gejammt wird um 22 Uhr im Café Zimtblüte.

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