Ebersberg:Die Kraft eines Herzens

Der Ehemann ein Mörder, die Tochter psychisch krank und sie selbst leidet an Leukämie: Susanne M. meistert jeden Schicksalsschlag.

Martin Mühlfenzl

Ebersberg - Sie wachte bereits mit einem unguten Gefühl auf und verließ das Bett mit einer Ahnung, die sie selbst heute kaum beschreiben kann. "Ich wusste, dass etwas nicht stimmt", dachte Susanne M. (alle Namen geändert) an jenem schicksalhaften Morgen vor fünf Jahren. "Aber ich konnte auch damals nicht sagen, was mich so sehr beschäftigt hat." Heute freilich ist die Gewissheit, einem großen Unglück gegenüber treten zu müssen, immer noch präsent: "Dieser Tag und alles was danach passiert ist, gehört zu meinem Leben."

Im Jahr 2006 verliert Susanne M. ihren Mann - und mit ihm kurzzeitig die Kontrolle über ihr Leben. Bernd M. verunglückt nicht, scheidet nicht aus dem Leben. Er taucht einfach nicht mehr auf. Kurz darauf erhält Susanne M. Antworten auf die drängendsten Fragen und Kenntnis über ein Geheimnis, das ihr Ehemann ihr nie offenbart hat. Bernd M. hat einen Menschen getötet. Lange bevor er seine spätere Frau kennen lernt - als junger Erwachsener. Doch erst über 25 Jahre nach der grauenvollen Tat wird er durch einen DNA-Test überführt und sitzt an jenem Morgen, als Susanne M. alleine aufstehen muss, bereits in Untersuchungshaft. "Natürlich ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Obwohl ich erst nicht verstehen wollte, was gerade passiert", sagt Susanne M. Sie habe nie geahnt, dass ihr Ehemann zu so einer Tat fähig sei: "Und ich verurteile sie zutiefst. Ich werde oft gefragt, ob ich ihm verziehen habe: Aber ich weiß es nicht."

Möglicherweise findet Susanne M. keine Zeit, um sich mit dem Verbrechen ihres Mannes, von dem sie inzwischen längst geschieden ist, auseinander zu setzen. Die heute 49-Jährige ist Mutter von vier minderjährigen Kindern und muss sich nach dem Schicksalsschlag umso mehr dem Nachwuchs widmen - und der eigenen Gesundheit. "Ich habe mich in dieser Zeit immer schlapp gefühlt, war müde, abgekämpft", erinnert sich Susanne M. Kurz vor Weihnachten 2006 erleidet sie einen Zusammenbruch. Sie kann sich kaum auf den Beinen zu halten und wird mit der Hilfe einer Nachbarin in eine Münchner Klinik eingeliefert. Bis die Ärzte herausfinden, was ihr fehlt, vergehen drei Monate.

Die Diagnose ist niederschmetternd: Susanne M. leidet an Adulter T-Zell-Leukämie, einem besonders bösartigem Blutkrebs, dessen Prognose ungünstig und eine Heilung in den allermeisten Fällen nicht möglich ist. "Das war der zweite Schlag", sagt Susanne M. "Ich habe mich immer gefragt: Wie reagierst du, wenn es wirklich Leukämie ist? Breche ich zusammen, tue ich mir etwas an?" Doch sie entscheidet sich für keine der beiden Möglichkeiten, sondern nimmt den Kampf an. Chemotherapie, Immuntherapie, eine doppelseitige Lungenentzündung - die Behandlungen und ihre Begleiterscheinungen zehren an den Kräften der Patientin und bringen sie an den Rande des Todes. "Es war so weit, dass sich meine Kinder auf der Intensivstation schon von mir verabschiedet haben", sagt Susanne M. mit Tränen in den Augen. "Aber ich habe ihnen in die Augen gesehen und gewusst: Du darfst nicht gehen. Du musst für die Kinder bleiben."

Sie steht die Therapien durch - bis heute. Immer in dem Wissen, nie mehr gesund werden zu können. "Ich weiß, dass es schnell vorbei sein kann. Das ist bei dieser Krankheit so", sagt Susanne M. "Deshalb nehme ich jeden Tag, jeden Monat und jedes Jahr als Geschenk." Ihr Blick ist in diesem Moment fest und das dreimalige Klopfen auf die Tischplatte ein klares Signal: Noch ist es nicht vorbei. "Ich habe vor der Festnahme meines Mannes und meiner eigenen Krankheit ein ganz normales Leben geführt. Mit ganz normalen Sorgen", sagt Susanne M. "Das alles habe ich nicht mehr. Und trotzdem geht es mir einigermaßen gut. Und ich bin stolz auf das, was ich gemeinsam mit meinen Kindern erreicht habe."

Der Weg freilich war beschwerlich. Beim ersten Besuch auf dem Sozialamt empfindet Susanne M. große Scham, will das Ebersberger Landratsamt am liebsten im Eilschritt wieder verlassen. "Aber meine Mutter hat gesagt, dass das jetzt mein Weg ist. Ich muss ihn gehen." Ein verständnisvoller Sachbearbeiter hilft ihr, die Angst vor staatlicher Hilfe abzulegen. "Es war klar: Ich kann nicht mehr arbeiten. Ich schaffe es nicht alleine", betont die gelernte Friseurin. "Obwohl ich gerne wieder in den Beruf zurückgekehrt wäre." Doch bereits die Hausarbeit bereitet ihr Probleme; die körperlichen Anstrengungen machen sich Tag für Tag bemerkbar. Die Kinder aber geben Kraft. Eine Mutter, sagt Susanne M., lässt ihre Kinder nicht im Stich. Auch und gerade die Tochter nicht, die den Verlust des Vaters nicht verkraftet hat und psychisch erkrankt ist. "Das war der dritte Schlag: die Psychose. Sie musste im Haarer Krankenhaus behandelt werden", sagt Susanne M. "Heute ist sie wieder bei mir, und es geht langsam aufwärts."

Ihre eigene Erkrankung hat die 49-Jährige akzeptiert; ebenso die damit verbundenen Behandlungen und Untersuchungen im Transplantationszentrum des Klinikums Großhadern. Furcht empfindet sie nur vor einem Schritt, der das Fortschreiten der Leukämie deutlich offenbaren würde: Eine Stammzelltransplantation. Ihre Schwester käme als Spenderin in Frage. "Aber ich hoffe, dass ich das noch hinauszögern kann", sagt sie. Vielleicht bis die jüngsten der Kinder erwachsen sind; auf eigenen Beinen stehen können. Bis dahin kümmert sich die Mutter allein. Um sich selbst, die Kinder, den Haushalt, die finanzielle Ausstattung: "Wir kommen über die Runden. Und meine Kinder haben längst akzeptiert, dass wir keine großen Sprünge mehr machen können."

Selbst die Kraft, mit ihrem ehemaligen Mann Kontakt zu halten, hat Susanne M. gefunden - und verbietet auch ihren Kindern nicht, dem Vater zu schreiben oder ihn gar zu treffen. "Diese Freiheit werde ich meinen Kindern nicht nehmen. Niemand kann sie ihnen nehmen."

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