Ebersberg:Deutschland, das Paradies?

Ebersberg: Im Wechsel tragen Theaterregisseurin Karen Breece und Schauspieler und Sprecher Sebastian Mirow die gesammelten Protokolle vor.

Im Wechsel tragen Theaterregisseurin Karen Breece und Schauspieler und Sprecher Sebastian Mirow die gesammelten Protokolle vor.

(Foto: Christian Endt)

Die Theaterregisseurin Karen Breece inszeniert Protokolle von Geflohenen, Helfern und Asylbeamten

Von Jan Schwenkenbecher, Ebersberg

Ist Deutschland für Geflohene das Paradies? Oder denken wir nur, dass es das sei? Um sich dieser Frage zu nähern, inszenierte die deutsch-amerikanische Theaterregisseurin Karen Breece im Sommer 2015 eine szenische Lesung, in der sie zuvor gesammelte Protokolle von Geflüchteten, Asylbeamten, Helfern und Bürgern von Schauspielern vortragen ließ. Auf Einladung des Ebersberger Lions-Clubs zeigte sie am Freitagabend im Alten Kino das immer noch hochaktuelle Stück "Welcome to Paradise". Auf der Bühne wurde Breece von Sebastian Mirow unterstützt, Schauspieler und Sprecher für den SWR und Arte, im Wechsel gaben Mirow und Breece die Protokolle wieder.

"Wenn Sie als Zuschauer das sehen", so trägt Breece die Zitate einer Geflohenen vor, deren Tochter aus einem Boot gefallen, aber noch gerettet worden sei, "dann denken Sie, Sie sehen einen Film. Aber das ist kein Film. Das ist echt." In Deutschland, so liest Breece weiter vor, seien Geflohene wie Kinder. Wenn ein Kind etwas wolle, weine es. Dann komme die Mutter und helfe. "Wir sind auch Kinder, wir weinen auch. Aber wir haben keine Mutter."

Später liest Breece mehrere Protokolle von Mahmoud vor, der über die Türkei nach Griechenland, dann nach Italien, dann in die Münchner Bayernkaserne, dann in eine Fünfer-WG und schließlich in eine eigene Wohnung kam. Von Mahmoud gibt es mehrere Protokolle, Breece hat ihn einige Male getroffen. Die ersten Texte sind noch in Englisch verfasst, die folgenden in schlechtem Deutsch. Die letzten Protokolle, die Breece aufzeichnete, nachdem Mahmoud einen sechsmonatigen Deutschkurs besucht hatte, sind flüssig. Nach der Aufführung sagte Breece: "Es ist schwierig, weil man die Menschen zuerst nur als Masse kennenlernt. Dann zoomt man da rein und lernt die Biografien kennen."

Doch nicht nur die Geflohenen kamen zu Wort, unmittelbar wurden ihre Geschichten denjenigen anderer Beteiligter gegenübergestellt. Besonders stark wirkte das, da die einzelnen Geschichten von Geflohenen, Helfern oder Beamten zwar bekannt sind, in Breece' Stück aber nicht die Geschichten nebeneinander stehen, sondern die Reflexionen der Beteiligten über diese Geschichten. Der Geflohene erzählt, wie er einen auf Deutsch verfassten Brief bekam, in dem stand, er bräuchte einen Dolmetscher. Der ehrenamtliche Helfer regt sich über die Bürokratie auf. Dann erzählt der Mann vom Amt, dass die Briefe juristisch eben auf Deutsch sein müssten, da sie sonst schlicht nicht gültig wären.

Gerade die negativen Aspekte kommen nicht zu kurz, die Protokolle sind ehrlich, unverfälscht. "Wir haben Araber, die sagen, wenn ein Schwarzer zu uns kommt, dann machen wir den fertig", sagt ein Asylbeamter. "Ich mache das erst eineinhalb Jahre. Also gar nicht so lange. Aber ich kann schon nicht mehr. Weil der Respekt fehlt", sagt eine weitere Asylbeamtin.

Am Ende des Stücks gab es eine kurze Podiumsdiskussion, bei der unter anderem auch zwei Geflohene aus Eritrea, die nun im Landkreis leben, zu Wort kamen. Sind sie nun im Paradies angekommen? Der eine, der zunächst vier Jahre lang im Sudan verbrachte, verhaftet wurde, sich schließlich nach Deutschland durchschlug, weil er in einer Demokratie leben wollte, sagte: "Als ich ankam, war ich sehr glücklich. Auch die Polizisten waren sehr nett und haben mich nicht zurückgeschickt." Der andere, der zunächst in der Bayernkaserne landete, bevor er letztlich ebenfalls nach Ebersberg kam, sagte: "Das war schrecklich. In Eritrea hatte ich eine gute Stelle, ich hatte anderes von Deutschland erwartet." Heute studiert er Biostatistik.

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