Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:"Der Forst wird regelmäßig brennen"

Naturgefahr-Experte Björn Walz warnt vor den Folgen des Klimawandels im Landkreis

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Der Junge geht in die Grundschule, als er das erste Mal ein Minimum-Maximum-Thermometer in der Hand hält. Zahlen kann er schon schreiben. Also fängt Björn Walz an, die Grafinger Höchst- und Tiefsttemperaturen aufzuzeichnen. Wenn er im Schullandheim oder später im Urlaub ist, liest Vater Volker die Werte ab und überträgt sie in die Tabelle. 35 Jahre später liegt eine lückenlose Grafinger Wetterstatistik vor, Björn Walz arbeitet bei einer Münchner Rückversicherung als Experte für Naturgefahren und Klimaentwicklung - und in die "Ebersberger Alm" ist er am Donnerstagabend gekommen, um klimapolitisches Tacheles zu reden.

Der Grafinger beginnt damit, dass er eine Landkarte von Südbayern aus der Eiszeit auf die Leinwand wirft. Bis hinauf nach Ebersberg reichen die Gletscher auf dem Bild. "Damals war es im Vergleich zu heute vier Grad Celsius kühler", sagt Walz, den grauen Kapuzenpulli ein lockeres Viertel offen. "In 100 Jahren ist es womöglich vier Grad wärmer - nur mal so zur Einordnung."

Für eben diese legt er noch den Graphen des CO₂-Anstiegs über jenen der globalen Erwärmung. Er setzt den wachsenden CO₂-Ausstoß des Verkehrssektors in Zusammenhang mit den steigenden Pferdestärken deutscher Pkw-Neuzulassungen. Dazu eine Tabelle, wonach die Strahlungsintensität der Sonne in den vergangenen Jahrzehnten eher gesunken, denn gestiegen ist. Walz sieht sich als Wissenschaftler durch und durch.

"Was hier so abstrakt aussieht, manifestiert sich in Extremwetterereignissen also in Hitzewellen, in Niederschlagsrekorden", erklärt der 45-Jährige vor den gut und gerne 70 Besuchern, die auf Einladung des CSU-Arbeitskreises Umweltsicherung und Landesentwicklung (AKU) nach Ebersberg gekommen sind.

Dann schlägt er den Bogen in seine Heimatstadt. Im Juli habe er in Grafing binnen 24 Stunden mehr als 120 Liter Niederschlag pro Quadratmeter festgestellt. "Das war die größte Niederschlagsmenge, die ich jemals gemessen habe. Das ist normalerweise ein kompletter Monatsniederschlag." Wenige Tage zuvor habe Grafing einen Längenhitzerekord aufgestellt - fast neun Stunden am Stück über 30 Grad Celsius. "Es ist wirklich dramatisch, was auch bei uns hier vor sich geht."

Sein Finale kommt wie ein Horrorszenario daher: Überschwemmungen wie 2003 werde es künftig auch im Landkreis häufiger geben. "Bald wird auch der Ebersberger Forst regelmäßig brennen", stellt Walz klar. Was die Welt brauche, sei eine CO₂-Vollbremsung. Man könne Greta Thunberg mögen oder nicht. "Aber wenn sie sagt, dass wir noch zehn oder 20 Jahre Zeit haben, um den Planeten zu retten, dann hat sie nun einmal recht!"

Von wegen, Deutschland sei ein kleines Land und könne nichts bewegen - die BRD sei der sechstgrößte CO₂-Emittent der Erde. Weniger fliegen, kleinere und leichtere Autos, weniger Fleischkonsum - das sei alles richtig, sagt Walz. Die größte Menge an CO₂ entstehe in Deutschland allerdings bei der Energieerzeugung: Etwa 312 Millionen Tonnen CO₂ - fast 40 Prozent des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes.

Wo, wenn nicht in diesem Sektor, lasse sich also anfangen, fragt er? Wie, wenn nicht mit Windrädern, Windrädern und nochmals Windrädern. "Und wer, wenn nicht wir hier in der Boomregion München, soll da vorangehen?" Die nicht minder wichtige Frage ist jedoch, inwieweit die Dramatik etwa eines brennenden Forsts bei den Entscheidungsträgern angekommen ist. Als eher unfreiwilliges Negativbeispiel fiel der Ebersberger CSU-Bürgermeisterkandidat Alexander Gressierer auf. Der hatte sich in seinem Grußwort zu dem Satz hinreißen lassen: "Klimapolitik muss auch immer Realpolitik sein."

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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