Historischen Alleen:Grüne Routen

Denkmäler müssen nicht immer Gebäude sein, auch viele alte Alleen sind als solche klassifiziert. Ebersberg hat gleich fünf von ihnen - die Jesuitengasse ist historisch die wohl interessanteste

Von Thorsten Rienth

Wenn am Sonntag der alljährliche "Tag des offenen Denkmals" steigt, wird die Aktion kaum wiederzuerkennen sein: Keine Museumsführung, keine Vorträge, keine gemeinsamen Besichtigungen. Wer trotzdem nicht von Denkmälern lassen kann, der findet in der Kreisstadt Alternativen zur Erkundung auf eigene Faust: fünf unter Baudenkmalschutz stehende historische Alleen. Nun ist klar: Deren Geschichte ist wohl eine etwas andere, als lange angekommen wurde. Für die Eigentümer entsteht aus der Klassifizierung außerdem eine besondere Herausforderung.

Ganze Städte pilgerten im Dreißigjährigen Krieg nach Ebersberg, die Wallfahrt dorthin war zeitweise bedeutender als jene nach Altötting oder Andechs. Ziel der Gläubigen war die Hirnschale des heiligen Sebastian. Der Mann galt als Nothelfer gegen die Pest und allerlei andere Seuchen. Und derer gab es im beginnenden 17. Jahrhundert wahrlich genügend. "Diese Wallfahrten sind außerdem im Zeichen der aufkommenden Gegenreform zu sehen", sagt Kreisheimatpfleger Thomas Warg. Wie so oft in der Geschichte verstärkten sich wohl auch in Ebersberg die Dinge gegenseitig.

Offenes Denkmal - Baumallee Pf.-Grabmeier-Allee

Die Pfarrer-Grabmeier-Allee am Volksfestplatz.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Jedenfalls führten die damaligen Klosterherren, die Jesuiten, den Pilgerweg von Osten her über Steinhörig, Oberndorf und Langwied in Richtung des Klostertors, nicht durch feuchte Senken, sondern über trockene, wegtaugliche Hügelketten. Um die frommen Pilger auch optisch auf den Bittgang einzustimmen, ließen sie auf dem letzten Stück ein einige hundert Metern lange Allee pflanzen. Doch vor dem damals noch baumfreien Rosskopf, das ist der Hügel neben der Jesuitengasse, hörte die Allee plötzlich auf: Nichts sollte den Blick auf die drei Kreuze als Kalvarienberg beeinträchtigen. Zumindest erzählte es die Geschichtsschreibung bislang so.

Heute ist die lokale Geschichtsforschung schlauer. "Wir kennen inzwischen Skizzen aus dem früheren 19. Jahrhundert - auf ihnen ist von einer Allee nichts zu sehen", erzählt Warg. Martin Otter, Sprecher der Familien Otter und Wamsler, in deren Eigentum sich Teile des früheren Ebersberger Klosterguts befinden, berichtet: "Die älteren Bäume sind 120 bis 150 Jahre alt." Das bedeutet, schlussfolgert Warg, dass die ältesten heute noch stehenden Bäume wohl um das Jahr 1870 gepflanzt worden sein müssen. Das sei just jene Zeit gewesen, als die wiederum 80 Jahre zuvor entworfenen Parkanlagen wie der Englische Garten in München mit ihren bis dahin hochgewachsenen Alleen eine neue landschaftsplanerische Ästhetik prägten. "Gut möglich also, dass wohlhabende Ebersberger Grundstücksbesitzer eine ähnliche Optik schaffen wollten", sagt Warg. "Einfach, weil es gerade en vogue war." Dies könnte dem Historiker zufolge überdies plausibel erklären, warum die Ebersberger Alleen übers gesamte Stadtgebiet verteilt sind. "Im gleichen Zeitraum sind auch die Heldenallee Richtung Aussichtsturm gepflanzt worden, die Eichenallee am Egglburger See, die Pfarrer-Grabmeier-Allee an der Westseite des Volksfestplatzes und die Allee zum Gut Kaps", zählt der Kreisheimatpfleger auf. Kaum denkbar, dass hier kein Zusammenhang bestehe.

Als im Oktober 1973 das Bayerische Denkmalschutzgesetz (BayDSchG) in Kraft trat und Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege die Kreisstadt sichteten, spannten sie einen Schutzschirm über den fünf Ebersberger Alleen auf: Sie klassifizierten sie als Baudenkmäler. Die längste von ihnen ist die Jesuitenallee, sie zählt 124 Bäume, 62 auf jeder Seite.

Für die heutigen Eigentümer geht damit einiges an Aufwand einher. Der hängt mit der Verkehrssicherungspflicht der meist öffentlich gewidmeten Alleen zusammen - und damit, dass Baudenkmäler eben nicht so einfach verändert werden dürfen. Zweimal im Jahr, einmal in belaubtem, das andere Mal in kahlem Zustand, geht jemand aus der Erbengemeinschaft mit dem zuständigen Stadtgärtner Klaus Littmann die Jesuitenallee ab. Jeder Baum, ja manchmal sogar jeder große Ast, wird dabei einzeln begutachtet. Kommt ein Baum weg, müssen die Eigentümer nachpflanzen. "Originalstandort. Historisch authentisches Pflanzenmaterial. Der Stammumfang mindestens 20 Zentimeter. Die alten Wurzelstöcke mit forstwirtschaftlichem Gerät einzeln herausgefräst. Der neue Baum mit Ballen eingepflanzt", skizziert Warg das denkmalschutzrechtliche Korsett. "Das ist schon eine ganz schöne Verpflichtung", sagt Otter. Aber eine, die seine Familie auch jenseits von Denkmalschutz und Verkehrssicherungspflicht gerne übernehme. Weil die Jesuitenallee eben die Ansicht Ebersbergs von Osten her präge. "Bereits in den 1970er Jahren hat unsere Oma erste Nachpflanzungen veranlasst, weitere haben unsere Eltern in den 1980er Jahren fortgeführt."

Wer zum Tag des Denkmals durch die Jesuitengasse spaziert, sieht, dass es mit dem Nachpflanzen von einzelnen Bäumen längst nicht mehr getan ist. Eine zusehends steigende Anzahl der Alleebäume erreicht ihr biologisches Alter. Auf absehbare Zeit muss die gesamte Allee neu bepflanzt werden. Mehr als 60 Winterlinden sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen. Die halbe Allee steht also schon nicht mehr im historische Bestand da. Und die andere Hälfte wird folgen, jedes Jahr ein bisschen mehr.

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