Ebersberg:"Demenz kennt keinen Lockdown"

Kur- und Heilbäder von Coronafolgen stark getroffen

Demenzkranken fehlen im Lockdown die speziellen Angebote, manchmal auch die Besuche der Angehörigen.

(Foto: dpa)

Eine Projektgruppe im Landkreis Ebersberg wirbt um mehr Unterstützung für Angehörige und Kranke.

Von Ina Berwanger, Ebersberg

"Demenz kennt keinen Lockdown." Das hat die Projektgruppe Demenz der Gesundheitsregion plus im Landkreis Ebersberg bei ihrem jüngsten Online-Treffen festgestellt. Die Teilnehmer der Gruppe kommen aus sozialen Verbänden, Seniorenorganisationen, aus Pflege, Medizin und Politik. Es sei bei dem Treffen deutlich geworden, dass die Pandemie und deren Begleitumstände "erhebliche Auswirkungen auf demenziell Erkrankte und deren Angehörige haben", sagte Projektgruppenleiterin Elfi Melbert. Daher liege es der Gruppe am Herzen, "auf die schwierige Situation für Erkrankte und Angehörige aufmerksam zu machen und Defizite anzusprechen."

"Um sich sicher und wohl zu fühlen, sind Menschen mit Demenz unter anderem auf Rituale und eine wohlwollende, sie akzeptierende Umwelt angewiesen", erklärte Cornelia Alheid, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Poliklinik für Palliativmedizin der LMU München. So sei aus Forschungen zur Demenz bekannt, dass eine Umwelt, die sich dem Demenzerkrankten anpasse, die Krankheit zwar nicht aufhalten, sehr wohl aber verlangsamen könne. Das Fehlen vertrauter Angebote wie zum Beispiel von Demenzkaffees, die Überforderung pflegender Angehöriger durch die aktuelle Mehrfachbelastung brächten das Risiko mit sich, dass sich Krankheitsverläufe schneller verschlechtern, so Alheid.

Der aktuelle Erfahrungsaustausch sei durch eine neue Studie "Pflegende Angehörige in der Covid-19-Krise - Ergebnisse einer bundesweiten Befragung" der gemeinnützigen Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege angeregt worden, erklärte Melbert. Und die Beteiligten fühlten sich in ihren Erfahrungen durch die Studie bestätigt. "Ich hatte neulich eine weinende 87-Jährige am Telefon, die erst nach sehr vielen Versuchen mit ihrem Anruf beim Impfzentrum durchgekommen ist und der dann gesagt wurde, sie solle in der nächsten Woche wieder anrufen", erzählte Melbert, die auch Leiterin der Betreuungsstelle im Landratsamt Ebersberg ist. "Menschen, die zu Hause leben und nicht zum Impfen kommen können, und dazu zählen insbesondere, aber eben nicht nur jene mit einer demenziellen Erkrankung, hat man ganz vergessen", sagte sie.

Doch das Virus zeitige noch andere unliebsame Folgen, so die Sozialpädagogin. Viele Angehörige besuchten aus Furcht, die alten Menschen anzustecken, diese nicht mehr daheim. Das Essen vor die Tür stellen und wieder gehen, könne gerade bei demenziell Erkrankten zu wenig sein. "Wer weiß dann, ob sie wirklich etwas gegessen haben?"

Insgesamt seien pflegende Angehörige schon vor Corona stark gefordert gewesen. In einer Pressemitteilung aus dem Dezember vergangenen Jahres stellt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft/Selbsthilfe Demenz fest, dass in Deutschland "heute etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen" leben. "Etwa zwei Drittel davon werden in der häuslichen Umgebung von Angehörigen betreut und gepflegt." Der Spagat zwischen Pflege, Beruf, Home-Office, Familie und vielleicht auch noch Homeschooling treibe manche Angehörige schier an den Rand ihrer Kräfte, so Melbert. Hinzu kämen womöglich auch noch finanzielle Sorgen.

Dass Angehörige wegen geschlossener Betreuungseinrichtungen wie etwa einer Tagespflege stark überfordert sein können, hört auch Dagmar Kiefert vom Zentrum für Ambulante Hospiz- und Palliativversorgung München Land, Stadtrand und Landkreis Ebersberg der Caritas-Dienste im Landkreis München (ZAHPV) immer wieder. Für die Menschen mit einer Demenz und für Ältere, oft Alleinstehende, führten Pandemie und Lockdown allzu oft in die Einsamkeit, so Kiefert. Sie hat - auch für die Zeit nach der Pandemie - kreative Lösungen parat: "Man könnte über andere Strukturen nachdenken, zum Beispiel Menschen ab einem bestimmten Alter als Mentoren für Betagte, ähnlich wie es sie ja schon für Jugendliche gibt, anfragen", sagt sie. Eine andere Möglichkeit könne die Unterstützung von Hausärzten durch angestellte Helfer sein, die beim Hausbesuch zum Blutdruckmessen oder Ähnlichem auch gleich sehen könnten, ob sie gut versorgt sind.

In eine ähnliche Richtung geht die Idee von Rolf Jorga: "Im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Daseinsfürsorge sollte jede Kommune eine zentrale Stelle haben oder einrichten, welche die notwendigen Daten ihrer Senioren pflegt und sie jederzeit verfügbar macht", sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende der Senioren-Union im CSU-Kreisverband Ebersberg. "Wie leben sie? Alleine, mit Familie, in Gemeinschaft, können sie sich selbst versorgen? Haben sie Angehörige? Leben sie in einem Pflegeheim? Werden sie von einem ambulanten Pflegedienst betreut?", z"so der 82-Jährige. Die Projektgruppe Demenz hoffe, dass die durch die Pandemie "deutlich gewordenen Defizite im Umgang mit der alternden Gesellschaft" zu vielen kleinen und großen Veränderungen im Sinne der Betagten mit und auch ohne Demenz führen, sagt Elfi Melbert abschließend.

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