Corona-Pandemie:"Die Nerven liegen oft blank"

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In Brandenburg haben in einem Modellprojekt Hausarztpraxen mit Corona-Impfungen begonnen. Auch im Landkreis Ebersberg ist die Bereitschaft der niedergelassen Ärztinnen und Ärzte groß, das Impfprogramm voranzutreiben. (Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Marc Block, Koordinator der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Landkreis Ebersberg, zieht nach einem Jahr Pandemie Bilanz: Über Frust, Hoffnung, große Anstrengungen - und viele engagierte Kollegen.

Interview von Barbara Mooser, Ebersberg

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde im Landkreis der erste Coronafall nachgewiesen, ein 52-jähriger Geschäftsmann aus dem südlichen Landkreis hatte sich mit dem Virus infiziert. Seitdem vergeht kein Tag, an dem sich die Ärztinnen und Ärzte im Landkreis nicht in irgendeiner Form mit dem Virus befassen müssen. Der Zornedinger Hausarzt Marc Block in besonderer Weise: Er ist ärztlicher Koordinator der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Landkreis und Mitglied im Krisenstab des Landkreises.

SZ: Im Krisenstab haben Sie neulich gesagt, dass die Menschen im Landkreis sich bewusst machen sollten, dass wir in Zeiten einer Pandemie leben und jeder, der für deren Bewältigung arbeitet, sein Bestes gibt - oft sieben Tage in der Woche. Kritik könne in manchen Punkten durchaus gerechtfertigt sein, betreffe aber immer wieder auch Probleme, für die es keine anderen oder besseren Lösungen gebe. Klingt da etwas Frust durch?

Marc Block: Die Auseinandersetzung mit den Folgen der Corona-Pandemie hat viele Menschen an den Rand der Verzweiflung gebracht. Oft sind es neben wirtschaftlichen auch Gründe, die durch Entbehrungen und Mehrbelastungen bedingt sind. Ich glaube, dass aber überall nach konstruktiven Lösungen für diese komplexen Probleme gesucht wird. Es gibt aber leider keine Patentlösung für alles. Fehleinschätzungen bei der Suche nach Lösungswegen passieren, und wir müssen natürlich bereit sein, Fehler einzugestehen, aus ihnen zu lernen und die besseren Schlüsse für das weitere Krisenmanagement zu ziehen. Frust entsteht dann, wenn diese Bemühungen verkannt, nicht erfüllbare Wünsche vehement geäußert oder unberechtigte, harsche Vorwürfe laut werden.

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Welche Kritik ist Ihrer Ansicht nach unberechtigt?

Mich bedrückt sehr, dass in den Pflegeheimen eine hohe Zahl an Opfern zu beklagen ist. Gerade hier wurde jedoch von Seiten der Verantwortlichen schon früh sehr viel unternommen, um diese hoch gefährdete Gruppe von Menschen verantwortungsvoll zu schützen. Bereits zu Anfang der Pandemie wurden umfassende Hygienekonzepte für die Heime ausgearbeitet, Umbauten vorgenommen und ein steter Dialog mit den Heimleitungen geführt. Trotzdem kam es zu vereinzelten, verheerenden Krankheitsausbrüchen mit vielen Todesfällen. Wie hätte man das besser verhindern können? Nun vorgelegte Forderungen nach noch intensiveren Testungen und Isolationsmaßnahmen gehen meines Erachtens teils an der Realität vorbei. Die derzeit verfügbaren Schnell-Tests bieten bei asymptomatischen Menschen keine ausreichende diagnostische Sicherheit, und auch eine vollständige Isolierung der Pflege- und Altenheimbewohner und der sie versorgenden Pflegekräfte ist meines Erachtens nicht umsetzbar. Schon jetzt müssen wir durch die notwendigen Hygiene-Maßnahmen häufig tragische Krankheitsverläufe bei den Bewohnerinnen und Bewohnern mit einer rasch zunehmenden Verschlechterung von geistiger und Körperlicher Gesundheit feststellen. Hier tötet das Coronavirus nicht nur durch die Infektion, sondern auch durch soziale Isolation und Entbehrung menschlicher Zuwendung.

Es wird jetzt über Lockerungen gesprochen, obwohl die Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt - was halten Sie davon?

Behutsame Lockerungen der Covid-bedingten Einschränkungen sind wichtig, um Wirtschaft, Kultur, Gastronomie und dem gesamten sozialen Leben nicht nur eine vage Perspektive zu verheißen, sondern es wieder mit Leben zu erfüllen und einen totalen Kollaps zu verhindern. Hierbei können wir auf umfassende Hygiene-Konzepte zurückgreifen, die nun durch weitere Testmöglichkeiten und einen täglich wachsenden Impfschutz der Bevölkerung verstärkt werden. Dennoch dürfen wir die potenziell tödliche Gefahr von Covid nicht unterschätzen. Trotz eigenverantwortlichem Verhalten werden wir noch länger mit so mancher Einschränkung unserer Bedürfnisse leben müssen.

26 Ärztinnen und Ärzte im Landkreis haben sich bereit erklärt, als Pilotpraxen beim Impfen mitzumachen - das ist ein recht hoher Anteil, oder?

Ja! Hier spiegelt sich das hohe Engagement der Arztpraxen wider, die sich trotz aller Widrigkeiten und des absehbar erheblichen Verwaltungsaufwandes auch hinsichtlich der Impfungen konstruktiv bei der Bewältigung der Pandemie mit einbringen möchten. Wegen logistischer Besonderheiten ist es sicherlich richtig gewesen, zunächst auf Impfzentren zu setzen. Aber es wird im Frühling bei dann hoffentlich ausreichenden Impfdosen notwendig sein, die Impfungen in die Regelversorgung zu überführen und durch Haus- und Fachärzte durchführen zu lassen. Nur so kann schnell ein umfassender Impfschutz in der Bevölkerung umgesetzt werden. Die Bundespolitik scheint das nun erkannt zu haben und ist entschlossen, im April diesen nächsten wichtigen Schritt umzusetzen.

Wie ist generell die Stimmung bei den niedergelassenen Ärzten nach einem Jahr Pandemie?

Ich bekomme aus den Arztpraxen die Rückmeldung, dass notwendige Organisationsstrukturen und Hygiene-Maßnahmen schnell und effektiv seit Beginn der Pandemie umgesetzt wurden und zum Normalbetrieb übergegangen werden konnte. Dennoch ist in den Haus- und Facharztpraxen nichts so, wie es vor der Pandemie war, und auch hier liegen die Nerven oft blank: Die meisten Praxen klagen über einen anhaltenden Rückgang der Patientenzahlen und der zu erbringenden Leistungen, da viele Patientinnen und Patienten notwendige Untersuchungen und Behandlungen aus Angst vor Infektionsrisiken in den Praxen vernachlässigen und dadurch eine Verschlechterung ihrer Gesundheit riskieren. Statt medizinischer Behandlungen und Vorsorgen verbringen medizinische Fachangestellte und Ärztinnen und Ärzte seit einem Jahr einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit der Bewältigung beinahe täglich wechselnder bürokratischer Vorgaben und drohen oft daran zu verzweifeln. Darüber hinaus empfinden wir Ärzte und Ärztinnen es als grotesk und kontraproduktiv, aus den Medien von kurzfristig geplanten Aktionen, wie zum Beispiel in Arztpraxen durchzuführenden Schnelltests, lesen zu müssen, ohne vorab über organisatorische Abläufe informiert oder gar in diese Überlegungen mit eingebunden worden zu sein. Die Folge einer solch hektischen, nicht konsequent durchdachten "Ankündigungspolitik" bringt allen Beteiligten mehr Verdruss als konstruktive Lösungen, die wir so dringend brauchen.

Wie läuft das Impfen beim medizinischen Personal? Sind schon viele Ihrer Kollegen versorgt?

Leider sind bei Weitem noch nicht alle niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen geimpft, und auch die überwiegende Mehrheit der Arzthelferinnen wartet noch ungeduldig auf einen Impftermin. Gerade sie haben aber oft einen sehr engen Kontakt zu den Patientinnen und Patienten und sind durch ihre Arbeit in den Infektionssprechstunden hoch gefährdet.

Gab es im vergangenen Jahr angesichts des erhöhten Risikos viele Infektionen unter Ärzten?

Im Landkreis waren tatsächlich einige Hausarzt- und Facharztpraxen durch Covid-Infektionen über Wochen lahmgelegt. Trotzdem konnte erfreulicherweise die ärztliche Versorgung durchgehend aufrechterhalten werden.

© SZ vom 05.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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