Familien im LandkreisVermittler auf schwierigem Terrain

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Immer wieder werden die Mitarbeiter von Kitas und Kindergärten mit Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung konfrontiert. Im Landkreis Ebersberg gibt es ein spezielles Angebot, das die Fachkräfte beim Umgang mit solchen Situationen unterstützt.
Immer wieder werden die Mitarbeiter von Kitas und Kindergärten mit Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung konfrontiert. Im Landkreis Ebersberg gibt es ein spezielles Angebot, das die Fachkräfte beim Umgang mit solchen Situationen unterstützt. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Kindeswohlgefährdung ist ein sehr ernster Vorwurf an die Eltern. Haben Erzieherinnen und Erzieher in Kitas und Kindergärten einen entsprechenden Verdacht, können sie deshalb eine Fachkraft der Caritas hinzuziehen. Im Landkreis Ebersberg soll dieses Beratungsnetz künftig ausgeweitet werden – auch, weil die Fallzahlen zunehmen.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Der Name entstammt dem Sozialgesetzbuch und klingt deshalb zugegebenermaßen etwas sperrig, ihre Aufgabe ist dafür umso wichtiger: „Insoweit erfahrene Fachkräfte (ISEF)“ dienen als Vermittler zwischen Erziehungseinrichtungen und Eltern, wenn der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung im Raum steht. Drei solcher Expertinnen sind für den Landkreis Ebersberg zuständig, angesiedelt sind sie am Caritaszentrum in Grafing. Insgesamt 126 Kinder- und Jugendeinrichtungen in der Region haben die Möglichkeit, sich an die ISEF zu wenden, um sich Beratung zu holen – und das Angebot wird rege genutzt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Fälle von Kindeswohlgefährdung im Landkreis in den vergangenen Monaten wieder zugenommen haben.

So verpönt Gewalt gegen Kinder und Jugendliche heutzutage ist, so sehr war sie früher Bestandteil der Erziehung, wie Caritas-Fachdienstleiterin Regina Brückner in der jüngsten Sitzung des Kreis-Jugendhilfeausschusses anschaulich verdeutlichte. Bevor sie mit ihrer Kollegin Ursula Schmitt das Konzept der Insofern erfahrenen Fachkräfte präsentierte, stellte sie zwei Fragen, mit deren Beantwortung das Gremium durchaus seine Schwierigkeiten hatte: Wann wurde die Prügelstrafe in der Schule abgeschafft und wann in der Erziehung? Im Jahr 1974 lautete die Antwort auf den ersten Teil – was einige der Kreisräte sichtlich überraschte. „Es gibt also Leute hier in der Runde, die das noch erlebt haben“, sagte Brückner. Nicht weniger erstaunlich war die Lösung des zweiten Teils der Frage, denn erst seit dem Jahr 2001 dürfen Eltern in der Erziehung ihrer Kinder keine Gewalt mehr anwenden.

Kindeswohlgefährdung
:Wenn die Eltern gewalttätig werden

Zuletzt waren die Fälle der Kindeswohlgefährdung im Landkreis Ebersberg zurückgegangen – wohl auch bedingt durch die Pandemie. Nun aber steigen die Zahlen wieder. Beim Jugendamt beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge.

Von Andreas Junkmann

Trotzdem werden Erziehungsberechtigte immer wieder handgreiflich – auch im Landkreis Ebersberg. Einer Statistik zufolge, die das Jugendamt kürzlich veröffentlicht hatte, nehmen die Zahlen nach einer kleinen Delle in den Jahren 2021 mit 100 und 2022 mit 80 Fällen wieder zu. 2023 mussten sich die Mitarbeiter der Behörde mit rund 110 Fällen von Kindeswohlgefährdung beschäftigen, im laufenden Jahr waren es bereits im ersten Quartal 20 Fälle. Nicht immer gehen damit äußerlich sichtbare Anzeichen einher, häufig ist es auch das Verhalten des Kindes, das auf eine Misshandlung durch die Eltern schließen lässt. Solche Wesensveränderungen werden am ehesten von den Personen erkannt, die neben den Erziehungsberechtigten am meisten Zeit mit den Kleinen verbringen: Mitarbeiter in den Kinder- und Jugendeinrichtungen. Für Unterstützung bei einem konkreten Verdacht können sie auf die Expertise der ISEF zurückgreifen.

Ursula Schmitt ist eine von drei Beraterinnen im Landkreis Ebersberg. „Wenn eine erhebliche Schädigung des Kindes in seiner weiteren Entwicklung vorauszusehen ist, wird die Insoweit erfahrene Fachkraft hinzugezogen“, erklärte sie in der Sitzung, in der sie ihre Arbeit vorstellte. Obwohl jede Kinder- und Jugendeinrichtung ihre eigenen Leitfäden für den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung habe, sei es für die dortigen Fachkräfte oft sehr belastend, die Eltern darauf anzusprechen – „vor allem, wenn es ein konfrontierendes Gespräch ist“, so Schmitt. Sie und ihre Kolleginnen können in solchen Fällen zu einer Versachlichung der angespannten Lage beitragen. „Die ISEF dient dazu, die Fachkräfte emotional zu entlasten“, erklärte Schmitt.

Beim Verdacht auf regelmäßige häusliche Gewalt ist schnelles Handeln gefragt

Am Anfang dieses Prozesses steht eine Abschätzung der Gefährdungshinweise, die aus den Kitas oder Kindergärten an die Caritas gemeldet wurden. „Es kann zum Beispiel sein, dass den Eltern die Hand ausgerutscht ist, weil sie überfordert sind“, so Ursula Schmitt. Dann gehe es darum, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Familie unterstützt werden kann. Falls ein Kind aber in akuter Gefahr sei, etwa bei regelmäßiger häuslicher Gewalt, müsse schnell reagiert und auch das Jugendamt hinzugezogen werden. Diesem obliegt letztlich auch die Entscheidung darüber, ob ein Kind womöglich sogar von seinen Eltern getrennt und in die Obhut einer Pflegefamilie gegeben werden muss. Auch im Austausch zwischen den Erzieherinnen und der Behörde können die ISEF vermittelnd unterstützen, wie Schmitt erklärte.

Für Grünen-Kreisrätin Ottilie Eberl wirkte dieser Prozess dennoch etwas träge. „Ich hoffe, dass die Reaktionen schnell sind, wenn ein Kind geschützt werden muss“, sagte sie. Das komme auf den jeweiligen Fall und die Gefährdungslage an, entgegnete Ursula Schmitt. Wenn akute Gefahr im Verzug sei, könne sich die Einrichtung natürlich auch direkt an das Jugendamt wenden. Meistens aber laufe die Kommunikation über die ISEF, weshalb das Beratungsnetz im Landkreis Ebersberg künftig auch noch weiter ausgebaut und mehr Einrichtungen als bisher umfassen soll. Vor allem Schulen und die dortigen Sozialarbeiter sollen stärker eingebunden werden.

Wie wichtig die Arbeit der Insoweit erfahreneren Fachkräfte ist, lässt sich an der Antwort auf die Frage von Bianka Poschenrieder (SPD) ablesen, die wissen wollte, in wie vielen Fällen der schwere Vorwurf der Kindeswohlgefährdung an die Eltern denn ungerechtfertigt sei. Zumindest von dem Zeitpunkt an, wenn die Caritas-Expertinnen eingebunden werden, liege eigentlich immer eine Gefährdung vor, sagte Ursula Schmitt. Dann gelte es, nach Mitteln und Wegen zu suchen, damit in den Familien wieder Ordnung einkehren kann, oder wie Schmitt sagte: „Es ist wichtig, dass die Eltern gestärkt werden, um die Problemlage zu beheben.“ Denn nur so können Kinder überall im Landkreis behütet aufwachsen.

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