Süddeutsche Zeitung

Wirtshäuser in Ebersberg:Sauschütt und St. Hubertus stehen vor dem Ausschankschluss

Der Ebersberger Forst verliert womöglich seine beiden größten Biergärten. Einer der beiden Wirte kündigt bereits seinen sicheren Abschied an.

Von Korbinian Eisenberger, Hohenlinden/Ebersberg

In einem Reiseprospekt würde das Bayernland wahrscheinlich so oder so ähnlich aussehen: voll besetzte Biertische unter majestätischen Bäumen, himmelblaue Sonnenschirme, das Biergartenpersonal trägt Tracht. An den Tischen gibt es an diesem Sonntag wie so oft Weißbier und Schweinsbraten; und auf dem Spielplatz toben Kinder zwischen einer Schaukel und einer Rutsche. Hätte man im Sinn, Bayern auf eine Postkarte zu malen, man würde wahrscheinlich genau diese Vorlage wählen. Zumal es gut sein könnte, dass es dieses Bild sehr bald nur noch als Erinnerungsfoto gibt.

Die "Sauschütt" ist einer der wenigen verbliebenen traditionell-bayerischen Biergärten im Landkreis Ebersberg. Wo unter den Füßen Kieselsteine knirschen und uralte Buchen Schatten spenden. Seit 1953 wird in der Sauschütt Gastronomie betrieben, anfangs nur eine Wirtsstube, seit den Achtzigerjahren ein Gasthaus samt Biergarten. Eine Tradition, deren Fortsetzung offenbar mehr als ungewiss ist. 66 Jahre nach der Ersteröffnung läuft Ende 2019 der Vertrag des Eigentümers mit dem derzeitigen Pächter aus. Dem Vernehmen nach ist gut möglich, dass die Wirtsleute sich nach Vertragsende zurück ziehen.

Der Waldgaststätte Sauschütt könnte es so ergehen wie vielen traditionellen Wirtschaften in Bayern, von denen es immer weniger gibt. Im Biergarten der Sauschütt machen Gerüchte die Runde, dass die Wirtsleute nicht mehr weiter machen mögen, von den Kellnern ist Ähnliches zu vernehmen. Wirtin Nicole Haas ist an diesem Sonntag nicht zu sprechen, es ist aber auch viel los, bei strahlendem Wetter sind fast alle Tische besetzt. Ein Anruf am Montag ergibt, dass die Betriebsaufgabe "durchaus im Bereich des Möglichen" liege, so Haas. "Von einer Vertragsunterzeichnung sind wir noch weit weg."

Hört das Wirtshausleben in der Hohenlindener Sauschütt nach 66 Jahren auf?

Hört das Wirtshausleben hier nach 66 Jahren auf? Die Sauschütt gehört den Bayerischen Staatsforsten und ist seit 1984 an die Grafinger Brauerei Wildbräu verpachtet. Nicole Haas und ihr Mann sind die Unterpächter der Brauerei, und zwar seit 2010. Von der Wirtin und vom Forstbetrieb ist zu erfahren, dass es unlängst eine Meinungsverschiedenheit gab: Der Forstbetrieb erwartet, dass die Elektroleitungen überprüft werden, die Wirte befürchten dadurch Betriebsbehinderungen. Über weitere Beweggründe für einen möglichen Ausstieg will Nicole Haas nicht öffentlich sprechen. Nachfrage also bei jemandem, der ähnliche Probleme haben könnte.

Fünf Kilometer südöstlich der Sauschütt liegt - ebenfalls mitten im Forst - das Forsthaus St. Hubertus, eine der wenigen Gaststätten in der Region, wo man im Biergarten unter Kastanienbäumen sitzt, auch dieser Ort hat Postkartenformat. Und dann das: Es ist Dienstagmittag, Wirt Adi Warta empfängt im weiß-blauen Hemd und kommt sofort zum Punkt: "Wir hören auch auf", sagt er, das sei seit längerem so geplant. Er und seine Frau wollen den Betrieb Ende 2020 einstellen. Falls sich vorher ein Nachfolger findet, gern auch schon früher, erklärt er. Wenn sich überhaupt jemand findet. Der Wirt sagt: "Ansonsten bleibt Hubertus halt geschlossen."

Der Besuch im Biergarten von Adi Warta gibt Einblicke in die Welt der Gastronomie, in der immer mehr Wirte kapitulieren - warum man nicht nur in Bayern von Wirtshaussterben spricht. Adi Warta sitzt im Schatten der Kastanien, den Hund zu seinen Füßen. Seit 30 Jahren ist er Wirt, mehr als sein halbes Leben, im Anzinger Forsthof, dann im Markt Schwabener Schweiger Bräu, die vergangenen zehn Jahren betrieb er das Forsthaus. Und zwar - wie auch die Wirtsleute der Sauschütt - als Unterpächter einer Brauerei. Mit einem Unterschied: Warta spricht über seine Gründe.

Am Biertisch geht es jetzt um die große Politik, veränderte Gesetzeslagen und wie manches davon im Kleinen ankommt. Warta sagt: "Der Staat hat mir die Freude an meinem Beruf genommen." Die Entwicklung der Gesetzgebung sei für einen Betrieb wie seinen nicht mehr umsetzbar. Es mangle etwa an der Möglichkeit für flexible Arbeitszeiten. "In einem Biergarten brauche ich spontan eine Mannschaft von Leuten, wenn es am Wochenende schönes Wetter ist", sagt er. Die Leute hätte er, auch spontan. "Sie dürfen aber nicht, weil das die erlaubten Wochenstunden übersteigt."

Wirte fordern gesetzliche Ausnahmeregelungen für Einzelbetriebe

Vor einigen Monaten hat Warta öffentliche Briefe in der Nähe des Ausschanks aufgehängt. In einem davon richtet der Geschäftsführer der Fachzeitschrift Gastronomie-Report Willy Faber das Wort an Bundes- und Landesregierung. Faber fordert darin, Mitarbeiter "in Ausnahmefällen auch länger als zehn Stunden" am Tag beschäftigen zu dürfen, "bei entsprechendem Freizeitausgleich". Darüber hinaus leide die Branche "unter einer ständigen Flut an Bürokratie", etwa die Hygiene-Dokumentationpflichten, die neue Datenschutzverordnung, die Arbeitszeit-Dokumentation oder die Allergen-Verordnung. Pflichten, die mit neuen Gesetzen kamen. Große Konzerne könnten dies stemmen, so Faber in seinem Brief. "Wenn sie aber die gastronomische Fülle in diesem Land erhalten wollen, sind Sonderregelungen für Einzelbetriebe dringend nötig."

Zurück am Biertisch, wo sich Adi Warta in Rage redet. Es geht jetzt um die vergünstigten Steuersätze für Fast-Food-Läden, und Wartas Stimme wird laut. "Sieben Prozent", sagt er, ruft es fast. Fakt ist: Bei einer Bestellung "zum Mitnehmen" muss eine Burgerkette nur sieben Prozent Mehrwertsteuer abführen. "Die Verpackung und die Reste landen dann in irgendeinem Mülleimer, den die Gemeinde leert und auf den Steuerzahler umlegt." Er als Wirt zahle dagegen bei jeder verkauften Speise volle 19 Prozent Mehrwertsteuer. "Ich sammle die Essensreste, trenne den Müll und werde dafür mit einer höheren Steuer bestraft."

In den beiden großen Wald-Biergärten im Landkreis Ebersberg ist unsicher, ob und wie es weiter geht. Das Forsthaus Hubertus soll demnächst zur Nachfolge ausgeschrieben werden, was nicht zwingend erfolgreich sein muss, wie vom Forstbetrieb zu erfahren ist. Amtsleiter Heinz Utschig erklärt, dass die Sauschütt auf Wunsch der Wirtsleute bereits vor zwei Jahren für einen Nachfolger ausgeschrieben war. "Es haben sich aber nur wenige gemeldet, und davon war niemand geeignet."

Das Problem war zwischenzeitlich vom Tisch, weil Nicole Haas und ihr Mann sich für eine Fortsetzung entschieden haben. Nun ist wieder offen, wie lange es dort noch Knödel und Kaiserschmarrn gibt. Bei einem Termin der Wirtsleute mit der Brauerei sollen kommende Woche die entscheidenden Gespräche geführt werden: Schließlich geht es auch um 25 Menschen, die im Sommer in der Sauschütt beschäftigt sind. "Wenn dann würden wir wegen der Mitarbeiter weiter machen", erklärt Haas noch. Und Adi Warta?

Im Betrieb des 57-Jährigen hat sich mit der neuen Gesetzeslage fast alles verändert. Weniger Mitarbeiter, weniger Betrieb. Mittlerweile öffnet er nur noch an Wochenenden und Feiertagen. "Mei!", sagt er und erhebt sich von der Bank. Er hinterlässt einen leeren Biergarten in der Mittagssonne - ein Bild wie das Wirtshaussterben in Postkartenformat. "Ich hoffe, dass die Generation nach uns auch noch Wirtshäuser hat", sagt Warta. Dann öffnet er die Tür zum Forsthaus und verschwindet.

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SZ vom 04.09.2019/koei
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