Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Betrunken mit einem Polizisten angelegt

Amtsgericht bestätigt Führerscheinentzug und Geldstrafe für einen 77-Jährigen, der mit 1,2 Promille Fahrerflucht begeht

Von Anselm Schindler, Ebersberg

"Der lügt doch!", faucht die Frau des Angeklagten in Richtung des Zeugen. "Beleidigen lass' ich mich nicht", schimpft der zurück. "Sind Sie jetzt ruhig!", ermahnt Richterin Vera Hörauf die Frau des Angeklagten und klopft auf den Tisch. Versöhnen werden sich der 77-jährige Angeklagte und der geschädigte Polizist, der an diesem trüben Nachmittag auf der Zeugenbank sitzt, wohl nicht, doch zumindest juristisch ist der Streit zwischen den beiden nun endgültig ausgefochten.

Begonnen hat alles im September 2014: An einem lauen Spätsommerabend geraten die beiden auf einer Kreuzung in Poing aneinander. Der 77-jährige ehemalige Elektriker ignoriert eine Vorfahrt, mit quietschenden Reifen verhindert der 28-jährige Polizist im letzten Moment einen Unfall. Doch der Rentner denkt gar nicht erst daran, sich zu entschuldigen, er kommt von einer Feier, etwa 1,2 Promille wird die Polizei später in seinem Blut messen. Unvermittelt fährt der 77-Jährige weiter und schrammt das Auto des Polizisten, der sich nicht im Einsatz befindet und zivil gekleidet ist. Durch das heruntergelassene Fenster ruft der Polizist dem ehemaligen Elektriker zu, dieser solle sofort stehen bleiben. Der habe aber nur mit "ach lass mir meine Ruhe" geantwortet, und sei davon gefahren. So zumindest schildert es der Geschädigte Richterin Vera Hörauf.

Der Polizist setzt dem renitenten Rentner nach, seine Frau sitzt auf dem Beifahrerplatz, will polizeiliche Verstärkung herbeirufen, doch schafft es vor lauter Aufregung nicht, ihr Smartphone zu entsperren. Nach wenigen hundert Metern überholt der Polizist den Rentner und bremst ihn aus. Er greift durch das offene Autofenster des Rentners und zieht den Schlüssel ab, der Rentner versucht das zu verhindern und packt ihn am Arm. Er steigt aus, es kommt zu einem Gerangel, bei dem der Polizist den Rentner zu Boden drückt. Dann trifft eine Polizeistreife aus Poing ein und schlichtet die Situation.

Nach dem Vorfall zeigt der 77-Jährige den Polizisten wegen Körperverletzung an, dieser habe ihn sehr grob angepackt, schildert er die Situation. Das Verfahren wegen Körperverletzung wurde inzwischen eingestellt. Gegen den Rentner ergeht ein Strafbefehl wegen Trunkenheit am Steuer, Gefährdung des Straßenverkehrs und Unfall flucht. Das allerdings will der ehemalige Elektriker nicht auf sich sitzen lassen, er legt Einspruch ein. Und so begegnen sich er und der Polizist ein zweites Mal, nun vor dem Ebersberger Amtsgericht. Die Anwältin des Angeklagten betont, dass der Angeklagte nicht bemerkt habe, dass er das Auto des Polizisten beschädigt habe. Denn der Angeklagte ist schwerhörig, bei der Verlesung der Anklageschrift steht er auf und schreitet mit Krücken zur Staatsanwältin um sie besser zu verstehen. Er schüttelt entrüstet den Kopf und murmelt wütend vor sich hin.

Der Geschädigte ist sich sicher, dass der Rentner gemerkt haben muss, dass er gegen sein Auto fuhr. Auch habe er, der Geschädigte, gerufen, dass er Polizist sei und den Angeklagten mehrfach dazu aufgefordert, stehen zu bleiben. Die Frau des Polizistin wird erst gar nicht als Zeugin vernommen, für Richterin Vera Hörauf scheint der Fall klar zu sein. Der Angeklagte und seine Anwältin verlassen für eine kurze Unterredung den Gerichtssaal, als sie hereinkommen wirkt der 77-Jährige geknickt. "Wir nehmen den Einspruch zurück", erklärt die Anwältin, denn eine Strafminderung scheint angesichts der Beweislast außer Reichweite.

Es bleibt bei 90 Tagessätzen zu je 30 Euro. 2700 Euro Geldstrafe also, dazu ein Führerscheinentzug von einem knappen halben Jahr.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2015
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