Nur Sandra Eberle hat gut lachen. Sie ist Einstellungsberaterin der bayerischen Polizei und sagt, dass ihr Arbeitgeber momentan keine Probleme habe, seine Ausbildungsstellen alle zu vergeben. Ganz im Gegenteil, denn auf jeden der rund 1200 Plätze pro Jahr kämen sechs bis sieben Bewerber. „Wir haben also sogar die Auswahl.“
Das sind Konditionen, von denen sehr viele andere Arbeitgeber offenbar nur träumen können. Rund 60 Aussteller sind an diesem Nachmittag zur Berufsinfomesse der Realschule Ebersberg gekommen, um dort Nachwuchs zu akquirieren – und an den meisten Ständen scheint die Not ziemlich groß. „Wir haben alle das gleiche Problem“, heißt es beim Rundgang immer wieder. Kaum einer konnte seine Ausbildungsplätze für Herbst bereits komplett vergeben. Und vermutlich wird das so manchem auch gar nicht mehr gelingen: 2024 blieben im Landkreis Ebersberg nach einer Auswertung der Arbeitsagentur über alle Ausbildungsbereiche hinweg rund 150 Lehrstellen unbesetzt.

IHK:Viele Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt
Zwar stieg 2024 die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Landkreis, doch die Unternehmen hätten noch viel mehr Bedarf.
Die Agentur für Arbeit ist bei Berufsinfomessen wie dieser freilich immer vertreten. Beraterin Peggy Ott hält Informationen zu allen möglichen Ausbildungen sowie Themen bereit und weiß, wie wichtig diese Orientierungshilfen für die Jugendlichen sind. Ihre regelmäßigen Sprechstunden an der Realschule jedenfalls würden rege nachgefragt und auch die Messe sei ein wichtiges Angebot. „Hier können die Schülerinnen und Schüler sehr nützliche Kontakte knüpfen, vor allem für ihre Praktika.“
Das Angebot der Messe ist jedenfalls unglaublich breit. Es finden sich Unternehmen aller Art, vom großen Konzern bis zum Familienbetrieb, vom Handwerk bis zur Bank, aus Ebersberg und München, aber auch Fachoberschulen, soziale Einrichtungen wie der AWO-Kreisverband oder Behörden wie das Finanzamt. Und wo immer möglich, haben die Aussteller nicht nur Kugelschreiber oder Jutebeutel mit Logos mitgebracht, sondern auch Material zur Anschauung oder sogar zum Ausprobieren. Am Stand einer Berufsfachschule für Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) etwa können die Jugendlichen selbst Cremes und Kapseln herstellen.

„Wir freuen uns über jeden, der bei uns lernen mag“, sagt Franziska Dirscherl, die am Stand für die PTA-Schule in München wirbt, „denn der Trend der Bewerbungen geht eindeutig nach unten.“ Schuld daran sei wahrscheinlich auch das Apotheken-Sterben – dabei gebe es nach dieser Ausbildung doch noch viele andere mögliche Berufsfelder, sei es zum Beispiel in einem Labor oder bei einer Krankenkasse. Die Jugendlichen über solche Dinge aufzuklären, darum gehe es auf Messen wie dieser.
Aufklärung ist auch ein wichtiges Stichwort für das Team von Dachser Logistik aus Berg am Laim. Man habe jedes Jahr 20 bis 30 Ausbildungsplätze zu vergeben, und für Herbst seien noch etliche offen, sagt Aneli Wittmann. „Aber es geht hier beileibe nicht nur um Lkw, bei uns passiert auch hinter den Kulissen ganz viel.“ Dementsprechend bilde man Fachkräfte für Lagerlogistik genauso aus wie Speditionskaufmänner oder -frauen. Und um diese Vielfalt darzustellen, seien Kooperationen mit Schulen enorm wichtig.

Berufsinfomessen, Besuche ganzer Klassen im Betrieb, Bewerbungstrainings und diverse andere Aktionen: Persönliche, analoge Kontakte mit Jugendlichen seien nach wie vor enorm wichtig, das sagen alle Unternehmensvertreter, Social Media hin oder her. Denn solche Begegnungen weckten erst einmal Interesse, das dann oft in einem Praktikum münde. Und später ergebe sich daraus wiederum in manchen Fällen eben auch ein Ausbildungsverhältnis. „Unsere Azubis haben zu etwa 80 Prozent vorher ein Praktikum gemacht“, sagt zum Beispiel Silvia Madl von der Raiffeisen-Volksbank Ebersberg. Deswegen lohne sich der Aufwand für diese Schnuppertage – vom kleinen Bewerbungsgespräch bis zum Zertifikat – auf jeden Fall.
Worin sich ebenfalls alle Betriebe einig sind: Man wolle und müsse für den Eigenbedarf ausbilden. Denn aus selbst angelerntem Nachwuchs würden „die besten Mitarbeiter“, sagt etwa Optiker Sebastian Lochner aus Ebersberg, der sich gerade über eine „Glückssträhne“ freut: Von den drei diesjährigen Ausbildungsplätzen für drei Lochner-Filialen seien bereits zwei vergeben. Konstanz beim Personal ist auch der Modellbau-Firma Schröter wichtig. „Mein neuer Chef war mein erster Azubi“, sagt Stefan Becker und strahlt – allerdings nur kurz. Denn momentan sehe es alles andere als rosig aus: Von drei Plätzen ab Herbst seien noch zwei unbesetzt, trotz vieler toller Projekte. Zum Beispiel haben die Oberpframmerner gerade eine supersichere Transportbox für den Ötzi gefräst oder den Prototyp für ein Flugtaxigehäuse entworfen.

Und wenn es nicht gelingt, genügend Nachwuchs zu generieren? Dann droht akuter Fachkräftemangel. „Wir suchen an allen Ecken und Enden“, sagt etwa Julian Oettl, Personalleiter vom Bauunternehmen E. Hönninger mit Sitz in Kirchseeon, „da geht es uns wie allen anderen auch“. Vor allem im handwerklichen Bereich sei es schwierig, Bewerber zu finden. Zum Betonbauer, Maurer, Baumaschinenmechatroniker, Bauzeichner, aber auch zum Industriekaufmann kann man sich in dem Familienunternehmen ausbilden lassen.
Der Käsehersteller Alpenhain bietet sogar sieben verschiedene Ausbildungen an, vom Milchtechnologen bis zum Maschinen- und Anlagenführer, gerne würde man in jedem Beruf zwei Plätze vergeben, sagt Personalerin Jasmin Bibinger, auch, um in so mancher Abteilung längerfristig „den Druck rauszunehmen“. Doch bisher sei für 2025 lediglich ein einziger Vertrag unterschrieben, „obwohl wir so viel Werbung machen wie noch nie, analog und online“. Wo also liegt das Problem? Der Standort in Pfaffing sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln – also gerade für Minderjährige – leider nicht optimal erreichbar, gesteht Ausbilder Christian Tänzer. Und ansonsten?

Die Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten sei einfach sehr groß, glaubt man bei Alpenhain, deswegen würden gewisse Faktoren wie eben eine komplizierte Anfahrt schnell zum Ausschlusskriterium. Auch wo der beste Kumpel hingeht, könne eine Rolle spielen, genauso wie körperliche Anstrengung, die Arbeitszeiten und freilich der Verdienst, heißt es an den Messeständen. Doch größtenteils herrscht Verständnis: Tausend Möglichkeiten – wie solle man da schon mit 15, 16 Jahren wissen, was man wolle? Wohl deswegen gingen viele Jugendliche lieber erstmal weiter zur Schule, um sich möglichst lange möglichst viele Türen offenzuhalten.
Gerade generell unsichere Zeiten wie diese führten bei vielen jungen Menschen zu Unentschlossenheit, glaubt Wolfgang Wochermaier, Chef einer Ebersberger Sanitärfirma. Außerdem sei die Attraktivität des Handwerks vielen nicht so bewusst – „wenn nicht gerade ein Heizungsgesetz im Raum steht“. Vermutlich deswegen seien momentan zwei von drei Ausbildungsplätzen noch frei, aber das werde sich bestimmt bald ändern.
Vergleichsweise entspannt scheint auch der Ebersberger Bäcker Richard Freundl zu sein, trotz noch offener Stellen. Während er Brot aufschneidet für die Messbesucher, erzählt er, dass das Interesse am Handwerk wieder zunehme und er als Mitglied diverser Prüfungsausschüsse bei den Azubis eine steigende Qualität wahrnehme. Überhaupt, Qualität: Junge Menschen könne man vor allem mit zwei Faktoren überzeugen, so Freundl, nämlich mit einem hervorragenden Produkt und mit Leidenschaft. Er jedenfalls liebe seinen Beruf, „einfach weil er so vielfältig und kreativ ist“. Und wenn man sieht, wie liebevoll dieser Ebersberger das Messer durch sein Brot führt, glaubt man ihm aufs Wort.