Flüchtlinge in Ebersberg:Der lange Weg zum eigenen Zuhause

Flüchtlinge in Ebersberg: Familie Barrakat lebt in einer eigenen Wohnung,

Familie Barrakat lebt in einer eigenen Wohnung,

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

1500 Asylbewerber leben im Landkreis - sie alle brauchen ein Bett zum Schlafen. Wir haben Flüchtlinge bei den verschiedenen Stationen begleitet: von der ersten Ankunft im Landratsamt über eine große Massenunterkunft bis zur ersten eigenen Wohnung.

Von Alexandra Leuthner, Isabel Meixner, Christian Endt und Carolin Fries

Die Ankunft

Die Fahrt nach Ebersberg ist nicht weit, gemessen an den Kilometern, die Amadu hinter sich gebracht hat, seit er geflohen ist. Er kommt aus Sierra Leone, 6991 Kilometer gibt der Routenplaner an. 188 mal abbiegen zwischen Freetown, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats, und Ebersberg. Wie oft Amadu, dessen wirklicher Name ein anderer ist, tatsächlich die Richtung gewechselt hat, er weiß es nicht mehr.

Schon hier im Bus, zwischen Fürstenfeldbruck, dem Erstaufnahmelager, und Ebersberg ist ihm die Orientierung abhanden gekommen. Kurz bevor der Bus an einer Ampel im Nirgendwo abgebogen ist, haben diese deutschen Sonnenstrahlen, die nicht wirklich wärmen, wenigstens ihren Weg durch den Nebel gefunden. Kurz darauf hat der Bus angehalten, die Tür sich geöffnet und sie alle ausgespuckt.

Wieder einmal steht ein Bus mit Flüchtlingen vor dem hinteren Eingang zum Landratsamt. 61 Männer aus mindestens acht verschiedenen Nationen klettern heraus, drängen sich um den Fahrer und nach ihren Tüten und Koffern. Eine Betreuerin bugsiert die Männer zum richtigen Eingang. Dort stehen sie dicht gedrängt und warten.

Einige schleppen große Tragetaschen, in die sie ihre Habseligkeiten gestopft haben. Amadu hat einen ehemals gelben Rollkoffer an seiner Seite, der so viele Schmutzflecken hat, dass man die Farbe kaum mehr erkennen kann. Amadu hält ihn fest. Der Koffer ist sein Tisch, sein Haus, sein Kleiderschrank. Am Ende dieses Tages wird er auch wieder ein Bett haben, hofft er.

In Sierra Leone gilt immer noch der Ausnahmezustand

Amadu lässt sich mit der Menge ins Amt hinein treiben, ein paar Gänge, links, rechts, vor einer großen Weltkarte findet die Wanderung ein vorläufiges Ende. Die 37 Syrer finden sich zu einer Gruppe zusammen. Keiner der Flüchtlinge kommt aus Amadus Heimat, dem Land mit den Palmenstränden, aus dem man Bilder kennt von Kindern mit Maschinengewehren, von Kindern mit Armstümpfen oder Holzkrücken, von Menschen, die in brackigem Wasser nach Diamanten schürfen. Zehn Jahre lang herrschte Bürgerkrieg in Sierra Leone. Dann kam Ebola. Seit November ist das Land offiziell seuchenfrei, aber der Ausnahmezustand gilt noch immer. Es gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

Gründe gab es für Amadu genug, sein Leben im gelben Rollkoffer zu versenken. Jetzt sitzt er im Gang vor dem Ausländeramt in Ebersberg und schweigt. Andere Wartende bauen sich vor der Weltkarte auf. Viele tragen Sportjacken, Wollmützen, ein älterer Mann eine Bomberjacke. Mit dem Finger fahren sie eine imaginäre Route nach. "Ah, Mazedonia" ruft einer, "Griechenland" ein anderer.

Arabische und englische Wortfetzen fliegen durch die Luft. Sie verfolgen ihre Fluchtrouten: Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich, bis nach München. Ein schmächtiger Junge, der seine schwarze Wollmütze wie einen Fez auf dem Hinterkopf trägt, deutet ganz nach oben, "Island" ruft er und lacht. Als würde die Welt ihm offen stehen.

Es dauert, bis die Neuankömmlinge registriert sind

Doch dann öffnet sich eine Tür, ein Mitarbeiter steckt den Kopf heraus und ruft einen Namen. Schlagartig verändert sich die Stimmung. Stille im Gang, Spannung, der Aufgerufene schiebt sich zögerlich nach vorne. "Passport and residence authorisation" , verlangt der Beamte. Die Syrer rücken nach, bilden einen Halbkreis, die Luft schmeckt nach Angst, nach Bildern aus ihrer Vergangenheit. Bis der Junge das Gesuchte hervor zieht, alle Unterlagen da, alles okay. Die Tür schließt sich wieder, der Wall aus Leibern löst sich, die Diskussionen vor der Weltkarte setzen wieder ein.

Es dauert, bis die Neuankömmlinge registriert sind. Im schmalen Flur steht inzwischen die Luft. Die Männer gehen raus, debattieren, vergleichen ihre Zettel. Andere streifen durch die Gänge, bleiben mit ratlosen Gesichtern vor zwei großen Vitrinen mit sorgsam konservierten heimischen Vögeln stehen. Dann, endlich, tritt eine Beamtin aus der Tür, ruft die Männer zusammen, drückt ihnen Zettel in die Hände, Stadt- und S-Bahnpläne, auch Amadu bekommt einen.

Sie deutet auf je eine Zeile. "Kirchseeon", sagt sie, und wendet sich von einem zum anderen. "Kirchseeon, Kirchseeon, Vaterstetten, Kirchseeon. You must got to the train station. And you must go to the town administration." Die Männer sind aufgeregt, drängen sich um die Frau. Fragen, suchen auf dem eigenen Blatt, dem Blatt des Nachbarn, viele werden sich aus den Augen verlieren. "The station", wiederholt die Beamtin, "you know where it is?"

"When you miss the date, it's over"

Dann hat auch Amadu sein Blatt. "Grafing" hat sie gesagt. "Not Grafing station, Grafing city." Er ist der einzige, der dort unterkommt. Im Container. Mit einem tiefen Seufzer wuchtet er den Henkel seines Rollkoffers hoch, schleppt ihn vorbei an den Syrern, die noch in der Sesselgruppe vor dem Empfang sitzen, vorbei auch am großen Bildschirm, über den ein Nachrichtenticker und idyllische Winterbilder aus dem Ebersberger Land flimmern.

Amadu hat aufgepasst, er weiß, er muss die Treppe hinunter zum Bahnhof. In der Tür zum Bahnsteig bleibt er mit einem Reifen seines Rollkoffers hängen, wuchtet das schwere Ding um die Türkante herum.

Auf dem Zettel in seiner Tasche steht der Anhörungstermin für seinen Asylantrag im nächsten Jahr. Vielleicht ist der Container nicht seine letzte Station in Deutschland. "When you miss the date", hat die Beamtin gesagt, "it's over." Auch das hat er sich gemerkt. Aber jetzt muss er erst einmal nach Grafing. "One station." Dort wird er ein Bett haben.

Das Containerdorf

Das Containerdorf

Mohammad Nasim ist frei, und dennoch fühlt er sich wie im Gefängnis. Seit drei Monaten lebt er in Markt Schwaben, teilt sich seinen Wohncontainer mit zwei anderen Männern. "Wir können nicht atmen", sagt er. Einen Aufenthaltsraum gibt es nicht, Tag und Nacht verbringt er in dem beengten Container, versucht zu schlafen, quält sich mit Gedanken. Bei schönem Wetter spielen er und die anderen 57 Männer Fußball, das lenkt zumindest ein bisschen ab. "Wir müssen einfach miteinander zurecht kommen", sagt der 48-Jährige.

Dabei hat jeder sein eigenes Päckchen zu tragen: seine Erinnerungen, seine Ängste, seine Ernüchterung. Als er in Deutschland ankam, sei das "ein unbeschreibliches Gefühl" gewesen, erzählt Mohammad Nasim: "Ich gehe, ich esse, ich trinke. Ich lebe." Inzwischen bedeutet das Leben hier für ihn "Schmerz, Schmerz und noch mehr Schmerz".

Immer wieder kommen die Gedanken, die Ängste, die Bilder von Leichen hoch, die er in seiner Heimat sehen musste. Die Langeweile ist der tägliche Begleiter der Bewohner des Containerdorfs, selten kommen Menschen zu Besuch vorbei. Nasim sieht, wie andere Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea nach München zum Deutschkurs fahren dürfen; ihm ist das untersagt.

"Warum diese Unterscheidung?", lässt der zurückhaltende Mann mit den eingefallenen Wangen Übersetzer Khaleqi Naim vom Aktivkreis Flüchtlinge fragen. Afghanistan erlebe seit 50 Jahren Krieg. "Deutschland gibt jedem Menschen Rechte - warum uns nicht? Was habe ich Deutschland getan?" Er habe sich hierher durchgeschlagen, um etwas aus seinem Leben zu machen. Dieses Zurücksetzen zu erleben, "tut mir sehr, sehr weh".

Flüchtlinge in Ebersberg: Mohammad Nasim wohnt im Container.

Mohammad Nasim wohnt im Container.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nasim geht jeden Abend weinend ins Bett

In dem Containerdorf ist Mohammad Nasim als Ältester so etwas wie die graue Eminenz. Er hilft anderen, hört ihnen zu, repariert Wasserhähne und schneidet Haare; dabei bräuchte er selbst Hilfe. Jeden Abend gehe er weinend ins Bett. Er vermisst seine Tochter, sein erstes Kind, das er seit sieben Monaten nur noch über Handyfotos kennt.

Ihretwegen hat er die Flucht auf sich genommen. Kaum war sie geboren, verließ Mohammad Nasim Afghanistan. "Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, um Geld zu verdienen, weiß ich nicht, ob ich abends wiederkomme", schildert er die Situation in seiner Heimat. Seine Familie hat er durch den Krieg verloren. Er habe Angst gehabt, dass eines Tages die Taliban vor seinem Haus stehen, ihm eine Waffe in die Hand drücken und ihm befehlen: "Los, kämpfe für uns!"

Er, der Blicken sonst ausweicht, schaut sein Gegenüber jetzt mit traurigen schwarzen Augen direkt an: "Ich frage Sie: Würde ein Deutscher seine Familie einfach so zurücklassen? Selbst in einem sicheren Land wie Deutschland? Keiner macht das freiwillig."

Er habe lange gewartet, ehe er heiratete, erst mit 40 Jahren fühlte er sich reif für Ehe und Familie. Jetzt will er seinem Kind eine gute Zukunft bieten. Wenn er mit seiner Frau telefoniere, höre er die Tochter im Hintergrund weinen. Sie ist krank, die Ärzte wissen nicht genau, was sie hat. Geld für Medizin gibt es kaum. Er müsse seine Frau anlügen, weil sie wissen will, wann er anerkannt wird, erzählt Nasim.

Nasim muss noch Monate auf eine Entscheidung warten

Aber was soll er ihr sagen? Seinen ersten Anhörungstermin im Asylverfahren hat er Anfang Februar. Dass das Gespräch aber auch wirklich an dem Tag stattfindet, glaubt Mohammad Nasim nicht: Er bekommt immer wieder mit, wie Flüchtlinge aus dem Containerdorf für halb sieben, sieben Uhr morgens nach München bestellt werden - und nachmittags ohne Interview wieder zurückkommen, weil die Mitarbeiter mit dem Andrang nicht fertig geworden sind. Und selbst wenn er Anfang Februar angehört wird: Bis sein Verfahren entschieden wird, werden noch Monate vergehen. Ausgang offen.

Wie er seine Chancen einschätzt, bleiben zu können? "Ich glaube an den allmächtigen Gott", sagt der Moslem. "Als ich nach Deutschland geflohen bin, habe ich immer dem Tod in die Augen gesehen. Er hat mich bis hierher gebracht. Ich gebe niemals auf."

Die Wohngemeinschaft

Die Wohngemeinschaft

Austine Odemwingie will den Führerschein machen. "Ich gehe jeden Tag um sechs Uhr morgens aus dem Haus", erzählt er. Odemwingie radelt fünf Kilometer bergauf durch den Wald zur Arbeit. Abends um sechs kommt er wieder, manchmal wird es aber auch sieben oder acht. Er arbeitet in einer Gärtnerei, er arbeitet hart und meistens im Freien. Ein Auto würde sein Leben ein wenig leichter machen. Er hofft auch, dass sein Chef ihm mit Führerschein mehr bezahlt als den Mindestlohn und er vielleicht eine eigene Wohnung für sich und seine Familie suchen kann.

Arbeitsplatz, Auto, Wohnung: Was für die meisten Menschen in Deutschland selbstverständlich zum Leben gehört, muss sich Odemwingie Schritt für Schritt erkämpfen. Der 30-jährige Nigerianer lebt seit eineinhalb Jahren mit seiner Frau Vera und zwei Söhnen in Falkenberg, einem Ortsteil von Moosach. Dort teilen sie sich mit einer anderen Familie eine Wohnung, für sich haben sie eineinhalb Zimmer.

Flüchtlinge in Ebersberg: Die Odemwingies haben nur eineinhalb Zimmer.

Die Odemwingies haben nur eineinhalb Zimmer.

(Foto: Christian Endt)

Odemwingie begrüßt Gäste mit traurigen Augen und einem kraftlosen Händedruck. Der Asylbewerber hat eine lange Fluchtgeschichte hinter sich. In Deutschland lebte die Familie in Grafing, München und dem Ruhrgebiet, immer in großen Unterkünften. Der jüngere, jetzt eineinhalb Jahre alte Sohn ist in Deutschland geboren. Sein dreijähriger Bruder kam in Italien auf die Welt, wo die Familie vorher einige Zeit lebte.

Dort werden Flüchtlinge schlecht versorgt und landen häufig in der Obdachlosigkeit, weshalb die Odemwingies weiterzogen. Aus Nigeria seien sie geflohen, sagt Odemwingie, weil sie in gewaltsame Familienfehden verwickelt wurden. "Mein Vater war ein Voodoo-Priester", er habe daher viele Feinde gehabt. Austine Odemwingie sagt, er habe mit ihm zwar nichts zu tun gehabt, sei aber trotzdem irgendwann in die Streitigkeiten reingezogen worden. "Meine Mutter sagte: Geh weg!"

Sie schlafen zu dritt in einem sechs Quadratmetern großen Zimmer

Gegenüber den großen Flüchtlingsunterkünften, den Turnhallen und Containerbauten, hat es die Familie mit ihrer jetzigen Unterkunft gut erwischt: Sie haben Privatsphäre, Ruhe, eine vernünftige Küche, ein eigenes Bad. Doch das Schlafzimmer, das sich Vera Odemwingie mit den beiden Buben teilt, ist nur etwa sechs Quadratmeter groß, gerade so passen die Betten hinein.

Austine schläft im Wohnzimmer auf dem Sofa. Mit der im gleichen Haus lebenden Familie, die auch aus Nigeria kommt, kam es bereits zu einem heftigen Streit. Auf Vermittlung von Priestern haben sich inzwischen zwar alle wieder versöhnt. Trotzdem gibt es seither einen festen Plan, wer zu welchen Zeiten die gemeinsame Küche benutzen darf.

Austine Odemwingie erzählt von vielen positiven Erfahrungen mit Deutschen. Für die Gärtnerei arbeitet er häufig in privaten Gärten: "Dabei habe ich viele nette Menschen kennengelernt." Besonders nett ist Willi Mirus, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde Moosach: "Er hilft wirklich wo er kann." Jeden Tag hole Mirus den älteren Sohn ab und fahre ihn in den Kindergarten. Mittags bringt er ihn zurück. Er ist es auch, der bei der Vermittlung von Odemwingies' Arbeitsstelle geholfen hat und der jetzt hilft, die Fahrschule zu organisieren.

Odemwingie fährt jeden Sonntag nach München zum Gottesdienst

"Wir versuchen einfach, die Dinge am Laufen zu halten", sagt Odemwingie. "Ich träume davon, irgendwann wieder in meinem Beruf arbeiten zu können." In Nigeria war Odemwingie Priester der Pfingstkirche. Jeden Sonntag fährt er daher nach München, um an einem Gottesdienst teilzunehmen.

Auch Vera Odemwingie hat bei der Kirche gearbeitet, als Gospel-Sängerin. Sobald auch der zweite Sohn im Kindergarten ist, will sie sich einen Job suchen. Derzeit fordert der Junge die volle Aufmerksamkeit seiner Eltern, ist immer in Bewegung und wuselt durch die Wohnung. Spielsachen, mit denen er sich beschäftigen könnte, hat die Familie nicht viele.

Bis über das Asylverfahren der Odemwingies entschieden ist, kann es noch dauern. Derzeit werden vor allem Anträge von Flüchtlingen aus Syrien und Eritrea bearbeitet, alle anderen müssen warten. Austine und Vera Odemwingie versuchen währenddessen, sich Schritt für Schritt ein neues Leben aufzubauen.

Die eigene Wohnung

Die eigene Wohnung

"Wir sind glücklich." Das antworten Hagar Khalied, 29, und ihr Ehemann Ahmed Barrakat, 40, auf die Frage, ob sie einen Wunsch haben. Hier in Bruck, der kleinen Gemeinde im südlichen Landkreis, hat die ägyptische Familie dieses Glück gefunden: 150 Quadratmeter Wohnraum für 1200 Euro warm. Endlich genug Platz für die fünf Kinder. Für einen Preis, den Barrakat bezahlen kann.

Der gelernte Tauchlehrer arbeitet in einer Großküche in Höhenkirchen, drei Mal in der Woche kocht er im Anschluss noch in einem Münchner Imbiss. "Ohne Nebenjob geht es nicht mit fünf Kindern", sagt Barrakat. In Ägypten ginge es auch mit zwei Nebenjobs nicht, erzählt er - und die gelte es erst einmal zu finden. Der repressive und korrupte Staatsapparat und die schwierigen Lebensbedingungen in seiner Heimat haben Ahmed Barrakat bereits 2004 nach Deutschland getrieben. Kurz vor dem Militärputsch 2011 holte er seine Frau und die damals drei gemeinsamen Kinder nach, "sonst hätten sie flüchten müssen". Hier in Deutschland ist er auch kein reicher Mann, das ist Barrakat klar. Aber er kann seine Familie ernähren, die Miete bezahlen, den Sportverein für die Kinder, die Weihnachtsschokolade, die auf dem Fensterbrett steht. "Das einzige Problem in Deutschland sind die Mieten", sagt der Familienvater. Dass die Gemeinde Bruck das ehemalige Feuerwehrhaus im April an sie vermietet hat, sei wie ein Wunder. Barrakat lächelt. "Es gab 60 Bewerber." Und eine muslimische Familie mit fünf kleinen Kindern stand ganz oben auf der Liste.

Brucks Bürgermeister Josef Schwäbl erzählt, dass die Familie zunächst drei Jahre in Egmating gewohnt habe, dort aber aus der Wohnung hat ausziehen müssen. Mit dem Gemeinderat hat sich Schwäbl verständigt, hier unbürokratisch und schnell zu helfen. "Vielleicht haben wir mit unserem Schritt eine Familie vor der Obdachlosigkeit gerettet" sagt er. Das kleinste Familienmitglied der Barrakats war beim Umzug erst ein paar Wochen alt.

Ahmed Barrakat fährt jeden Morgen gegen sechs Uhr mit dem Auto in die Arbeit. Jobbt er anschließend noch in München, kommt er erst abends um elf Uhr nach Hause. Sozialleistungen hat er in all seinen Jahren in Deutschland lediglich ein paar Monate bezogen. Bis die Familie nachkam, hat er in München gewohnt. "Besser ist es im Dorf", sagt Barrakat. Hier würden die Kinder besser Deutsch lernen. Er selbst spricht sehr gut. Für den Deutschkurs, der Voraussetzung für den Antrag auf eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung ist, hat er noch keine Zeit gehabt, sagt er. Seine Frau Hagar - "wie Hagebau",sagt ihr Mann - hat die Prüfung bestanden. Jetzt fehlt ihr noch eines der sieben nötigen Jahre für die erhoffte Sicherheit. Denn die Familie Barrakat will nie mehr weg aus Bruck. "Einfach hier leben", ist das erklärte Ziel.

Die Kinder sollen in Frieden aufwachsen, die Schule meistern, einen Abschluss machen. Sara, 8, will Ärztin werden, ihre Brüder Mohamed, 7, und Atef, 6, Piloten. Sie zeigen stolz ihre Deutsch- und Mathehefte her. In ihrer Wohnung, die sich über zwei Stockwerke erstreckt, spricht die Familie arabisch. Draußen auf der Sprache deutsch. "Wenn die Kinder spielen, dann tun sie das auch in deutscher Sprache", sagt ihre Mutter. Adam, 4, und Yousef, der im Februar ein Jahr alt wird, wurden in Deutschland geboren. Ihre Mutter fühlt sich inzwischen hier angekommen. "Ein paar Monate hat es gedauert", sagt sie. Dann habe sie die Nachbarn gekannt, sei nachmittags mit den Kindern ins Freibad gefahren. Sie trägt dort keinen Bikini, sondern eine Leggins und ein T-Shirt. Sie sagt das mit Stolz, genauso wie folgenden Satz: "Mein Mann ist Demokrat." Sie weiß, wie das Leben in Deutschland funktioniert.

Weihnachten werden die gläubigen Muslime freilich nicht feiern, "aber wir machen mit", sagt Ahmed Barrakat. Die Familie besucht selbstverständlich die Weihnachtsfeier im Kindergarten und in der Schule und wünscht den Nachbarn ein frohes Fest. Dann aber werden sie sich zurückziehen in ihre Wohnung, einen ägyptischen Tee trinken, ein paar der geschickten Süßigkeiten aus Ägypten dazu essen und ihr Glück feiern.

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