Kultur im Landkreis:Dem Frieden ein Lied, der Freiheit einen Turm

Kultur im Landkreis: "Würden Sie am liebsten abhauen?" Ein solch verhindertes Fluchtfahrzeug will Peter Kees im Ebersberger Forst deponieren (Animation).

"Würden Sie am liebsten abhauen?" Ein solch verhindertes Fluchtfahrzeug will Peter Kees im Ebersberger Forst deponieren (Animation).

(Foto: Veranstalter)

Schöne neue Welt? Das Ebersberger Arkadien-Festival möchte wieder ein künstlerisches Forum bieten, um aktuelle Krisen zu verhandeln. Und die dritte Ausgabe wird noch fulminanter.

Von Anja Blum, Ebersberg

Dass Peter Kees vielleicht ein wenig größenwahnsinnig ist, hatte man sich ja schon gedacht. Oder nennen wir es besser: überaus ambitioniert. Nun steht die bereits dritte Ausgabe seines Arkadien-Festivals in Ebersberg an - und der Steinhöringer Aktionskünstler hat dafür tatsächlich ein Flugzeug gekauft. Es wird Teil einer Installation sein, einer Intervention im öffentlichen Raum, die Kees so sehr liebt.

Doch ganz so verrückt, wie diese Neuanschaffung klingt, ist sie nicht. Auf einem digitalen Flohmarkt habe er das alte Flugzeug erstanden, sagt Kees, und dass es wohl nie abheben werde. "Es war nur ein Flügel dabei." Außerdem ist es gar nicht Kees' Absicht, das Ding, eine Cessna mit sechs Sitzen, fliegen zu lassen. Vielmehr wird er es in den Ebersberger Forst stellen, mitten zwischen die Bäume. Mit der Aufschrift "Liberté" soll das Flugzeug wie ein einladendes Fluchtfahrzeug wirken - das jedoch letztlich nichts taugt. Weil es ja doch nicht abheben kann an diesem Ort. Ein poetisches und durchaus ironisches Bild der Ausweglosigkeit.

Das Festival wird mit jeder Ausgabe fulminanter, diesmal umkreisen es vier internationale Satelliten

Über das Festival als Ganzes hingegen lässt sich sagen: Es wird mit jeder Ausgabe fulminanter. Während die erste noch sehr im Ausstellungsdenken verhaftet war, ging man vor zwei Jahren pandemiebedingt hinaus, unter den freien Himmel, und streckte das Programm dort über einen langen Zeitraum. Nun gibt es beides: Sowohl die Galerie des Kunstvereins als auch Stadt und Umland werden bespielt, außerdem ist das Geschehen zeitlich wieder verdichtet. Und das ist noch nicht alles: Rund um das Ebersberger Zentrum gruppieren sich nun gleich mehrere internationale Satelliten. Auch in Berlin, Danzig, Rijeka und Sofia werden sich Künstlerinnen und Künstler dem arkadischen Gedanken widmen.

Kultur im Landkreis: Scheut keine Mühen, wenn es um Arkadien geht: Kurator Peter Kees.

Scheut keine Mühen, wenn es um Arkadien geht: Kurator Peter Kees.

(Foto: Christian Endt)

Das Thema des dritten Arkadien-Festivals lautet "Schöne neue Welt", ein Verweis auf Aldous Huxleys gleichnamigen Roman, der eine dystopische Zukunft entwirft, "wie sie in den Augen mancher mehr und mehr Realität wird", so Kees. Ob der Ukraine-Krieg und seine Folgen, die Entwicklung totalitärer Strukturen, neu aufkommender Nationalismus, ein rasant wachsender Kapitalismus, Klimawandel, Digitalisierung, die Polarisierung der Gesellschaft: All das müsse verhandelt werden, erklärt der Kurator. Das Festival wolle dafür ein künstlerisches Forum bieten.

Kultur im Landkreis: "Cyberhead" heißt dieses Werk des kroatischen Künstlers Sebastijan Dračić, der Teil einer arkadischen Ausstellung in Rijeka ist.

"Cyberhead" heißt dieses Werk des kroatischen Künstlers Sebastijan Dračić, der Teil einer arkadischen Ausstellung in Rijeka ist.

(Foto: Veranstalter)

Der Topos Arkadien, als Entwurf eines unbeschwerten Daseins, begleitet die europäische Kulturgeschichte seit der Antike. Vor allem in den Künsten hat dieses Wunschbild immer wieder Ausdruck gefunden. Arkadien war laut Kees stets "das Sehnsuchtsziel eines sorglosen Seins, frei von zivilisatorischen Zwängen, in idealer Landschaft". Dahinter stecke heute die politische Idee eines friedlichen Miteinanders in Wohlstand, ohne Krieg, entfremdete Arbeit und gesellschaftlichen Anpassungsdruck, aber auch ein mögliches Modell für eine gerechtere soziale Zukunft, so der selbst ernannte Botschafter Arkadiens.

Doch wie lässt sich diese Utopie künstlerisch ausgestalten? Eine Ausschreibung für das Festival gab es diesmal nicht, vielmehr nutzte Kees seine vielen Kontakte in Bayern, Berlin und anderswo, um in Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Ebersberger Kunstverein ein spannendes Programm zu kreieren. Und tatsächlich muten die geplanten Ausstellungen und Interventionen sehr vielversprechend an, überdies sind unter den Akteuren einige Namen, die aufhorchen lassen.

Eine Plakataktion rief Polizei und Staatsanwaltschaft auf den Plan - nun gibt es eine Fortsetzung

Das geht schon los mit einer Aktion im Vorfeld des Festivals, die Bezug nimmt auf Kees' jüngsten Coup: Ende 2022 hatte er zwölf international renommierte Künstler und Künstlerinnen eingeladen, öffentliche Plakatflächen in Bayern mit einer arkadischen Botschaft zu versehen. Unter dem Namen Peng! Kollektiv waren mit dabei: Klaus Staeck aus Heidelberg, Frenzy Höhne aus Leipzig, Susanne Bosch aus Berlin, Manaf Halbouni, der in Berlin, Dresden und Zagreb verortet wird, das englische Duo Andy Webster und Derek Tyman, Hans Winkler, der zwischen Rott am Inn und Berlin pendelt, Timm Ulrichs aus Hannover, Mads Lynnerup aus San Franzisco, Elisabeth Ajtay aus New York und Ottjörg A.C. aus Sofia.

Von den Plakaten sorgte vor allem eines für Aufsehen: "Diese Grenze existiert nicht", stand da, nebst Bundesadler und verfremdetem EU-Emblem, plakatiert an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Polizei entfernte das Plakat, stellte es als Beweismittel sicher und nahm Ermittlungen auf, gegen den Kurator. Unter anderem wegen Amtsanmaßung. "Bislang habe ich aber nichts weiter gehört", sagt Kees und lacht. Immerhin hat gerade das behördliche Eingreifen dem Projekt mediale Aufmerksamkeit beschert.

Kultur im Landkreis: "Diese Grenze existiert nicht": Das behauptete das Plakat des "Peng! Kollektiv" in Bayrisch Gmain.

"Diese Grenze existiert nicht": Das behauptete das Plakat des "Peng! Kollektiv" in Bayrisch Gmain.

(Foto: Veranstalter)

Die Aktion im Vorfeld des Ebersberger Festivals wird nun sein, dass das Kollektiv am Grenzübergang Bayerisch Gmain erneut ein Plakat anbringt: "Dieses Plakat existiert nicht". Schließlich erachten Kees und seine Mitstreiter das Entfernen ihres Werks als einen nicht zu tolerierenden Eingriff in die Kunstfreiheit. "Aber wer weiß, vielleicht kommt ja doch noch eine Entschuldigung", so der Kurator. Außerdem schwappt die Arbeit des Kollektivs auch ganz konkret in das Ebersberger Festival hinein: Dort werden erstmals alle zwölf Plakate in einer Ausstellung zu sehen sein. "Schrei es in die Welt hinaus - Arkadische Botschaften im Öffentlichen Raum". Peng!

Welche Installation, welche Performance wohl darüber hinaus für Aufregung sorgen wird? 2021 hatte die Straßenbehörde im Landratsamt an einem "Entschleunigten Parkplatz" und einer "Innehaltestelle" Anstoß genommen und eine Entfernung "aller Kunstobjekte im Landkreis" gefordert. In Kees' Augen natürlich ein Ritterschlag für das Festival. Einen Tipp abgeben, welche Werke diesmal Provokationspotenzial haben, möchte er jedoch nicht. "Wir werden sehen", sagt er und grinst.

Kultur im Landkreis: Diese "Innehaltestelle" des "Vereins zur Verzögerung der Zeit" missfiel 2021 den Behörden. Obwohl Hubert Maier das Schild ganz bestimmt ganz sachgerecht installiert hatte.

Diese "Innehaltestelle" des "Vereins zur Verzögerung der Zeit" missfiel 2021 den Behörden. Obwohl Hubert Maier das Schild ganz bestimmt ganz sachgerecht installiert hatte.

(Foto: Christian Endt)

Zu sehen und erleben wird es jedenfalls einiges geben: Ein internationales Kollektiv macht sich auf die Suche nach dem Weltfrieden, die "Praxis für alternative Handlungen" aus Dresden überwacht per Video zuvor inszenierte Naturorte, Maja Ott aus Moosach widmet sich mit einer Hinterglasmalerei am Bushäuschen ausgestorbenen Pflanzenarten, Hans Winkler wird den Volksfestplatz um einen echten Eisberg bereichern, Derek Tyman und Andy Webster werden das Wörtchen "Free" in den Himmel schreiben und langsam vergehen lassen, das "Internationale Staubarchiv" will die Schönheit des Ebersberger Landschaftsbilds untersuchen, Folke Köbberling aus Berlin bietet kompostierbare Steine für den Gartenweg, während Greta Mentzel und Heinz Mader aus Bozen in einen "Lachraum" einladen, unter anderem in der Pfarrkirche.

Kultur im Landkreis: So soll er einmal aussehen, der "Free-Tower" von Andy Webster und Derek Tyman (Animation).

So soll er einmal aussehen, der "Free-Tower" von Andy Webster und Derek Tyman (Animation).

(Foto: Veranstalter)

Und das ist längst noch nicht alles, doch eine vollständige Auflistung würde jeden publizistischen Rahmen sprengen. Hingewiesen sei allerdings noch auf zwei Programmpunkte, die sich ganz konkret auf den Krieg in Europa beziehen: Elena Korowin aus Baden-Baden, eine gebürtige Russin, holt "Das Grüne Band" nach Ebersberg, eine friedliche russische Protestbewegung: "Je mehr grüne Bänder sichtbar werden, umso größer ist die Hoffnung, dass es noch klar denkende Menschen und Hoffnung für die Zukunft gibt." Um die Meta-Ebene hingegen geht es bei einer Konferenz, bei der das Verhältnis von Kunst, Krieg, Pazifismus und Freiheit verhandelt werden soll. Wie parteiisch darf Kunst im Krieg sein? Müssen Künstler sich überhaupt verhalten? Können sie vielleicht sogar etwas bewirken?

Kultur im Landkreis: Das "Diogenes Quartett" spielt einen vermutlich eindringlichen Friedensappell.

Das "Diogenes Quartett" spielt einen vermutlich eindringlichen Friedensappell.

(Foto: Veranstalter)

Ebenfalls bemerkenswert sind die zwei musikalischen Beiträge, schon alleine deshalb, weil es sich jeweils um eine Uraufführung handelt: Das Diogenes Quartett spielt eine arkadische Auftragskomposition von Wolfgang Florey mit dem schönen Titel "Lasciate in pace il nostro mondo", "Lasst unsere Welt in Frieden!". Und gleich zwei Ensembles, das Voyager Quartet und das Modern String Quartett, gestalten den musikalischen Teil eines Kammerspiels von Peter Kees. Es nennt sich "Schöne Neue Welt" und lässt Aldous Huxley im Jenseits auf Georg Orwell treffen. Ist damit das Ende der Welt eingeläutet? Oder gibt es eine Lösung? Bald werden wir alle schlauer sein.

Arkadien-Festival Nummer 3: "Schöne, neue Welt", Part I: 19. Mai bis 12. Juni in Ebersberg, Berlin und Danzig, Part II: 12. bis 30. Juni in Rijeka.

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