Kultur im Landkreis:Linien des Lebens

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Angela Dorrer stellt im Waldmuseum aus, unter anderem ihre "Blattscapes", mit Acryl, Garn, und Perlen künstlerisch transformiertes Grün. (Foto: Andorrer/oh)

Angela Dorrer, die in Grafing aufgewachsen ist, verschränkt auf zauberhafte Weise Natur und Kunst: Sie verwandelt Blätter und Hände in Landschaften. Nun stellt sie im Waldmuseum aus.

Von Anja Blum, Ebersberg

Sehr archaisch mutet an, worauf sich Angela Dorrer, Künstlername Andorrer, spezialisiert hat: Sie bemalt Hände und Blätter - etwas, das wahrscheinlich die ersten Menschen schon getan haben. Haut und Pflanze werden hier zur Leinwand, auf der farbenprächtige Landschaften entstehen, eine zauberhafte Verschränkung von Natur und Kunst. Nun stellt Dorrer, die in Grafing aufgewachsen ist, aber mittlerweile bei Wien lebt, das erste Mal in ihrem Heimatlandkreis aus. "Und ich freu mich schon sehr darauf, auch viele alte Freunde wieder zu treffen", sagt sie. Passenderweise im Museum Wald und Umwelt in Ebersberg zeigt die Künstlerin ihre Werke. "Vom Reisen auf Blättern und Händen" lautet der Titel der Schau, die an diesem Freitag, 15. Juli, um 17 Uhr mit einer Vernissage eröffnet wird.

"Vom Reisen auf Blättern und Händen" heißt die Ausstellung im Ebersberger Museum für Wald und Umwelt. (Foto: Andorrer/oh)

Und so hat der schreckliche Brand des Museums doch noch ein bisschen etwas Gutes: Dank der Renovierung ist diese Sonderausstellung nicht wie üblich im Keller untergebracht, sondern im ersten Stock, wo es viel Tageslicht gibt und herrliche Ausblicke ins Grüne rundum - was freilich wunderbar mit Dorrers Kunst korreliert. Zwei Werkreihen sind zu sehen: "Blattscapes" und "Handscapes". Dorrer schreibt: "Ich reise auf Blättern und in fremden Händen. Wandere auf deren Bergen und in deren Tälern. Folge den Pfaden, den Abzweigungen und den Mustern. Ich kartiere und markiere mit Pinsel, Nadel und Faden. Bin Reisende, Träumerin und folge den Linien des Lebens."

Angela Dorrer hat ein Faible für Blätter, Hände, Landschaften und das Handwerk. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Angela Dorrer, geboren 1969, arbeitet in den Bereichen Zeichnung, Fotografie und Performance. Ihre Leidenschaft für Landschaften und Karten erbte sie von ihrem Vater, einem Antarktisforscher und Professor für Kartografie. Die Liebe zum Handwerk kommt von ihrer Mutter, sie ist Inhaberin eines Grafinger Stoffgeschäfts. Dorrer studierte Kunst in Montreal, München und Salzburg, heute lebt und arbeitet sie in Klosterneuburg, in einem Atelierhaus mit großem Garten an der Donau. Seit 2009 beschäftigt sie sich mit der Handfläche als Landschaft, seit 2014 sammelt sie auf Wanderungen Blätter, die sie künstlerisch verfremdet.

Sehr gerne bearbeitet die Künstlerin Blätter, denen Insekten und die Witterung schon deutlich zugesetzt haben. (Foto: Andorrer/oh)

Besonders spannend findet Dorrer dabei jene Blätter, die ihre natürliche Perfektion bereits eingebüßt haben, die von Insekten angefressen wurden, oder denen die Witterung bereits ordentlich zugesetzt hat. Manche sind tatsächlich schon mehr Gerippe denn Fläche. Doch ihnen allen schenkt die Künstlerin ein zweites, neues Leben, indem sie sie zunächst trocknet, presst und konserviert. Letzteres bedeutet, dass sie auf der Rückseite eine Gummischicht aufträgt, wie das genau funktioniert, möchte Dorrer allerdings nicht verraten - "Berufsgeheimnis". Nur so viel: Das Verfahrung in Zusammenarbeit mit den Restauratoren des Naturhistorischen Museums in Wien zu entwickeln habe mehrere Jahre gedauert.

Doch mit der Konservierung ist es freilich längst nicht getan, auf diese folgt der künstlerische Prozess: Dorrer verziert die Blätter mit Acryl, Ölkreide, Garn und kleinen, bunten Perlen. Manche Blätter sind flächig marmoriert, andere gemustert. Oft verdeutlicht die Farbe die feinen Äderungen, macht das Filigrane, Verletzliche der Struktur anschaulich. Dorrer lässt sich dabei von den natürlichen Formen inspirieren, ergänzt diese um ihre Fantasie, zieht Linien, Kreise oder Umrandungen, spannte feine Netze und setzt Knotenpunkte. So entstehen Miniaturlandschaften, die das Auge zu einer Entdeckungsreise einladen.

Angela Dorrer geht es auch um eine Art "Heilung der Natur". (Foto: Andorrer/oh)

Doch es geht nicht nur um Dekoration und Ästhetik, die Künstlerin spricht auch von einer "Heilung der Natur": Wenn ein Blatt gebrochen ist, vernäht sie die Stelle mit Garn, gebrochene Ästchen werden geschient, Wunden, also Löcher, mit roter Farbe eingefasst. Auch bleibt die unvergleichliche Grundform trotz künstlerischer Transformation immer bestehen: "Der Respekt vor der Schönheit und dem Urzustand des Naturobjektes hat Vorrang", erklärt Dorrer.

Die fertigen Blattscapes setzt die Künstlerin in Objektkästen hinter Glas, so werden sie ähnlich wie zerbrechliche Schmetterlinge oder Käfer zur Schau gestellt. In einem Foto- und Videoprojekt erfahren die entwurzelten, künstlerisch bearbeiteten Blätter aber oftmals auch eine "Relokalisierung": Dorrer nimmt sie abermals mit auf Wanderungen und porträtiert sie vor verschiedenen Landschaften, vor Flüssen, Bergen, Schneefeldern etwa. In den Videos wirken die der Witterung ausgesetzten Objekte trotz ihrer Zerbrechlichkeit wundersam stabil, wie sie da von nur zwei Fingern gehalten im Wind flattern.

Für ihre "Galerie der Reisenden Blätter" filmt Angela Dorrer ihre Objekt vor wechselnden Landschaften. (Foto: Andorrer/oh)

Doch nicht nur Blätter, auch Hände haben es der Künstlerin angetan. Jede Handinnenfläche trägt ja die Geschichte eines Menschen in sich - die Dorrer ebenfalls als Landschaft interpretiert, die sie bereist, entdeckt und kartiert. Mit einem dünnen Pinsel und Aquarellfarben arbeitet sie spontan Flüsse, Berge und Täler, Abzweigungen, Kehrtwenden und wiederkehrende Muster heraus, erkundet die intime, reliefartige Struktur der Haut. Ziel ist es, so die jeweilige, unverwechselbare Persönlichkeitsstruktur offenzulegen. Im Anschluss werden diese "Handscapes" fotografisch festgehalten.

Die "Handscape" des Kartographen Manfred Buchroithner. (Foto: Andorrer/oh)

Was der so geschmückte Mensch selbst in seiner Hand entdeckt, ist freilich höchst subjektiv. Besonders spannend zu lesen ist aber, wie professionelle Kartografen ihre persönlichen Handscapes interpretieren, drei solche Experten-Exemplare sind im Treppenhaus des Museums zu sehen. Manfred Buchroithner etwa entdeckt in seiner schimmernden Handfläche eine paläozoische Gebirgskette. Er schreibt: "Es scheint später Winter zu sein. Die flacheren, schneebedeckten Hänge sind teilweise von Firnspiegel bedeckt... Verschiedene Bächlein füllen, blauen Adern gleich, kleine Seen am Beckengrund. Vereinzelte Bauernhöfe und Weiler mit ihren typischen roten Ziegeldächern sind über Teile des Gebiets verstreut.... In der gesamten Senke haben augenscheinlich starke Winde den Schnee weggeblasen, und so zeigen sich nun, am Ende des Winters, die fahlen, gelblichgrünen Farben herbstlicher Bergwiesen." Kartografische Poesie.

So kann eine "Community-Handscape" aussehen. (Foto: Andorrer/oh)

Neben den "Single-Handscapes" gestaltet Angela Dorrer auch mehrere Handflächen von Partnern oder ganzen Teams, die während des Malens ihre Finger ineinander verschränkt lassen. So macht die Performance die Gemeinschaft im Moment erlebbar, es entsteht aber auch eine im Bild festgehaltene, die Individuen verbindende Landschaft.

Für eine "Panorama-Handscape" hat Dorrer die Handflächen von 42 Bürgern und Bürgerinnen der Stadt Tulln zu einer ideellen Landschaft verbunden. Das Bild zeigt einen Ausschnitt. (Foto: Andorrer/oh)

In diese Richtung geht auch Dorrers Fotoprojekt "Handscapes Unified", das sind digital montierte Collagen: Hier bilden die unbemalten Handflächen mehrerer Menschen eine neue, fiktive Landschaft. Pfade, Berge und Papillarlinien verlaufen ineinander zu einer ideellen Landkarte in Schwarz-Weiß - für die Künstlerin "Sinnbild einer Welt ohne Grenzen, in der die Hände füreinander offen sind", unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht.

Angela Dorrer alias Andorrer: Vom Reisen auf Blättern und Händen", Sonderausstellung im Museum Wald und Umwelt in Ebersberg, Ludwigshöhe 2. Eröffnung am Freitag, 15. Juli, 17 Uhr, zu sehen bis 18. Dezember. Geöffnet ist an Samstagen, Sonn- und Feiertagen jeweils von 12 bis 17 Uhr, der Eintritt kostenlos. Wer sich für ein "Handscape" interessiert, kann sich wenden an Andreas Puhr vom Waldmuseum, erreichbar unter (08092) 82 55 15 oder und a.puhr@ebersberg.de, oder an angela@andorrer.at eine Mail schreiben.

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