Altes Kino Ebersberg:Besser als Urlaub

Lesezeit: 3 Min.

Die Kleinkunstbühne widmet Valentin Winhart, Filmemacher aus Glonn, einen ganzen Abend.

Von Anja Blum

Raus aus dem Alltag, die Komfortzone verlassen, sich treiben lassen auf der Suche nach Menschen und deren Geschichten - das sei eine ganz tolle Erfahrung gewesen, sagt Valentin Winhart. "Was einem in diesem Raum der Möglichkeiten alles begegnet. . . Besser als jeder Urlaub!" Momentan freilich sind solche Unternehmungen unmöglich, doch Gott sei Dank gibt es das Alte Kino, das dem Filmer aus Glonn nun einen Abend gewidmet hat. Online, versteht sich. Da schaut Winhart gemeinsam mit Moderatorin Babsi Lux und dem Publikum zurück, auf die Zeit seines ersten Dokumentarfilms. Er heißt "Wo wir sind" und ist 2014, noch während des Studiums, entstanden. Was er heute anders machen würde, will Lux wissen. "Kaum was", sagt der Filmer, "ich würde mir nur viel mehr notieren, so dass der Schnitt dann nicht ganz so lange dauert".

Fotografie und Design hat Valentin Winhart in München studiert, doch das bewegte Bild wurde schon da ein immer wichtigerer Teil seiner Arbeit. Heute arbeitet der Glonner als freischaffender Fotograf und Filmemacher, ist als solcher auch Teil des Altes-Kino-Teams, in den pandemischen Online-Zeiten mehr denn je. An diesem Abend in der Reihe "Mittwochskino" aber sitzt der 32-Jährige selbst auf der Bühne, Cineastin Lux hat zum Gespräch geladen, eine lockere Plauderei zweier sehr sympathischer Menschen, der Gast erweist sich als sehr authentisch, angenehm bescheiden und doch intensiv in seinen Aussagen. Zu sehen gibt es zunächst einen Kurzfilm Winharts, der eines seiner Herzensprojekte vorstellt: "Hummus Evolution", ein syrisch-veganes Kochbuch.

Diesmal vor, statt hinter der Kamera: Filmer Valentin Winhart zeigt im Alten Kino seine Dokumentation "Wo wir sind". (Foto: Christian Endt)

Die Idee dazu sei an einem Lagerfeuer in Ebersberg entstanden, erzählt er - und habe tatsächlich eingeschlagen: Fast 7000 Exemplare seien mittlerweile im Eigenverlag verkauft. Die Rezepte stammen von Bilal Maikeh, der 2014 vor dem Bürgerkrieg aus Damaskus geflohen ist. "Kochen ist für mich eine schöne Art, Verbindung zu meiner Heimat und zur Familie zu halten", sagt Maikeh im Film. Außerdem wolle er zeigen, dass syrische Speisen mehr böten als "viel Fleisch". Und Winhart findet für diese Botschaften ganz wunderbare Bilder aus der Küche, komponiert aus Zubereitung, Zutaten und Statements ein harmonisches, ansprechendes Ganzes, das sofort Lust macht, den Kochlöffel zu schwingen.

"Wo wir sind" ist hingegen eine Art Roadmovie: Zehn Tage war Winhart dafür mit zwei Freunden, Jan Bajen und Stefan Natzel, quer durch Deutschland unterwegs, mit ein paar Kontakten zu Bekannten und Künstlern in der Tasche, ansonsten ohne Plan. "Aber es war Wahnsinn, was sich da alles ergeben hat", sagt der Glonner, "an Zufälle glaube ich seitdem jedenfalls nicht mehr". Letztendlich haben sich aus vielen Begegnungen drei Protagonisten herauskristallisiert, die eines eint: Sie fallen aus dem Rahmen, weil sie ausgestiegen sind aus dem bürgerlichen Leben mit all seinen Zwängen und scheinbaren Bedürfnissen. Kaum Besitz, kein Job, keine Termine. Dafür große innere Stärke, hohe Ideale, die Vision einer besseren Welt.

An ganz verschiedenen Orten haben Winhart und seine Mitstreiter solche besonderen Menschen gefunden. Im Wald bei Paderborn, auf einer Brache mitten in Köln und in einer Wohnung in Oberkirchen. Und der Zuschauer darf diesen drei Persönlichkeiten sehr nahekommen. Wie man sie denn vor der Kamera zum Reden gebracht habe, fragt Lux. "Hauptsächlich durchs Zuhören", lautet die Antwort. Aber ja, so etwas sei unplanbar: "Wir hatten großes Glück, dass die Protagonisten alle Zeit und Lust hatten mit uns zu sprechen, und dass wir sie alle in relativ emotionalen Momenten angetroffen haben."

Katrin Schröter etwa lebte damals bereits seit einem Jahr im Tal der Externsteine, einer markanten, rund 40 Meter hoch aufragenden Felsformation bei Horn-Bad Meinberg in Lippe. Im Film erzählt sie, dass dies ein mystischer Ort sei, an dem Menschen seit Gedenken eine besondere Verbindung zur Natur aufbauten. Steinkreise, ein Altar und andere Dinge zeugten davon. Doch nun sei das Tal "geschändet" worden, so die junge Frau, durch die Fällung etlicher Bäume. Das wieder ins Lot zu bringen, soweit möglich, das sei nun ihre Aufgabe. Ähnlich ergeht es Sri Ketan Rolf Tempel, einem Lebenskünstler, der in Zirkuswagen und Zelt lebt. Auch er möchte "sein" Fleckchen Erde in Köln pflegen, sprich den Müll anderer aufräumen, Neues anlegen und bauen. "Wenn die Menschheit sich einig wäre, ginge es mit der Transformation ganz schnell", sagt er. Die Dinge heilen lassen, Frieden herstellen, darum gehe es doch. Roswitha Buß hingegen hat sich Gerechtigkeit auf die Fahne geschrieben. Die resolute Rentnerin, Mutter von Co-Filmer Jan Bajen, hatte Streit mit einem offenbar furchtbaren Vermieter - und die Auseinandersetzung auf die Spitze getrieben. Beim Auszug "renovierte" sie auf ihre Weise, bemalte und beschrieb die Wände, Boden, Fliesen und Türen mit satirischen Figuren und Sprüchen. Polizei, Schadenersatz. Es kam zur Verhandlung, die "Klapse" stand im Raum - es wurden 60 Tage Gefängnis. "Ich hab keine Angst, vor nichts und niemandem." Selbst den Herrgott bitte sie manchmal, ein Auge zuzudrücken, "wenn es eben nicht anders geht".

Ja, es sind wirklich Unikate, die Winhart hier porträtiert und das Publikum so zum Nachdenken anregt. Klar wird an dem Abend auch, dass es weitere Dokus aus Glonn geben wird, vielleicht sogar eine Fortsetzung von "Wo wir sind". Katrin Schröter ist mittlerweile in die Karpaten ausgewandert, Roswitha Buß in den Straßen rund um den Vatikan untergetaucht.

© SZ vom 22.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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