Sind Kinder das neue Bitcoin? Wäre ein Einjahresjob als Hotelrezeptionist besser als Wehrdienst? Wie reagieren, wenn Mitreisende im Nahverkehr wirres Zeug reden? Welche Gemeinsamkeiten haben die Wohnungssuche in München und die nach einem Partner auf Tinder? Vor allem aber: was verschweigt die Salzlobby?
Nach der rundum gelungenen Stand-up-Comedy-Night Nummer 1 am vergangenen Samstag im voll besetzten Alten Kino in Ebersberg sind nicht nur solche und weitere Mysterien geklärt, sondern auch die Frage, ob das Publikum im ländlichen Raum bereit ist für eine Mixed Show, die laut Moderatorin und Initiatorin Violetta Ditterich mit fünf Darbietungen à 15 bis 20 Minuten „kürzer, schneller und mit mehr Drive“ daherkommt als das gewohnte Kabarett- und Comedy-Programm. Die begeisterten Reaktionen und der Applaus des Publikums sprechen hier eine deutliche Sprache.

Zu verdanken ist das sicherlich Ditterichs glücklicher Hand bei der Auswahl der fünf Stand-Upper des Abends. Zwar wohnt derzeit niemand von ihnen im Landkreis, Verbindungen gibt es dennoch. Besonders deutlich wird sie bei Michael Mauder, der direkt vor dem Auftritt seine Instagram-Follower noch mitgenommen hat auf eine sentimentale Reise in seine Zeit in Ebersberg. Zwei Jahre hat der 2018 für den Tassilo-Kulturpreis der SZ nominierte Sendlinger dort gelebt. Als Hotelrezeptionist – einem Beruf, den seiner Meinung nach alle jungen Leute ein Jahr lang ausüben sollten, sei er doch „besser als Wehrdienst“.

Tassilo Kulturpreis der SZ:Schwäche macht sympathisch
Als Stand-up-Comedian auf der Bühne hat Michael Mauder kein Problem damit, sich bloßzustellen. Der 24-Jährige hat Großes vor: Mit eigenen Shows will er die Comedy-Szene in München voranbringen
Dem Comedian, TV Redakteur, Moderator und Podcaster wiederum diente dieser Beruf nicht nur als Lebensschule, sondern als Quell für ein unfassbar lustiges Programm – ob rund um Wake-up-Calls oder im Frühstücksraum aufgeschnappte Gesprächsfetzen. Doch auch das restliche Leben des 31-Jährigen bietet eine Menge Stoff, um das zu tun, was er als höchste Kunstform betrachtet, nämlich „Menschen ohne Hilfsmittel zum Lachen zu bringen“. Wobei ihm bei der grandiosen Metamorphose vom schüchternen Praktikanten zum souveränen Experten am NABU-Wespentelefon definitiv auch ein gewisses schauspielerisches Talent zugutekommt.
Ebenfalls über kuriose Hotel-Erfahrungen – in seinem Fall pyrotechnischer Natur – und einen früheren Wohnsitz im Landkreis verfügt der gebürtige Nürnberger „Dr. Emir“. Der promovierte Lebensmittelchemiker lebte nämlich eine Zeit lang in Grafing, wo er 2019 den Science Slam gewann, damals noch unter dem Künstlernamen „Helmuth Steierwald“. Heute allerdings spielt der Wahlrosenheimer unter, aber auch mit seinem Geburtsnamen Emir Puyan Taghikhani. Dabei entlarvt der Sohn eines Iraners und einer Türkin wie eine Naturgewalt und doch mit elaborierter Eloquenz typische Vorurteile gegenüber in Deutschland aufgewachsenen Menschen mit Migrationshintergrund. Gleichzeitig überzeugt der mehrfach preisgekrönte 34-Jährige, zwischendurch in breitestem Fränkisch, mit naturwissenschaftlichen Sach- und Lachgeschichten, welche die Vorteile von Spermidin und die vermeintlichen Machenschaften der Salzlobby in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen.


Ein tatsächliches Landkreisgewächs, das Ditterich seit gut 20 Jahren kennt, ist Simon Ruane. Schon während der Schulzeit im Grafinger Gymnasium machte der gebürtige Glonner immer wieder von sich reden, unter anderem als Filmemacher. Heute betreibt er seit zehn Jahren den Youtube-Kanal „Open Mind“, auf dem er seine derzeit mehr als 500 000 Abonnenten über Drogen nach eigenen Aussagen aufklären, aber auch unterhaltsam informieren will. In seinem Vortrag allerdings geht der 35-Jährige mit der charakteristischen Lache darauf nicht ein, springt stattdessen unter anderem zwischen Themen wie seiner Performance als Liebhaber und wortgewaltigen Alltagsbeobachtungen im Nahverkehr hin und her. Dabei scheut er sich nicht, das Publikum zuweilen mit derben und nicht ganz so gelungenen Witzen zu konfrontieren. Doch das Auditorium sieht auch das gelassen und quittiert den Auftritt mit Beifall.
Die einzige Frau in der Runde, Elizaveta Akhler, fühlt sich sichtlich wohl in der nach wie vor männerdominierten Stand-up-Welt, in der sie immer einen respektvollen Umgang erfahren habe. Im Gespräch betont sie: „Es ist nicht, wie viele sagen, ‚so mutig‘ von mir, auf die Bühne zu gehen. Ich bin einfach eine, die macht! Zumal es nichts gibt, was so ehrliche Reaktionen hervorruft wie Stand-up Comedy.“ Selbstbewusst und souverän spricht sie daher über Wohnungssuche, Dating, Essen, Verdauung, Bahnreisende aus der Hölle und darüber, warum mehr deutsche Kinder asiatische Eltern bräuchten. Die Vergangenheit als Musical-Darstellerin hört man der Marketing-Expertin durchaus an, wenn sie auf brillante Weise das Ehedebakel zwischen Shakira und Piqué nachstellt.

Einer, den sie seit Anbeginn ihrer beider Karrieren vor zweieinhalb Jahren gut kennt, ist Jojo Nesco. Erst 19 Jahre zählt der Lockenkopf im blauen Kapuzenpulli, der sein VWL-Studium vor wenigen Wochen begonnen hat. Als regelmäßiger Host im Münchner Lucky Punch Comedy Club jedoch mittlerweile Profi und alter Hase in dem Metier. Welpenschutz hat dieser junger Mann definitiv nicht nötig. Zum Brüllen komisch, wie er mit seinem Alter kokettiert, das etwa in Beziehungsfragen durchaus Einfluss hat auf die Auswahl der für ihn möglichen Themen. Wenn er schildert, wie er auf unverblümte Weise ein von den Eltern nur sanft gemaßregeltes Kind im Zug zum Schweigen bringt, ist das selbst für junge Eltern saulustig. Und mit dem rotzigen Charme seiner Generation kann er sogar Witze über Terroristen machen.
Alles in allem hat der Abend definitiv das angestrebte Ziel erreicht, nämlich, so Ditterich: „Den Menschen leichte Unterhaltung zu schenken, die Chance, befreit laut zu lachen und dabei ein Community-Gefühl zu entwickeln.“ So habe man genau das, was die „Mehrwertkneipe“ ausmacht: „Gemeinsam trinken, essen, ratschen und zusätzlich ein Bühnenprogramm zu erhalten.“ Für alle, die den Abend verpasst haben, gibt es eine weitere Chance, sich von dem Format überzeugen zu lassen: Am Samstag, 2. November findet eine zweite Stand-up Show statt.