Altes Kino Ebersberg:Wanderinnen zwischen den Genres

Eine Band wie ein Naturereignis: "Siea" im Livestream des Alten Kinos. Statement ist dabei die Musik, nicht die rein weibliche Besetzung.

Von Michaela Pelz

Manche Sachen möchte man nicht schreiben, weil sie eigentlich nicht wichtig sein sollten. Aber wenn etwas als "besonderes Kennzeichen" dient, muss man es halt doch erwähnen. Also schnell an den Anfang gestellt, dann ist es erledigt: Die Band Siea, die man sich an diesem Abend per Livestream aus dem Alten Kino ins Wohnzimmer holen wird, ist rein weiblich. Die sieben Frauen machen "Avantgarde Pop", eine Mischung aus "Disco, Jazz, Techno, Pop und Performance". Man könnte aber auch sagen: Ein wahres Naturereignis. Kein anderes Wort wäre passender für diesen überraschenden Mix von sphärischen Klängen bis bombastischem Bigband-Sound.

Vor dem Livestream-Auftritt im Alten Kino erfährt man per Einspieler, dass ein Großteil des Septetts Antonia Dering (Gesang, Synthesizer), Patricia Römer (Gesang, Synthesizer), Amélie Haidt (Gesang, Gitarre), Ramona Schwarzer (Posaune), Bettina Maier (Saxophon), Julia Hornung (Bass) und Angela Requena Fuentes (Drums) zwar mittlerweile in München lebt, es den studierten Musikerinnen aber auch gelingt, ihre selbst geschriebenen Songs zu einem gemeinschaftlichen Ganzen zusammenzufügen, wenn sie nicht am selben Ort sind.

Altes Kino Ebersberg: Taucherglocke als Maskottchen: das goldene Accessoire war schon beim Videodreh in Kroatien und auf 2000 Meter Höhe in Südtirol dabei und nun auch in Ebersberg.

Taucherglocke als Maskottchen: das goldene Accessoire war schon beim Videodreh in Kroatien und auf 2000 Meter Höhe in Südtirol dabei und nun auch in Ebersberg.

(Foto: Christian Endt)

Weiterhin wird klar, dass schon der Bandname als solcher Programm ist - als Kofferwort aus "sie" und "Sea" (beides gleich ausgesprochen) und der daraus resultierenden Mischung von weiblichem Element auf der einen und machtvoller Kraft des Wassers auf der anderen Seite. Außerdem lernt man im Video den Arbeitsplatz von Carlotta Dering kennen, die zwar nicht selbst auf der Bühne steht, deren Arbeit sich aber permanent im Zentrum der Aufmerksamkeit befindet, zeichnet die gelernte Herrenmaßschneiderin doch nicht nur für die Merchandisingprodukte verantwortlich, sondern vor allem für die Kostüme. Und sie ist beteiligt an der Entwicklung der Performance-Konzepte, wie etwa dem beeindruckenden Auftritt ihrer Schwester, Bandleaderin Antonia Dering, mit Taucherglocke auf dem Kopf. Während diese bis dahin als großartige Sängerin im Vordergrund steht, bewegt sie sich zu "Wet scratches" (P. Römer) anmutig wie eine indische Tempeltänzerin und lenkt so den Blick auf das mittlerweile zum Maskottchen avancierte Accessoire. Entstanden sei es "unter Hilfe und Anleitung von der Mama, die hod des g'lernt" wie Antonia Dering im Pausen-Gespräch mit Moderatorin Violetta Ditterich charmant erzählt.

Auch zwischen den Songs gibt es immer wieder kleine Geschichten, die oft dazu beitragen, die Kompositionen auf einer zusätzlichen Ebene wahrzunehmen. Wie etwa bei "Looking North" (A. Dering), über die vielfältigen Gefühle nach dem Tod eines Menschen, das durch den zunehmend fester und kräftiger werdenden Gesang sowie die immer zuversichtlicheren Klänge auf eine Heilung hinweist. Ausgesprochen bewegend - man möchte gleichzeitig klatschen und doch jedem einzelnen Ton nachspüren.

Altes Kino Ebersberg: Antonia Dering, Patricia Römer, Amélie Haidt, Ramona Schwarzer, Bettina Maier, Julia Hornung und Angela Requena Fuentes sind die Band Siea.

Antonia Dering, Patricia Römer, Amélie Haidt, Ramona Schwarzer, Bettina Maier, Julia Hornung und Angela Requena Fuentes sind die Band Siea.

(Foto: Christian Endt)

Doch die Wanderinnen zwischen den Genres mit ihrem eigenwilligen, leichtfüßigen Sound haben nicht nur leise Töne parat. Als es bei der Anmoderation zu "Siea knows" (A. Haidt) heißt: "Jetzt kommt ein richtiger Kracher von Amelie", möchte man unmittelbar nach dem wuchtigen Start jedes einzelne Wort unterschreiben. Was im Chat mit "groovy und smooth zugleich" kommentiert wird, heißt einfach: Das Gitarrensolo der Frau im glitzergrünen Oberteil geht erst in den Bauch, dann in die Beine und fast wäre man versucht, ein wenig zu headbangen.

Dasselbe Gefühl stellt sich übrigens auch bei "Treasure Box" (B. Maier) ein, mit seiner erst souligen Anmutung, in die man sanft hineingleitet, nur um dann von einem fantastischen Saxophonsolo fast weggeblasen zu werden. Weiteren überwältigenden Bläsersound bietet "Bombs" (A. Dering), nur dass er diesmal von der Posaunistin stammt.

Ach, es gäbe noch so viel zu loben: Den harmonischen Gesang der drei Sängerinnen, jede Stimme für sich angenehm und unverwechselbar, aber auch im gemeinsamen Klang überzeugend. Die Percussions, allzeit präsent und kunstvoll gespielt von einer der, wie man hört, viel zu wenigen Musikerinnen an diesem Instrument, weswegen auch die Aufforderung kommt "Mädels, lernt Schlagzeug!". Oder die Virtuosin am Bass mit ihrem verschmitzten Lächeln, die, wenn sie entfesselt loslegt, wahrscheinlich selbst Lahme zum Tanzen bringen könnte.

Altes Kino Ebersberg: Zum Auftritt von Siea im Alten Kino konnte man im Netz live mitfeiern.

Zum Auftritt von Siea im Alten Kino konnte man im Netz live mitfeiern.

(Foto: Christian Endt)

Insgesamt bestechen Siea durch Texte, bei denen sich jemand etwas gedacht hat und Tonfolgen, bei denen man zwischendrin das Denken ausschalten und mit jeder Faser des Körpers nur noch fühlen will. Dennoch ist die Band nicht etwa Musik gewordener Feminismus, sondern einfach nur verdammt gut. Electro-cool, aber nicht kühl. Musik ist das Statement, nicht die Zusammensetzung der Band. Das sind erkennbar Künstlerinnen, die sich miteinander wohlfühlen und dank der Atmosphäre im Alten Kino sogar auch beim Stream ohne großes Publikum den Daheimgebliebenen das Gefühl eines echten Gigs vermitteln.

Am Ende will man einfach nicht, dass es vorbei ist - und tröstet sich mit der Aussicht auf den Release des Albums am 5. Mai sowie einer erhofften Wiederholung der Veranstaltung, sobald die von Markus Bachmeier angekündigte Alte Kino Mediathek den Betrieb aufnehmen wird.

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