Das Konzept der „Late-Night-Show“ kennt man seit den Neunzigern dank „Schmidteinander“ auch in Deutschland. Das Filmlexikon der Uni Kiel definiert sie als einen Mix aus „Comedy, Satire, Show und Talk“, mit Gästen, Musikeinlagen und neben dem „Showmaster“ oft einem „Beisitzer als Sidekick“. Die meisten dieser Elemente besitzt auch die erste „Late-Night-Show“, die das Ebersberger Alte Kino im Rahmen seiner „Mehrwertkneipe“ veranstaltet. Doch ist alles irgendwie anders. Und besser – so viel sei schon verraten.
Denn was die beiden (gleichberechtigten) Hosts Violetta Ditterich und Lara von Dehn, unterstützt durch Musiker „J0lliver“ auf der Nebenbühne, an diesem Abend präsentieren, ist eine wahre Wundertüte an Entertainment, Information und Gemeinschaftserlebnis. Im Zentrum der Show steht – unter aktiver Einbeziehung des Publikums – das Thema Beziehungen. Zur Familie, zu Freunden, dem oder der Liebsten und zu sich selbst. Es gibt einen Gast – die Moosacher Einzel- und Paartherapeutin Martina Berger – unterhaltsame Spiele und sogar eine ordentliche Prise Erotik.

Kultur in Ebersberg:Kneipe mit Mehrwert
Das Alte Kino probiert ein neues Format aus: Zwei Wochen lang gibt es eine lockerere Atmosphäre und leicht verdauliche Kleinkunst. Das soll auch ein jüngeres Publikum ins Haus locken.
Das altersmäßig sehr gemischte Auditorium, in dem neben einigen jungen Besucherinnen auch die Generation 60+ durchaus vertreten ist, geht bei allem begeistert mit. Etwa beim Freundschafts-ABC, in dem passende Begriffe gesammelt werden, von A wie „Abenteuer“ über X wie „xenophil“, also „fremdenfreundlich“ (es folgt ein Riesenapplaus) bis Z wie „zünftig“ (Aussage eines Mannes) oder „Zusammenhalt“ (Aussage einer Frau). Dabei trägt sicher zur gelösten Atmosphäre bei, dass niemand unter Druck gesetzt oder in eine peinliche Abfragesituation gebracht wird, obwohl die Moderatorinnen die Leute im Saal durchaus intensiv zur Beteiligung ermuntern.
Auch die an den Tischen verteilten Fragebögen werden brav ausgefüllt, obwohl sich ihr Sinn erst bei der äußerst spaßigen Familien-Duell-Neuauflage erschließt, bei der zwei Saalkandidaten um die Wette die drei häufigsten Antworten erraten müssen.

Wodurch man auch einiges über die Menschen im Saal erfährt. Etwa, wer zu Hause der beste Koch ist (absteigend: Mama, Papa, Ich – aber auch der Dampfgarer wurde genannt) oder was Familie den Antwortenden bedeutet (aufsteigend: Liebe, Zusammenhalt, Heimat – oder auch Gewitterwolke).
Das Zusammenspiel der beiden Gastgeberinnen ist äußerst harmonisch – sie sind seit vielen Jahren gut befreundet, wissen daher auch um die jeweiligen Schwächen. So mag die eine bei Konflikten nicht reden, die andere möchte einen Streit zur Not auch nachts um drei telefonisch aus der Welt schaffen.
Darüber sprechen sie genauso offen, wie es beim Talk mit der Expertin Berger ums Eingemachte geht: Wann Paare am unzufriedensten sind (nach zehn gemeinsamen Jahren) und wann sich das auf guter Ebene einpendelt (ab dem 60. Lebensjahr). Nach den Themen Dating und Umgang mit Konflikten – „Communication is key“, so Ditterich – landet man schließlich im Schlafzimmer und im Bereich „Female Wellness“, in dem von Dehn tätig ist.
Sie arbeite, so die Erklärung der gebürtigen Freisingerin, für eine Plattform, „die dafür sorgt, dass Menschen, vor allem Frauen, auf auditivem Weg zu einem besseren Sexleben kommen – oder anders: Wir machen Hörspiele wie die Drei ???, aber mit Sex.“ Zur Verdeutlichung folgt direkt eine akustische Kostprobe, in der ein Mann mit erotischer Reibeisenstimme detailliert ausführt, wie er eine Frau glücklich machen möchte.

Als das Saallicht wieder angeht, passt es gut, dass „J0lliver“ mit Akkordeon und gutturalem Gesang für Entspannung sorgt. Schon zuvor – und danach – hat der im Bairer Winkel aufgewachsene Wahl-Münchner mal mit fröhlichen, dann wieder melancholischen Irish-Folk-Klängen die Show bereichert. Eigentlich ist er Software-Entwickler, seine musikalische Karriere nimmt gerade Fahrt auf, eine Album-Veröffentlichung steht kurz bevor.
Auch ihm ist der letzte Programmpunkt nicht fremd: die überkritische Haltung gegenüber der eigenen Person. Zur Verdeutlichung wird dabei dem Publikum per Einspieler im wahrsten Sinne der Spiegel vorgehalten. In einen solchen blickt nämlich eine Barbie, die mit sich selbst so hart ins Gericht geht, wie man es mit keiner Freundin tun würde. Darum besteht die letzte Interaktion auch darin, eine positive Nachricht oder ein Kompliment an sich selbst zu schreiben, das man dann in „einer Woche oder einem Jahr“ nochmal in Ruhe anschauen könne.
„Pflegt eure Beziehungen – zu anderen, aber auch zu euch selbst“, heißt es am Schluss eines Abends, den man als gleichzeitig unterhaltsam, prickelnd und „hygge“ beschreiben könnte. Auch dank einer Moderation voller Esprit, Tiefgang und ganz viel Herzblut von zwei charmanten und schlagfertigen jungen Frauen. Vor allem Violetta Ditterich, deren Talente als Schauspielerin (bei der Eigenproduktion „Die Heizer“) und Moderatorin erst durch die Pandemie richtig zutage traten, hat es einer jungen Besucherin angetan.

Ebersberg:"Ich bin schon als Kind im Alten Kino rumgesprungen"
Violetta Ditterich ist das neue Gesicht der Ebersberger Kleinkunstbühne. Wie die 29-Jährige von der Teamassistentin zur Moderatorin wurde.
Die 18-Jährige aus Ebersberg, die „mit nicht allzu hohen Erwartungen“ in die Show gekommen war, schwärmt am Ende: „Das war supergut gemacht. Ich spüre förmlich ihre Aura, diese Frau ist für die Bühne bestimmt.“ Dem kann die Mutter der Studentin nur zustimmen. Anschließend stimmt sie ein Lob auf die Mehrwertkneipe an. Sie habe sich bereits beim Pub Quiz mit Freunden bestens amüsiert. „Diese Mischung aus unterschiedlichen Inhalten ist eine richtig, richtig gute Idee. Ich hoffe, dass das noch ganz oft stattfindet.“

So hat man am Ende tatsächlich den Eindruck, dass das Format den Spirit des sommerlichen Kulturfeuers in den Winter überführt und das Alte Kino zu einem Ort macht, an dem man sich zwanglos gerne aufhält. Mit der Liebsten, besten Freunden oder allein – Platz in der Gemeinschaft findet sich immer. Egal, ob früh am Abend oder zur „Late Night“.