Werke, die sich mit dem Märchenkönig Ludwig II. auseinandersetzen, gibt es ja haufenweise. Von Büchern über Gemälde bis hin zu Theaterstücken. Insofern ist es vermutlich nicht gerade leicht, einen anderen Zugang zu dem Sujet zu finden, einen neuen Dreh, wie man so schön sagt. Sebastian Schlagenhaufer aber ist das gelungen: Der Grafinger hat ein boulevardeskes Kammerspiel geschrieben, das die Beziehung zwischen dem berühmten bayerischen Herrscher und dem Psychiater Bernhard von Gudden in den Fokus nimmt. Eine Beziehung, die dank ihrer Vielschichtigkeit und Tragik durchaus einen ganzen Abend trägt, wie jetzt im Ebersberger Alten Kino zu erleben war. Dort nämlich hat „Ludwig II. – Der bayerische Patient“ vor vollem Haus Premiere gefeiert.
Um das historische Geschehen kurz zu umreißen: Die folgenreiche Beziehung zwischen den beiden Männern beginnt 1872 damit, dass der bayerische Monarch den fortschrittlich agierenden Nervenarzt gegen diverse Widerstände als Professor und Klinikchef nach München holt, um für seinen Bruder Otto, einen schwer traumatisierten Kriegsheimkehrer, die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten, inklusive regelmäßiger Berichte. Später aber wendet sich von Gudden gegen Ludwig: Er ist maßgeblich für jenes psychologische Gutachten verantwortlich, das zur Entmündigung und Entmachtung des Königs führt. Ein Urteil, das bis heute hochumstritten ist, auch, weil es sich lediglich auf ein Aktenstudium stützte. Der Psychiater hat den berühmten Patienten nie untersucht. Dessen politisches Schicksal aber ist damit besiegelt: Von Gudden wird zum Leiter einer Kommission bestimmt, die den Monarchen in Gewahrsam nehmen soll. Doch dieser widersetzt sich, es kommt zum nach wie vor ungeklärten Tod der beiden Männer im Starnberger See.

Viel irrer Stoff also, der erzählt werden will, und zwar aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven. Schlagenhaufers Stück nämlich lässt Ludwig II. und Bernhard von Gudden posthum aufeinandertreffen. Ein spannendes Gespräch – das der eine als königliche Audienz ansieht, der andere als therapeutische Sitzung. Der eine ist von seiner geistigen Gesundheit überzeugt, der andere hält seine Diagnose der Seelenschwäche und Paranoia immer noch für richtig. So zumindest die Ausgangslage.
Denn im Gespräch geht es dann munter hin und her. Anklage und Verteidigung, Gewissheit und Zweifel, Mut und Zögerlichkeit wechseln immer wieder die Seiten. Beide Männer brauchen und bekommen auch Momente voller Verständnis und Trost. Und am Ende wird klar, dass sie mehr gemeinsam haben als gedacht. Vor allem: Das Gutachten hat beider Leben zutiefst geprägt. Und beide fühlen sich grundlegend missverstanden, von den Zeitgenossen genauso wie von der Nachwelt. Seine Majestät wird gespielt von Sebastian Schlagenhaufer selbst, an seiner Seite agiert Ramon Bessel aus Ismaning als Bernhard von Gudden.

Und der Autor hat es sich nicht leicht gemacht, sondern seinen Ludwig als vielschichtige, fast widersprüchliche Figur angelegt. Da sind einerseits die unfassbare Arroganz eines Königs von Gottes Gnaden und der Größenwahn eines höchst fortschrittlichen Bauherren. Von wegen Verschwendung: „Ich war ein wandelndes Konjunkturpaket!“ Andererseits: die totale Überforderung. Ludwig II. wurde mit 18 Jahren König, musste alsbald Krieg führen, hatte in der konstitutionellen Monarchie aber keine echte Macht. „Ich war ja nur zum Unterschreiben da!“ Auch dass der Monarch wohl homosexuelle Neigungen verspürte, wird mehr als deutlich – aber auch, dass er als Christ unter dieser „Sünde“ vermutlich sehr litt. „Kalte Waschungen, Beichte und Gelübde“: nichts habe geholfen, gesteht Ludwig dem Psychiater.
Und so sei es wohl zu einem Zustand der Vernachlässigung und Wunderlichkeit gekommen, diagnostiziert von Gudden. Ludwig mied die Stadt, suchte die Abgeschiedenheit in der Natur rund um seine Landsitze, flüchtete sich in seine teuren Visionen von Kunst und Kultur, von privaten Opernvorstellungen bis hin zum Bau seiner neoromantischen Schlösser. Ja, dieser Märchenkönig wäre wohl wirklich gern ein Wagnerscher „Schwanenritter“ gewesen, fasziniert starrt er in eine Schneekugel, in der sich vermutlich Neuschwanstein befindet.

Premiere im Alten Kino:Vom Märchenkönig und seinem Psychiater
Sebastian Schlagenhaufer aus Grafing hat ein Stück geschrieben, in dem Ludwig II. posthum auf Bernhard von Gudden trifft: Eine heiter-informative Audienz, die sogar Aufklärung über den gemeinsamen Tod im See verspricht.
Darsteller Schlagenhaufer taucht also tief ein in ein Wechselbad zwischen großer, majestätischer Geste, tuntiger Chuzpe und totaler Zerknirschung. Zwar ist an diesem Abend im Alten Kino noch die ein oder andere Unsicherheit zu spüren – aber wie sollte das auch anders sein bei einer Premiere? Bessel als von Gudden hat es da schon etwas leichter, seine Figur ist konsistenter, über weite Strecken ganz der strenge, selbstbewusste Wissenschaftler, den der Ismaninger glaubhaft mimt.
Alles in allem: eine überzeugende Vorstellung. Das Publikum geht wunderbar mit, spendet großen, warmen Applaus, lauscht und lacht. Denn zwar hat Schlagenhaufer viel recherchiert, das Stück ist lehrreich – aber eben auch lustig. Als zum Beispiel von Gudden den König rügt, weil der in der dritten Person Plural von sich spricht, entgegnet Ludwig trotzig: „Ach, und ihr Psychologen mit Eurem Es und Über-Ich? Dagegen bin ich mit meinem Wir ja noch richtig bescheiden!“ Klar wird: Dieses Kammerspiel soll nicht ausschließlich historisch Interessierte beglücken, sondern alle im Saal. Es bietet anspruchsvolles Volkstheater im besten Sinne. Ob es auch das Rätsel um den tragischen Tod der beiden Männer lüftet, sei an dieser Stelle freilich nicht verraten. Nur so viel: „Es ist zum Verrücktwerden.“
„Ludwig II. – Der bayerische Patient“, weitere Termine: Samstag, 8. Februar, in Ingolstadt (Altstadttheater), Samstag, 8. März, in Weiden (Kulturbahnhof Parapluie) oder am Donnerstag, 10. April, in München (Pasinger Fabrik). Alle Infos gibts auf der Homepage von Sebastian Schlagenhaufer.